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DLG-Wintertagung 2022

Wege in der neuen Realität – Ackerbau. Tierhaltung. Integration.

Eine neue Realität – dieser beunruhigende Gedanke zieht sich aktuell durch die Debatten. In der Landwirtschaft sind es eine Reihe von neuen Faktoren, die die gewohnten Mechaniken durcheinanderbringen. Diese reichen von Verwerfungen auf den globalen Märkten bis hin zu Grundsatzdebatten über die Ausrichtung der Landwirtschaft, die wir in Deutschland und Europa führen. Die DLG-Wintertagung 2022 in Münster hat die aktuelle Situation ausgelotet und die Debatte mit neuen Impulsen befeuert.

Faktoren wie ASP, Klimawandel, Artenvielfalt und eine neue Definition des Mensch-Tier-Verhältnisses werden maßgeblich zu einem Organisations- und Strukturwandel in der Wertschöpfungskette Lebensmittel beitragen. Sie setzen unsere Agrarbranche unter massiven Veränderungsdruck. Und zwar so anhaltend, dass die erwiesene Fähigkeit der Landwirtschaft zur Transformation auch in Zukunft erheblich gefordert sein wird.

Die neue Realität ist also die Transformation. Als wäre der Markt nicht Herausforderung genug, erleben wir gleichzeitig eine anschwellende Grundsatzdebatte die in unterschiedliche Richtungen führt: Öko, regional, artenschützend, klimaneutral, tiergerecht; gelegentlich auch produktiv und effizient. So lauten die schwerlich unter einen Hut zubringenden Anforderungen aus der Gesellschaft.

Wie sieht sie aus, die neue Realität, was bedeutet der Umbruch für Ackerbau und Tierhaltung? Wie lässt sich der neue Konsens, der zwischen den Akteuren aus Landwirtschaft und Umwelt in der gemeinsamen Arbeit von Zukunftskommission und Borchert-Kommission entwickelt hat, nutzen, damit sich Landwirte und Unternehmerinnen eine neue unternehmerische Perspektive eröffnen können? Wie entfachen wir die Begeisterung in der Gesellschaft für eine Landwirtschaft, die uns alle wieder mit Stolz erfüllt? Das waren die zentralen Themen, die auf der DLG-Wintertagung 2022 diskutiert wurden.

Tagung im Hybridformat

Das Zukunfts-Forum Agrar fand im letzten Jahr erstmals im Hybrid-Format statt. Insgesamt nahmen rund 3.500 Teilnehmer:innen (davon ca. 500 in Präsenz) am Plenum und den 14 Impulsforen am Vor- und Nachmittag teil, um sich fachlich über die neuesten Entwicklungen zu informieren und rege im Online-Chat mit den Referent:innen auszutauschen.

Zur Eröffnung der DLG-Wintertagung analysierte DLG-Präsident Hubertus Paetow die aktuellen Rahmenbedingungen: „Landwirtschaftliche Unternehmer müssen in der neuen Realität Wege finden, die Stärken des eigenen Standortes und ihrer Persönlichkeit bestmöglich im Sinne der Instrumente einzusetzen, die die Gesellschaft ihnen vorgibt. Eine nur durchschnittliche unternehmerische Qualifikation auf einem durchschnittlichen Standort wird in der neuen Realität nicht automatisch zu einem ausreichenden Ergebnis führen.“ Der Druck auf die Betriebe werde steigen, nach Alternativen zur Standardproduktion und neuen Geschäftsmodellen zu suchen, oder sich durch überdurchschnittliches Wissen und Können einen Vorsprung in der Rentabilität zu sichern.

Erweitertes Koordinatensystem für die Landwirtschaft

Neben Corona gebe es auch in der Gesellschaft, der Politik und auch auf den Weltmärkten neue Realitäten, ein „neues Normal“. Diese reichten von den Verwerfungen bei den Lieferketten für Dünger und Maschinen über die hochvolatilen Märkte für pflanzliche und tierische Produkte, bis hin zu den Grundsatzdebatten über die Ausrichtung der Landwirtschaft, die derzeit in Deutschland und Europa geführt werden. Die Klimaerwärmung und der Rückgang der Biodiversität bildeten die Indikatoren für dieses erweiterte Koordinatensystem, an dem die Landwirtschaft sich in der neuen Realität orientieren solle.

All diese neuen Faktoren brächten die gewohnten Mechanismen durcheinander und sorgten für Verunsicherung. Im Gegensatz zu den bisherigen Maßzahlen des Fortschritts, nämlich Ertrag und Faktorproduktivität, ließen sich diese neuen Indikatoren oder öffentlichen Güter nicht so einfach messen und bewerten, so Paetow. „Vor allem sind diese Indikatoren noch nicht im engeren Sinne marktfähig – eine politische Meinungsäußerung ist eben lange noch keine Kaufentscheidung.“ Damit fehlten für die Ausrichtung der Produktion dieser öffentlichen Güter die wesentlichen Indikatoren: Preis und Umsatz.

Für die Betriebe, aber auch auf den Märkten und in der Politik, würden so die gewohnten und gelernten Muster des Fortschritts nicht mehr so funktionieren wie in der Vergangenheit.

Anforderungen nicht einfach lösbar

Laut Paetow könnten die vielen neuen Anforderungen an die Produktion nicht mit einem einzigen Ansatz gelöst werden. Es ließe sich noch nicht absehen, welche Mechanismen in der neuen Realität zum Einsatz kommen sollen, um die vielfältigen Ziele der Transformation zu erreichen.

Einig sei man, dass der schonendere Umgang mit den natürlichen Ressourcen ein öffentliches Gut darstelle, sich also nicht in einem freien Spiel von Angebot und Nachfrage von selbst einstelle. Dafür brauche es marktpolitische Instrumente. Aber wie genau diese Instrumente aussehen müssten, in welchem Maße Verbote oder Anreize zum Einsatz kommen, dies sei auch nach längerer Diskussion noch nicht abzusehen.

Für landwirtschaftliche Betriebe komme es dabei in allererster Linie gar nicht darauf an, wie die Instrumente genau beschaffen sind. Ob die Umstellung der Produktion durch direkte Beihilfen für einen Tierwohlstallplatz oder über einen höheren Erlös für das produzierte Fleisch auf den Betrieb kommen, ändere an der grundsätzlichen strategischen Überlegung wenig.

Faktor Planbarkeit

Wichtig sei es allerdings, dass diese Instrumente zumindest über eine gewisse Zeit sicher funktionierten, so dass man sie mit in die Planung einer Investition einbeziehen könne. Bei all den berechtigten Forderungen nach mehr Planungssicherheit dürften die Landwirt:innen aber nicht den Fehler machen, Planungssicherheit mit Einkommensgarantie gleichzusetzen. „Das Risiko der unternehmerischen Fehlentscheidung oder einer nicht wettbewerbsfähigen Betriebsorganisation kann der Staat uns nicht abnehmen und das sollten wir auch nicht wollen“, so Paetow.

Eine gesunde Branche brauche den Wettbewerb, und zum Wettbewerb gehöre die Möglichkeit des Scheiterns untauglicher Konzepte und Durchführungen – sonst komme es unweigerlich zu Fehlallokationen. Nicht umsonst stehe in den Leitlinien der Zukunftskommission, dass die Veränderungen der Transformation betriebswirtschaftlich attraktiv sein können, aber nicht müssen.

Für die landwirtschaftlichen Betriebe heiße es daher, in der neuen Realität Wege zu finden, die Stärken des eigenen Standortes und der eigenen Unternehmerpersönlichkeit bestmöglich im Sinne der Instrumente einzusetzen, die die Gesellschaft vorgibt.

Überdurchschnittliche unternehmerische Qualifikation gefragt

„Nicht jeder wird einen Tierwohlstall mit zugehörigem Vermarktungskonzept, einen Biobetrieb mit Spezialkulturen oder eine erfolgreiche Direktvermarktung aufbauen und betreiben. Und nicht jeder Standort eignet sich in Zukunft für eine auf den globalen Märkten konkurrenzfähige Getreide- und Ölsaatenproduktion“, sagte der DLG-Präsident, und nicht jeder habe die Fähigkeiten, durch penibelste Kostenkontrolle die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. „Eine nur durchschnittliche unternehmerische Qualifikation auf einem durchschnittlichen Standort wird in der neuen Realität nicht automatisch zu einem ausreichenden Ergebnis führen.“

Paetow stellte abschließend fest, dass für die Unternehmer der Druck weiter steigen werde, entweder kreativ nach Alternativen zur Standardproduktion, nach neuen Geschäftsmodellen zu suchen, vielleicht mit starken Partnern in einer Integration, oder sich durch überdurchschnittliches Wissen und Können einen Vorsprung in der Rentabilität sichern müssten.

Dennoch sieht der DLG-Präsident optimistisch in die Zukunft: „Die neue Realität bietet viele Wege zum Erfolg. Sie sind vielleicht schwieriger zu finden und zu beschreiten als früher, es sind eher viele Pfade als eine große Autobahn, aber es gibt sie. Lassen Sie uns gemeinsam im Fachnetzwerk der DLG auch unter den neuen Bedingungen nach diesen Wegen des Fortschritts suchen, im engen Austausch miteinander und mit allen, die an dieser neuen Realität mitgestalten.“

In der anschließenden Plenumsveranstaltung referierte Dr. Eike Wenzel, Gründer und Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ), über die „Transformation in der Landwirtschaft: Wie wir uns in Zukunft ernähren werden“. Prof. Dr. Alfons Balmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), erläuterte dem Publikum, was der Umbruch in der Landwirtschaft für Ackerbau und Tierhaltung bedeutet. In einer anschließenden Diskussionsrunde mit Landwirt:Innen aus dem DLG-Netzwerk Thomas Korte, Benjamin Beume und Stefan Cramm, konnten die beiden Wissenschaftler auf die Fragen der Praxis mit herausragenden Experten aus der Landwirtschaft eingehen.

In den 14 Impulsforen wurden anschließend folgende Themen im Netzwerk diskutiert und von den Ausschüssen durchgeführt:

  • „Krisen-Hopping in der Schweinehaltung“,
  • „Unternehmer und Betriebskonzepte im Fokus - Herausforderungen für die zukünftige Landwirtschaft“,
  • „Konflikte überwinden im ländlichen Raum“,
  • „Knappe Nährstoffe verfügbar machen“ und
  • „Milcherzeugung mit Zukunft“.
  • „Quellen und Ökonomie der Nährstoffversorgung im Ökolandbau“,
  • „Chancen durch Technik: Digitale Assistenzsysteme in der Tierhaltung“,
  • „Zukunftswald – marktorientiert, kostenbewusst und risikoarm“ und
  • „Sorgfaltspflicht in agrarischen Lieferketten ernst nehmen: Was bedeutet das Lieferkettengesetzt für die Landwirtschaft?“
  • „Züchtung für die Hybridlandwirtschaft“.
  • „Zukunft der Schweinehaltung – Perspektiven aus Sicht der jungen Generation“,
  • „Tierwohl-Monitoring – Konsequenz eines öffentlich finanzierten Umbaus der Tierhaltung?“ und
  • „30% Ökolandbau bis 2030: nahes Ziel oder ferne Vision?“.