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"Praxistaugliche Konzepte bei der künftigen EU-Agrarpolitik erforderlich"

Richtige Ansätze, doch heilloses Durcheinander - Kappungsgrenze für Beihilfen wie ein "Fallbeil" für Fortschritt und Wettbewerbsfähigkeit


"Globalisierung, nachhaltige Entwicklung und gesellschaftliche Forderungen verlangen eine neue europäische Antwort in der Agrarpolitik. Mit den agrarpolitischen Reformvorschlägen aus Brüssel für die Zeit nach der Agenda 2000 befinden wir uns am Beginn einer grundsätzlichen Debatte. Die Entkoppelung der Prämienzahlungen von der Produktion und die Anbindung dieser Zahlungen an die Einhaltung von Standards in den Bereichen Umwelt, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz und Betriebssicherheit ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Er darf aber keinesfalls so umgesetzt werden, wie es EU-Agrarkommissar Fischler vorschlägt. So sollen zukünftig die Prämienansprüche gleichmäßig auf alle Flächen des Betriebes verteilt werden. Die Folgen wären steigende Pachtpreise, neue Bürokratie, ein heilloses Durcheinander beim Wechsel des Bewirtschafters und neue Sofa-Bauern." Mit diesen Worten eröffnete der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) Philip Freiherr von dem Bussche die DLG-Unternehmertage 2002 am 4. September in Leipzig.


Fischler-Modell würde größeres Durcheinander bringen als Milchmarktordnung


Nach Auffassung des DLG-Präsidenten stellen sich die Landwirte auf den Wandel ein. "Wenn reformiert werden soll, dann muss es aber zu praxistauglichen Konzepten kommen," betonte Freiherr von dem Bussche. Eine einheitliche Flächenprämie, die sich im Zeitablauf verringere, setze ein klares Signal, ohne neue Bürokratie hervorzubringen. Dagegen würde das Fischler-Modell zur Entkopplung ein größeres Durcheinander auslösen als die Verwaltung der Milchmarktordnung, deren Durchführung ständig nachgebessert werden musste.

In den Reformansätzen sollte auch nicht vergessen werden, so der DLG-Präsident, dass die Rentabilität der Landnutzung und das Entwicklungspotenzial der landwirtschaftlichen Unternehmen zu einem ganz erheblichen Teil von der Agrarpolitik abhängig sind. "Die Erweiterung und die Reform der EU müssen sicherstellen, dass die Betriebe weiter wachsen können." Harte Fördergrenzen, die eine bestimmte Hektarzahl, Herdengröße oder Umsatz als Maßstab benutzen, würden schlagartig positive Kosteneffekte in wachsenden Unternehmen verhindern. "Das wäre nicht sozial gerecht, sondern ruinös für viele Betriebe, die den Übergang zur Marktwirtschaft mit viel Energie und Weitsicht gerade geschafft haben," erklärte Freiherr von dem
Bussche.


Kappungsgrenze für ostdeutsche Betriebe: "Dieser Hammer muss in der Kiste bleiben"


In Ostdeutschland hätten sich neu strukturierte Unternehmen vielfach freiwillig zu neuen Betriebskooperationen zusammengeschlossen. Nach Meinung des DLG-Präsidenten ist die jetzt in Brüssel angedachte Kappungsgrenze für Beihilfen in Form eines Fallbeiles für den Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit dieser Betriebe äußerst kontraproduktiv. Für ihn ist nicht nachvollziehbar, warum es politisch gewollt sei, zehn Einzelunternehmer in voller Höhe zu fördern, ihnen aber einen Großteil der Mittel zu entziehen, wenn sie ihre Betriebe gemeinsam bewirtschaften. "Dieser Hammer muss in der Werkzeugkiste bleiben." Von der Prämiensenkung sollte kein Signal ausgehen, sinnvolle Kooperationen zu zerschlagen oder unsinnige Neugründungen zu provozieren, an denen die Juristen mehr verdienen als die Bauern. Unabsehbar wären seiner Meinung nach auch die Folgen für das Bodeneigentum und seine Beziehung zur Pacht.

Alle Veränderungen der Rahmenbedingungen sollten von einer zukunftsorientierten Vision für eine wettbewerbsfähige und gesellschaftlich verträgliche Landwirtschaft ausgehen. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die mit Hilfe des technischen Fortschrittes Kosten senken kann, Tiere artgerecht hält, die biotischen und abiotischen Ressourcen schützt und dem Verbraucher Qualität und Sicherheit der Nahrung bietet. Diese Landwirtschaft wird langfristig eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Auf die Rahmenbedingungen, unter denen wir zukünftig in Deutschland und Europa wirtschaften müssen, haben wir wenig Einfluss. Dem Landwirt bleibt aber auf einzelbetrieblicher Ebene die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, welche Maßnahmen er ergreift, um die ökonomischen Zwänge und die Forderungen der Gesellschaft zu bewältigen.


Der landwirtschaftliche Unternehmer besitzt Flexibilität und Risikobereitschaft


Die landwirtschaftlichen Betriebe geraten zunehmend unter Druck: Die finanziellen Einbußen infolge der schlechten Ernte in diesem Jahr, die agrarpolitischen Reformvorschläge aus Brüssel, die anstehende EU-Osterweiterung, eine verquere deutsche Agrarpolitik und viele lautstark gestellten Anforderungen der Gesellschaft zwingen landwirtschaftliche Betriebe zu neuen Konzepten und Strategien. Entgegen dem oft laut werdenden Pessimismus in der Landwirtschaft bin ich davon überzeugt, dass die Zukunft unseren Betrieben vielerlei erfolgversprechende Entwicklungschancen bieten. Vorausgesetzt, der Unternehmer besitzt neben hervorragenden produktionstechnischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen auch die nötige Flexibilität und Risikobereitschaft.


Senkung der Stückkosten weiterhin zentrales Ziel


Für die Landwirtschaft zeichnet sich der Weg in die Globalisierung bereits deutlich ab: Die bevorstehenden WTO-Verhandlungen werden eine weitere Liberalisierung und ein neues Regelwerk für die internationalen Agrarmärkte zur Folge haben. Exporte werden eines Tages nur noch ohne Subventionen möglich sein, die Importschranken werden nach und nach weitgehend fallen. In diesem Umfeld wird die Senkung der Stückkosten je erzeugter Einheit Getreide, Fleisch oder Milch einzelbetrieblich auch weiterhin ein zentrales Ziel in der Landwirtschaft bleiben.


EU-Osterweiterung führt zu schärferem Wettbewerb


Neben der Verschärfung des globalen Wettbewerbes wird es auch auf unserem heimischen Binnenmarkt zu gravierenden Änderungen kommen. Mit der anstehenden Ost-Erweiterung der EU im Jahre 2004 wird unser Binnenmarkt zukünftig vom Atlantik bis zur ungarischen Puszta und vom Nordkap bis Sizilien reichen. Mit dem Beitritt werden sich in den Kandidatenländern die Einkommen der Bevölkerung und somit ihre Kaufkraft erhöhen. Für kostengünstig hergestellte und attraktiv veredelte Lebensmittel werden unsere Betriebe neue Marktchancen bekommen. Andererseits müssen wir aber auch damit rechnen, dass die neuen Kollegen in Polen oder Ungarn unsere Verbraucher mit ihren regionalen Spezialitäten und unsere Verarbeiter mit preiswerten Rohstoffen versorgen wollen - und auf Dauer dann auch versorgen können! Somit wird der Wettbewerb innerhalb des EU-Binnenmarktes an Schärfe gewinnen.


Zwei wesentliche Strategien für die zukünftige Betriebsgestaltung


Vor diesen agrarpolitischen Fakten zeichnen sich zwei wesentliche Strategien einer zukunftsorientierten Betriebsgestaltung ab: Die überwiegende Mehrheit der landwirtschaftlichen Unternehmen wird Qualitätsprodukte mit modernen Produktionsverfahren bei niedrigen Kosten und gesicherten Umweltstandards herstellen. Ihre Abnehmer sind letztendlich die großen Verarbeiter der Nahrungsmittelindustrie sowie die Nutzer industrieller Rohstoffe. Andere Betriebe werden mehr Kundennähe suchen und regionale Wertschöpfung zum Beispiel durch attraktive Tierhaltung oder Bioprodukte anstreben. Zusätzliche Dienstleistungen als Energielieferant, Landschaftspfleger oder Tourismusanbieter erweitern dabei das Potenzial des Unternehmers im ländlichen Raum. Gerade unter dem Gedanken der Nachhaltigkeit wird die Erzeugung regenerativer Energien aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse für die Landwirtschaft eine Zukunftsaufgabe darstellen und ihr ganz neue Möglichkeiten der Wertschöpfung bieten.

 

Mit einem konsequenten Kostenmanagement dem wirtschaftlichen Druck begegnen


Neben neuen Betätigungsfeldern wird sich der Landwirt mit einem konsequenten Kostenmanagement dem zunehmend wirtschaftlichen Druck stellen müssen. Das Controlling erhält dadurch zunehmend Bedeutung. Dies gilt nicht nur für die integriert wirtschaftenden Betriebe, sondern mit der Einführung des Biosiegels auf europäischer Basis auch für die Ökobetriebe. Die Kosten lassen sich durch Betriebswachstum und eine optimale Auslastung der Ressourcen weiter senken. Wenn ein weiteres Wachsen des Betriebes nicht möglich oder gewünscht ist, kann die überbetriebliche Zusammenarbeit, wie Kooperationen von Betrieben, Nutzung von Maschinenringen und Lohnunternehmern die Arbeits- und Maschinenkosten reduzieren.


Marktpotenziale gehen bei einseitige Förderung verloren


Die Agrarpolitik sollte dabei den Strukturwandel nicht mit betriebswirtschaftlich unsinnigen Konzepten behindern, sondern positive Signale in Richtung Wachstum, Kostensenkung und unternehmerische Freiheit geben. Im Klartext bedeutet dies, dass eine forcierte Unterstützung von lokalen Strategien, wie ökologische Landwirtschaft oder Bauernhofcafes, nicht zulasten der Kostenführerschaft leistungsfähiger Großbetriebe gehen darf. Natürlich wäre es genauso falsch, nur die Discount- und Massenmärkte zu bedienen und die attraktiven Nischen der ausländischen Konkurrenz zu
überlassen. Wir werden in Deutschland nur dann eine blühende Agrarwirtschaft erhalten, wenn beide Strategien - sowohl die globale Kostenführerschaft, als auch die regionale Wertschöpfung - gefördert werden. Andernfalls überlässt man Marktpotenziale den Wertschöpfungsketten anderer Nationen.


Der einzelne Betrieb muss das Umfeld richtig analysieren und praktikable Lösungswege erarbeiten


Für die zukünftige Ausrichtung der Betriebe ist es entscheidend, dass die Landwirte und die Beratung das eigene Umfeld richtig analysieren und praktikable Lösungswege erarbeiten. Dabei ist sehr genau zu unterscheiden zwischen medial verstärkten Wünschen und tatsächlichem Verhalten der Verbraucher: Die Verbraucher sind anspruchsvoller geworden, dies haben uns die Reaktionen auf die jüngsten Lebensmittelkrisen gezeigt. Nicht nur ihre Ansprüche an die Produktvielfalt, sondern vor allem an die Produktsicherheit und -qualität sind gestiegen. Der Verbraucher erwartet, dass die Produktionsverfahren, mit denen die Rohstoffe erzeugt werden, die Umwelt schonen und dass die Regeln des Tierschutzes respektiert werden. Dies wollen sie sichergestellt haben. Eine immer größere Bedeutung wird auch das Herkunftsland bzw. die Herkunftsregion erhalten. Hierauf weist eine ganz aktuelle Verbraucherbefragung der DLG im Rhein-Main-Gebiet hin, die sich zur Zeit in der Endauswertung befindet. Ihre Ergebnisse werden auf Chancen für die landwirtschaftlichen Betriebe hinweisen, die aber auch genutzt werden müssen.


Landwirtschaft stärker in die Ernährungswirtschaft integrieren


Um die gesellschaftlichen Forderungen an die Nahrungsmittelerzeugung zu gewährleisten, muss die Landwirtschaft stärker in die Ernährungswirtschaft integriert werden. Gerade in der modernen Fleischproduktion wird die Bedeutung der Qualitätsgemeinschaften deutlich: Um erfolgreich am Markt zu agieren, muss jede Stufe das eigene Tun und Handeln dokumentieren und unterliegt dabei präzisen Kontrollen. So können alle Beteiligten im Sinne des Verbrauchers die Produktqualität besser dokumentieren und die Sicherheit weiter erhöhen.