Zum Hauptinhalt springen

Rettet die Einführung von Artikel 148 GMO den Milchmarkt?

Die Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Verarbeitern sollen künftig in einem schriftlichen Vertrag erfasst werden, der sowohl den Preis im Voraus als auch die Liefermenge regelt. Die Gemeinsame Marktorganisation (GMO) ermöglicht es den EU-Staaten, verbindlich vorzuschreiben, dass Rohmilchlieferungen nur aufgrund schriftlicher Verträge über Preis im Voraus, Menge und Laufzeit erfolgen dürfen. Der nationale Gesetzgeber kann auf Grundlage von Artikel 148 der Verordnung 1308/2013 (GMO) eine generelle Vertragspflicht einführen. Das Bundesagrarministerium (BMEL) will mit der nationalen Umsetzung des Artikels 148 der GMO staatliche Eingriffe in Milchlieferbeziehungen gesetzlich verankern.

Molkereien sollen verpflichtet werden, ihren Lieferanten für mindestens 80 Prozent der Menge ein Angebot über einen Preis-Mengen-Bezug gemäß Artikel 148 GMO zu unterbreiten. Dies lehnen die Betriebe ab. In der Branche ist ein Streit von Befürworten und Gegnern über die geplante nationale Umsetzung von Artikel 148 GMO entfacht. In einem Pro und Contra haben wir die Argumente gegen eine Einführung von Artikel 148 GMO von Eckhard Heuser, Geschäftsführer Milchindustrieverband (MIV), und für vertragliche Regelungen von Karsten Hansen, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), zusammengestellt.

Karsten Hansen, Vorsitzender Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM)

Kann die reine Vorgabe des Staates, dass vor der Lieferung eines Produktes ein Preis sowie die Mengen und die Lieferdauer vertraglich vereinbart werden müssen, schon als Eingriff in die Marktwirtschaft bezeichnet werden, wo doch die konkreten Vertragsinhalte zwischen den Verhandlungspartnern weiterhin frei verhandelbar bleiben? Wir meinen nicht! Vor allem auch deshalb nicht, weil die Molkereiunternehmen uns Milcherzeugern ebenfalls nicht zugestehen, für die erfolgte Lieferung eine Rechnung auszustellen.
Natürlich werden auch heute schon, vor allem mit Privatmolkereien, Rohmilchlieferverträge abgeschlossen, doch in den seltensten Fällen wissen wir Milcherzeuger, welchen ganz konkreten Preis wir für die von uns gelieferte Milch erhalten, schon gar nicht über einen längeren Zeitraum hinweg. Da kann man nicht von Planungssicherheit sprechen – ganz im Gegensatz zur Molkereiwirtschaft. Für die Molkereiwirtschaft bestehen in mehrfacher Hinsicht längerfristige Planungssicherheiten:

  • Preiszugeständnisse, die sie gegenüber ihren Abnehmern machen, können umgehend an die Milcherzeuger weitergegeben werden. Damit geht das Preisrisiko der Molkerei gegen Null.
  • Die Vertragslaufzeiten sind in der Regel längerfristig angelegt, ohne Möglichkeit für die Milcherzeuger, bei Uneinigkeit über den Milcherzeugerpreis aus dem Vertrag herauszukommen.
  • Die Möglichkeit, sich zumindest für einen Teil der erzeugten Rohmilch mit einem weiteren Abnehmer zu vereinbaren, wird ausgeschlossen. Das Rohstoffrisiko der Molkereien geht damit ebenfalls gegen Null.

Bezeichnend auch Ihre Aussage und die in den Genossenschaften gelebte Praxis, dass der Genossenschaftsvorstand den Milchpreis bestimmt. In einer Marktwirtschaft sollte gelten, dass sich der Preis auf Grundlage von Angebot und Nachfrage bildet. In diesem Zusammenhang erinnern wir uns wieder an die Aussage einer Molkereiführungskraft, die lautete: „Sie (wir Milcherzeuger) bekommen nicht das, was übrig bleibt, sondern das, was wir ihnen geben wollen“.

Was daran problematisch sein soll, wenn Erzeuger A etwas anderes fordert als Erzeuger B, erschließt sich uns nicht. Könnte damit nicht ein Wettbewerb um bessere Erzeugerpreise angekurbelt werden?

Sie suggerieren, dass mit der Umsetzung des Artikels 148 GMO in nationales Recht eine Verpflichtung für die Molkereien verbunden ist, 80 % der Milchmenge an den Börsen abzusichern. Von einer derartigen Verpflichtung kann jedoch keine Rede sein. Das sind bewusst gezündete Nebelkerzen, die einzig der Verunsicherung der Milcherzeuger dienen sollen. Ist es nicht vielmehr so, dass Sie das Marktrisiko, das Sie bisher so unproblematisch auf die Milcherzeuger abgewälzt haben, selbst auf keinen Fall auch nur in Teilen tragen wollen und nach Möglichkeiten suchen, sich hier abzusichern? Was für die Milcherzeuger recht ist, ist für Sie also nicht billig? Wir weisen darauf hin, dass schon heute in vielen Molkereiunternehmen der Absatz der Milchprodukte über Vertragsvereinbarungen mit entsprechenden Laufzeiten abgesichert sein dürfte.

Ob die Situation, dass wir in Deutschland bessere Milchpreise als in Frankreich und Spanien haben, auch zukünftig Bestand haben wird, muss sich erst noch zeigen. Erste Anzeichen könnten eine Umkehr andeuten, zudem ist in Art. 148 GMO keine Vorgabe zu finden, wonach der Artikel nur anwendbar ist, wenn der Sitz des Käufers in Deutschland ist.

Wir versichern Ihnen, wir wollen den Markt nicht aushebeln, wir wollen vielmehr ein Marktpartner werden, der ernst zu nehmen ist. Die Branche hat nach der Milchmarktkrise 2015/16 laut getönt, Lösungen auf freiwilliger Basis zu erarbeiten und damit politisches Handeln überflüssig zu machen. Die Branchenstrategie 2030 war das Ergebnis, die Sie jetzt ebenfalls als Lösung benennen. Weder die von Ihnen zitierte Initiative Milch noch QM-Milch haben die Marktsituation für die Erzeuger jedoch auch nur einen Millimeter nennenswert verbessert. Überspitztes Resümee: Außer Spesen nicht viel gewesen!
Bei den Diskussionen um die Strategie 2030 der Molkereiwirtschaft waren „kleinere“ Erzeugerverbände gar nicht mit am Verhandlungstisch. Der BDM war dabei, aber er sollte aufgrund einer eigens geschaffenen Sonderregelung lediglich in den Arbeitsgruppen mitarbeiten dürfen. Entschieden wurde im sogenannten Lenkungsgremium, da hat man den Vertreterinnen und Vertretern des BDM e.V. den Zugang verweigert. Dass unsere Entscheidung, die Strategie 2030, die qua Entscheidung des Lenkungsgremiums keinen von uns für elementar erachteten marktpolitischen Ansatz mehr enthielt, nicht mitzutragen, letztlich begründet war, zeigt die fehlende positive Wirkung der in der Strategie 2030 enthaltenen Maßnahmen.

Auch heute noch verwehren sich die Verbände der Molkereiwirtschaft samt Bauernverband allen Überlegungen, wie mit marktwirtschaftlichen Instrumenten die Marktstellung von uns Milcherzeugern gestärkt, aufziehenden Marktkrisen entgegengewirkt und mit wirkungsvollem Marktmanagement über den Verkauf unserer Agrarprodukte ein gewinnbringendes Einkommen erzielt werden könnte.

An den „Verhandlungstisch“ zurückzukehren, würde nur dann Sinn machen, wenn es eine grundsätzliche Bereitschaft der Molkereiwirtschaft gäbe, über eine Verbesserung der Verhandlungsposition der Milcherzeuger wirklich verhandeln zu wollen. Dass sie dazu überhaupt nicht bereit ist, zeigt geradezu exemplarisch die Vehemenz, mit der gegen die nationale Umsetzung von Art. 148 GMO gekämpft wird.

Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer Milchindustrie-Verband e. V. (MIV)

Seit über zehn Jahren können die Mitgliedstaaten Eingriffe in das nationale Kaufrecht bei Rohmilch zulassen. Das sieht der berühmte Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisaton (GMO) vor. Deutschland hat aus gutem Grund nie davon Gebrauch gemacht. Das soll sich nun nach dem Willen des Landwirtschaftsministeriums ändern. Dem Regierungsapparat wurde ein Verordnungsentwurf zugeleitet, der das vorsieht. Am Ende des Tages müsste der Bundesrat dazu beraten und beschließen.

Die letzte Agrarministerkonferenz hatte zum 10. Mal dazu diskutiert. Nur die Bundesländer Hamburg, Bremen, Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen sind dafür, soll heißen: Derzeit gibt es keine Mehrheit für das Vorhaben. Warum auch? Die Mehrheit der Milcherzeuger ist dagegen, der Genossenschaftsverband warnt und auch der Milchindustrie-Verband hält nichts von dem Vorschlag. Er ist politisch motiviert und wird von alternativen Kleinverbänden gefordert. Allerdings schreibt der Bundesverband der Milchviehhalter (BDM) selbst: „Es stellt sich damit noch nicht automatisch eine bessere Verhandlungsposition ein und damit in Folge automatisch höhere Milchpreise.“ Dann wird sogar gefordert: Noch mehr Regelungen. Bürokratieabbau funktioniert anders!

Das Thünen-Institut als neutrale Bundesforschungsstelle hatte das Vorhaben geprüft und kam zu dem Ergebnis: „Der Markt funktioniert, aus diesem Grunde zumindest braucht es keine Reform.“ Warum sich nun die Leitung des Ministeriums für eine Änderung ausspricht, erfährt die Branche hoffentlich bei der geplanten Anhörung. Eingriffe des Staates in die Marktwirtschaft müssen gut begründet sein, einer validen Folgenabschätzung genügen und ein angemessenes Kosten-Nutzenverhältnis aufweisen. Das ist bei der geplanten Umsetzung des Artikel 148 GMO nicht der Fall. Wir hoffen, dass der Koalitionsausschuss und der Bundesrat dem Entwurf nicht zustimmen.

Der Entwurf sollte zurückgezogen werden. Offen bleibt zuvorderst, was die neue Regelung tatsächlich Neues bringt. Rohmilchlieferverträge werden nach aktueller Praxis bereits schriftlich geschlossen, sie haben eine bestimmte Laufzeit bzw. es besteht ein Kündigungsrecht. Selbstverständlich enthalten die heutigen Verträge auch Regelungen über die Liefermenge und den Preis. Und das nicht für 80 Prozent der Liefermenge, sondern für 100 Prozent. Mehr verlangt die neue Regelung nicht. Angebote seitens der Molkereien für die Vermittlung von Preisabsicherungsgeschäften und eines Festpreises sind nur als fakultative „kann“-Bestimmung vorgesehen. Ansonsten muss eine „Preisformel“ einvernehmlich entwickelt werden.

Der Begriff „Preisformel“ hört sich niedlich an. Wenn die Molkerei eine Preisformel für den Rohmilchpreis entwickelt, wird das zum Roulettespiel. Man kann natürlich den angebotenen Rohmilchpreis an Kosten orientieren wie Futter, Dünger, Energie und Pacht. Was nutzt aber die beste Preisformel, wenn die Molkerei „vorne“ das Geld nicht einnehmen kann. Der H-Milchpreis steigt doch nicht automatisch, weil beim Landwirt die Futterkosten steigen. Wer glaubt denn so etwas? Die Alternative „Preisabsicherung“ ist eine teure. Schon heute bieten viele Molkereien das ihren Landwirten an. Das kann man an Börsen absichern oder OTC-Produkte kaufen (OTC = over the counter). Dabei kann die Molkerei aber nur zu dem Preis absichern, der gerade für die Zukunft angeboten wird. Preisabsicherung ist kein Wunschkonzert.

Der Vorschlag des Ministers sieht vor, das mindestens 80 Prozent der Rohmilchmenge eines jeden Erzeugers als „Festpreis“ anzubieten ist. Angenommen, alle Molkereien würden das an der Börse absichern, entstehen Kosten, die die Wissenschaft zwischen 80 und 130 Mio. €/a schätzt. Das sind lediglich die „Börsenkosten“. Wenn die abgesicherten Preise sich bewegen, muss unterjährig nachgeschossen werden. Profis kennen das aus der Getreidevermarktung. Das kann sich trotzdem lohnen, sollte aber von den Beteiligten selber entschieden werden und nicht durch den Staat!

Erst recht sollte der Staat nicht in die Satzungshoheit der Genossenschaft eingreifen. Die können selber demokratisch entscheiden, was gut und schlecht für das Unternehmen und den Landwirt ist! Wenn es beim jetzigen Stand der Entwürfe bleibt, kann man allen Molkereien nur anraten, lediglich das Interventionsniveau abzusichern, das Brüssel derzeit anbietet. Damit ist aber niemanden gedient, lediglich die Kriterien der Verordnung werden erfüllt.