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Eine Schere, die spaltet

Dr. Willi Kremer-Schillings zur Frage, ob CRISPR/Cas9 Gentechnik ist

Atomkraft, Glyphosat und Gentechnik: Es gibt Themen, die können kaum noch sachlich diskutiert werden. Atomkraft ist in Deutschland wohl medial „abgeräumt“, weil beendet. Um Glyphosat dürfte es die nächsten Jahre ruhiger werden, wenn sich nicht die aktuelle Bundesregierung noch etwas „Besonderes“ für Deutschland einfallen lässt. Bleibt noch die Gentechnik, die aktuell wieder kontrovers diskutiert wird. So konnte sich in dieser Woche der EU-Agrarrat nicht auf den Kompromissentwurf der spanischen Ratspräsidentschaft zu neuen Pflanzenzüchtungstechniken (Neue genomische Techniken, kurz NGT) einigen.

Genau hier scheiden sich die Geister. CRISPR/Cas9 ist das, was man umgangssprachlich „Genschere“ nennt. Mittels dieses Werkzeuges ist der Züchter in der Lage, an einer Pflanze ganz gezielt nicht erwünschte Eigenschaften auszuschalten oder auszuschneiden und an den ausgeschnittenen Stellen des Erbgutes erwünschte Eigenschaften einzufügen. Anders als bei der bisherigen Gentechnik ist NGT am Endprodukt nicht nachweisbar, weil es auch eine natürliche Mutation hätte sein können.  

Die Frage, ob es sich bei den NGT um Gentechnik handelt, ist meines Erachtens einfach zu beantworten: Wenn die seit Jahrzehnten praktizierte Mutationszüchtung mittels Bestrahlung oder Chemikalien keine Gentechnik ist, dann ist es die Genschere auch nicht. Oder anders: Wenn die Kritiker der NGT eine Kennzeichnung der so erstellten Organismen fordern, dann müssen dieser Logik folgend auch die konventionellen, also durch künstlich herbeigeführte Mutation entstandenen Produkte gekennzeichnet werden. 

Patentierung mit Auflagen

Eines der häufigsten Argumente ist die Aussage, dass dieses Verfahren nicht ausreichend geprüft ist und die Gefahr besteht, dass bei einer „Freisetzung“ der genetisch veränderten Nutzpflanzen Wildpflanzen beeinflusst würden. Das würde aber für alle Formen der Züchtung gelten. Mir persönlich ist kein Fall bekannt, in dem das weltweit schon einmal passiert sein sollte. Mich erinnert die Diskussion an die Bio-Gurke, die in Kunststoff eingeschweißt wird, damit sie nicht von der konventionellen Gurke „kontaminiert“ wird.

Neben der fachlichen Kritik wird vonseiten einiger landwirtschaftlichen Gruppen die Gefahr gesehen, dass mit den neuen Züchtungstechniken „eine Abhängigkeit von den Großkonzernen“ entstehen könnte. Verständlich ist, dass die Züchtungsunternehmen mit ihrer Arbeit Geld verdienen möchten. Vonseiten des Gesetzgebers könnte jedoch festgelegt werden, dass eine Patentierung dieser Produkte nicht zulässig ist. Ich bin relativ sicher, dass dennoch Züchter und Landwirt zueinanderkommen, wenn Preis und Leistung passen.

Klimawandel fördert invasive Schädlinge 

Bei bestimmten Kulturen wie zum Beispiel beim Getreide hat es in den vergangenen Jahren kaum noch einen Ertragsfortschritt gegeben. Das hat vielfältige Gründe, unter anderem auch den Klimawandel. Hinzu kommen noch Krankheiten und Schädlinge, die wir bisher so noch nicht kannten. Beispiele: Im Zuckerrübenanbau hat in diesem Jahr in Süddeutschland „Stolbur“ (ein Phytoplasma-Bakterium) zu gravierenden Ertrags- und Qualitätseinbußen geführt. Die Kirschessigfliege kannte vor zehn Jahren kaum einer, heute gefährdet sie einen erfolgreichen Obstbau. Die Grüne Reiswanze oder die Marmorierte Baumwanze gehören ebenfalls zu den neuen Schädlingen, die als invasive Arten neue Probleme schaffen. Gleiches gilt für wärmeliebende Unkräuter, die zunehmend Probleme machen oder für Krankheiten, die sich in dem veränderten Klima ebenfalls anpassen und so die Pflanzen gefährden. Die Züchtung mittels Genschere kann solche Aufgaben schneller lösen als die herkömmliche Mutationszüchtung.

Reduktion von Pflanzenschutzmitteln

Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln ist politisch und gesellschaftlich gewünscht. Für Landwirte ist deren Einsatz ein bedeutsamer Kostenfaktor. Es spricht also alles dafür, die Resistenzzüchtung durch den gezielten Einsatz der Genschere zu beschleunigen und so auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verzichten zu können. Ein Beispiel: Kartoffeln, die durch das Einfügen von Genen aus Wildkartoffeln gegen Kraut- und Knollenfäule resistent gemacht wurden. Hier zeigt sich allerdings ein Zielkonflikt: Die Gesellschaft will keinen Pflanzenschutz und keine Genschere. Womit wir wieder am Anfang wären: Es gibt Themen, die kaum noch sachlich diskutiert werden können. Zu lösen wäre der Zielkonflikt mit einer sachlichen und wissenschaftlichen Betrachtung ohne ideologische Scheuklappen.

Dr. Willi Kremer-Schillings,
Steinbrückerhof, Rommerskirchen,
kremer-schillings@t-online.de