„Landtechnik ist der Problemlöser“
Dr. Tobias Ehrhard fordert ein “Standort-Upgrade” für Deutschland
Die Weltleitmesse AGRITECHNICA ist das Highlight in diesem Jahr. Die Bereitschaft der Landwirte, wieder in Landtechnik zu investieren, nimmt zu. Digitale Technik und alternative Kraftstoffe sind die Voraussetzungen moderner Maschinen. Der Geschäftsführer des Fachverbandes Landtechnik im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Tobias Ehrhard, spricht im folgenden Interview über die aktuelle Stimmung in der Landtechnikbranche.
Union und SPD haben ein Sondierungspapier vorgelegt. Entsprechen die darin aufgeführten Maßnahmen den Erwartungen der Landtechnikbranche?
Dr. Tobias Ehrhard: Sondierungsgespräche nach Wahlen spannen den Bogen naturgemäß über ein weites Themenspektrum. Um alle Details zu beleuchten, fehlt an dieser Stelle leider der Platz. Lassen Sie mich nur so viel sagen: Was auf den ersten Blick auffällt, ist, dass wirkliche Maßnahmen für mehr Wettbewerbsfähigkeit schlichtweg fehlen. Wollen wir ein wirksames „Standort-Upgrade“ für das Industrieland Deutschland, immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, realisieren, muss da noch deutlich mehr kommen.
Was muss die neue Regierungskoalition angehen?
In der Landtechnik liegen seit vielen Jahren praktikable Zukunftslösungen auf dem Tisch. Das fängt bei klimaneutralen Kraftstoffen und nachhaltigen Produktionsmethoden an und reicht bis hin zu einem funktionsfähigen Digitalisierungspfad für die Landwirtschaft, mit dem Bürokratieabbau effektiv möglich wird. Die Politik muss jetzt zügig in die Umsetzung kommen und dafür den Dialog mit allen Beteiligten suchen. Sicher ist: Für viele der diskutierten Fragen ist die Landtechnik der entscheidende Problemlöser.
Union und SPD wollen die Agrardieselsteuerrückerstattung wieder einführen. Ist fossiler Diesel der Treibstoff der Zukunft?
Worum es in diesem Kontext primär geht, ist die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft. Insofern ist der Schritt grundsätzlich nachvollziehbar. Allerdings wäre es natürlich zu kurz gesprungen, allein auf die Agrardieselrückvergütung zu setzen. Wenn wir nachhaltig und produktiv zugleich vorankommen wollen, brauchen wir alle Technologien aus unserem Portfolio. Dazu zählen in erster Linie alternative Kraftstoffe, für bestimmte Anwendungen durchaus aber auch batterieelektrische Lösungen. Was wir jetzt benötigen, sind effektive Anreize, damit klimafreundliche Kraftstoffe schnell in die Praxis kommen. Dabei liegt die Zukunft ganz klar bei flüssigen Energieträgern.
Wieso?
Die landwirtschaftliche Realität sieht faktisch so aus, dass Feldarbeiten in immer kürzerer Zeit erledigt werden müssen. Mähdrescher, die 100 Tonnen Weizen in der Stunde ernten, oder Maishäcksler, die 400 Tonnen Mais häckseln, sind einsatzbedingt auf flüssige Energieträger mit hoher Energiedichte angewiesen. Aktuell ist das primär noch der fossile Diesel. Allerdings können moderne Landmaschinen- und Traktorenflotten schon heute problemlos mit alternativen Kraftstoffen, etwa aus hydriertem Pflanzenöl, betankt werden. Darin liegt eine große Chance, schließlich hat HVO nahezu dieselbe Energiedichte wie Diesel. Zugleich lassen sich damit bis zu 90 Prozent der CO2-Emissionen einsparen. Diese Erkenntnis muss auch im politischen Berlin noch stärker durchdringen.
Das heißt, dass es beim Flüssigkraftstoff bleibt?
Zumindest mittelfristig sehen wir aus technischer Sicht keine andere tragfähige Option. Sofern man den Energieinhalt eines Mähdreschertanks der Anschaulichkeit halber in Batteriegewicht umrechnet, gelangt man in Dimensionen, die eine Fahrt auf europäischen Straßen schlicht unmöglich machen. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Branche nicht um Alternativen kümmern würde. Ganz im Gegenteil: Denn auch in Sachen Elektrifizierung ist die Landtechnikindustrie ein wichtiger Enabler. Unter Fachleuten ist zudem klar, dass es in der Batterietechnologie auf lange Sicht spürbare Entwicklungssprünge geben dürfte.
Sehen Sie im Pflanzenschutz und bei der Düngung Potenzial für batterieelektrische Lösungen?
Der Weinbau ist sicherlich ein gutes Beispiel unter vielen anderen für einen zeitnah realisierbaren Elektrifizierungspfad. Entsprechende Schmalspurtraktoren sind in den Produktkatalogen der Industrie längst verfügbar. Ebenso geeignet für batterieelektrische Lösungen sind Anwendungen auf dem Hof und in Hofnähe. Denken Sie hier beispielsweise auch an Maschinen und Geräte für den Einsatz im Stall.
Kann man nicht auf kleinere Technik setzen, die mit Batterien auskommt?
Die Produktivitätsfortschritte der vergangenen Jahre wären ohne schlagkräftige große Maschinen kaum denkbar gewesen. Dies auch deshalb, weil die Zahl an Arbeitskräften in der Landwirtschaft seit Langem strukturell rückläufig ist. Mittel- bis langfristig dürfte sich, zumindest bei bestimmten Prozess-Schritten, ein Trend zu mehr Autonomie abzeichnen. Und das vor allem dort, wo der Faktor Zeit nicht so ausschlaggebend ist – etwa in der mechanischen Unkrautbekämpfung. All jene Prozess-Schritte aber, die in kurzen Zeitfenstern ablaufen, etwa Bodenbearbeitung oder Ernte, brauchen auch künftig leistungsfähige Großtechnik, wie wir sie kennen.
Brauchen wir in Deutschland größere Betriebe, damit Digitalisierung und Autonomisierung sich etablieren?
Im Vordergrund steht nicht die Betriebsgröße, sondern die Prozess-Effizienz, die zunehmend um den Faktor Prozess-Intelligenz erweitert wird. Um moderne Landtechnik effektiv einzusetzen, bedarf es daher keiner größeren Betriebe. Vielmehr benötigen wir verlässliche Rahmenbedingungen, eine funktionsfähige digitale Infrastruktur sowie deutlich weniger Bürokratie. Gelingt uns das, so profitieren auch kleinere Betriebe signifikant. Vor allem dann, wenn diese Betriebe an eine jüngere Generation übergeben werden, die vielfach einen leichteren Zugang hat.
Welches Wachstumspotenzial hat die Künstliche Intelligenz?
Die Landtechnikbranche zählt im Maschinen- und Anlagenbau eindeutig zu den Vorreitern, was Digitalisierung und KI angeht. Herstellerübergreifende Konnektivität und Interoperabilität stehen derzeit ganz oben auf unserer Technologie-Agenda. Davon zeugen zahlreiche Projekte. Die praktische Herausforderung besteht zunächst darin, Medienbrüche zu eliminieren, um eine möglichst übergreifende, nahtlose Vernetzung zu gewährleisten.
Wir müssen Systemgrenzen überwinden; das gilt beispielsweise, wenn ein Landwirt öffentlich zugängliche Daten bruchlos in sein Farm-Management-System einspeisen möchte. Ein anderes Beispiel sind Dokumentationspflichten, die gegenüber den unterschiedlichsten Behörden erbracht werden müssen. Bis dato ist das mit zeitaufwendiger manueller Dateneingabe verbunden. Gerade hier muss dringend entbürokratisiert werden.
Laut VDMA-Branchenzahlen lief das vergangene Jahr für den Produktionsstandort Deutschland nicht sonderlich gut. Der weltweite Umsatz ist um 28 Prozent eingebrochen. Ist eine wirtschaftliche Erholung der Landtechnikbranche absehbar?
Wir kommen von einem sehr hohen Ausgangsniveau. Seit dem Jahr 2021 sind die weltweiten Landtechnikmärkte teilweise im mittleren zweistelligen Prozentbereich gewachsen. Eine konsequente Niedrigzinspolitik sowie staatliche Investitionsprogramme zählten zu den Treibern dieser Entwicklung. Pandemiebedingt haben wir anschließend allerlei Knappheiten und Lieferengpässe erlebt. Infolgedessen sind die Bestellungen des Handels sprunghaft angestiegen.
Und nun?
Die Konsequenz daraus war so einfach wie klar: Die Händlerlager füllten sich weltweit, während die Investitionsneigung der Landwirte zurückging. Für das laufende Jahr sehen wir allerdings schon wieder erste positive Signale. So leeren sich allmählich, insbesondere in Europa, die Händlerlager und auch die Ertragssituation der Landwirte sieht vielerorts passabel aus. Nicht zuletzt sehen wir auch beim Auftragseingang eine Trendumkehr. In die gleiche Richtung zeigt unser Geschäftsklimaindex, der die Erwartungen für die kommenden sechs Monate abbildet. Resümierend lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass sich der europäische Markt eher seitwärts bewegen dürfte. In Südamerika rechnen wir dagegen mit Wachstum. Und was die USA angeht: Da müssen wir erst einmal abwarten, was die politischen Rahmenbedingungen mit sich bringen.
Mit Material von AgE