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Gesellschaftsverträgen gehört die Zukunft

Daphne Huber zur EU-Entscheidung, Glyphosat um zehn Jahre zu verlängern

Einen heißen Herbst sollte es für den Pflanzenschutz geben. Mit der Empfehlung der EU-Kommission, das Herbizid Glyphosat für weitere zehn Jahre bis 2033 in der EU zuzulassen, ist in dieser Woche eine wegweisende Vorentscheidung gefallen, bevor die ersten Herbststürme durchs Land fegen. Ein solch besonnenes, auf wissenschaftlichen Fakten basierendes Signal der EU-Behörde trägt zur Beruhigung der hitzigen Diskussionen pro und contra Glyphosat in der Agrarbranche bei.

Manche sprechen schon davon, dass die Vernunft am Ende doch siegen könnte. Denn auch auf dem EU-Agrarrat in dieser Woche in Brüssel bescheinigte der grüne Bundesagrarminister Cem Özdemir den Plänen der EU-Kommission zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln (SUR) handwerkliche Fehler. Und wer die Rede von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen zur Lage der EU vor Kurzem genau verfolgt hat, konnte wohl die Zwischentöne in ihren erstaunlich langen Ausführungen zum europäischen Green Deal erkennen. Sie schlug angesichts der neuen Versorgungslage mit Nahrungsmitteln vor, ihr eigentliches Lieblingsprojekt zu überarbeiten. Damit sind die Weichen gestellt in Richtung einer Ernährungssicherung im Einklang mit einer ressourcenschonenden Bewirtschaftung. Dazu gehört der Zugang zu technischem Fortschritt, verbunden mit Regeln, die eine sachgemäße Anwendung im Hinblick auf Arten- und Umweltschutz sowie Verbrauchergesundheit sicherstellen. Pflanzenschutz - richtig angewendet - ist dabei ein wichtiger Bestandteil.

Offiziell ist der umstrittene herbizide Wirkstoff noch bis zum 15. Dezember 2023 in der EU zugelassen. Über die Verlängerung wollen sich die EU-Beamten bereits am heutigen Freitag mit Vertretern der EU-Mitgliedsländer austauschen. Im Anschluss daran steht am 13. Oktober eine Abstimmung im Ständigen Ausschuss für Tiere, Pflanzen, Lebens- und Futtermittel (SCoPAFF) auf dem Programm. Hier kommt es auf eine qualifizierte Mehrheit an. Der EU-Ministerrat ist am 22. Oktober aufgefordert, endgültig über die Zukunft des Herbizids zu entscheiden. Eine Wiederzulassung wird mit der frühzeitig erfolgten Festlegung immer wahrscheinlicher. Denn kommt es beim Finale zu keiner Mehrheit, hat die EU-Kommission das letzte Wort.

Die vielen Grabenkämpfe, die in der Diskussion um Pro und Contra in den vergangenen Jahren geführt wurden, dürften mit einer erneuten Zulassung für weitere zehn Jahre fürs Erste beendet sein. Das ist auch gut so. Alle erhitzten Gemüter sollten sich den wissenschaftlichen Fakten zuwenden. Selbst die EU-Gesundheitsbehörde (Efsa) hat Ende Juni bei der Vorlage ihrer dreijährigen Analyse von Tausenden von Studien keine Belege für ein erhebliches Gefahrenpotential gefunden, allerdings gleichzeitig auf Datenlücken bei Folgen für Ernährung und Wasserpflanzen hingewiesen.

Die Bundesregierung ist gut beraten, die Büchse der Pandora nicht zu öffnen und darauf zu verzichten, mit der Brechstande ein nationales Verbot des Totalherbizids ab 2024 durchzupeitschen. Das damit krachend gescheiterte Österreich sollte ein warnendes Beispiel sein.

„Unser Vorschlag basiert auf wissenschaftlich fundierten Informationen“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission in dieser Woche. Dennoch hat die EU-Kommission der Anwendung von Glyphosat keinen Persilschein ausgestellt. Die Verlängerung ist verknüpft mit Maßnahmen zur Risikominderung bei der Abdrift, die Landwirt:innen einhalten müssen, damit der Wirkstoff nicht in Flüsse und andere Oberflächengewässer gelangt. Für jeden landwirtschaftlichen Betrieb gehört diese Auflage, Pflanzenschutzmittel nur bei Windstille und mit modernen Geräten auszubringen, längst zur guten fachlichen Praxis. Die große Nachfrage von emissionsarmen Ausbringungsgeräten für Düngung und Pflanzenschutz im Investitionsförderungsprogramm der Bundesregierung über 1 Mrd. € (Bauernmilliarde) hat gezeigt, welch hohen Stellenwert Umweltschutz, aber auch der effiziente Einsatz von Betriebsmitteln mittlerweile haben.

Özdemir will Änderungen beim SUR

Überraschend vorsichtig hatte sich Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) zur geplanten Verlängerung von Glyphosat geäußert. „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen“, sagte er in einem Statement. Eine vielfältige und intakte Pflanzen- und Tierwelt sei die Voraussetzung für sichere Ernten. Özdemir will sich mit seinen europäischen Amtskollegen dazu auszutauschen.

Inzwischen ist eine gewisse Besonnenheit beim grünen Minister zur Halbzeit der Legislaturperiode der Ampelkoalition eingekehrt. Bestes Beispiel ist die geplante EU-Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, Sustainable Use Regulation (SUR), ein weiterer Aufreger in diesem Herbst. Hier wiederholte er am Rande des EU-Agrarrats in dieser Woche in Brüssel seine Bedenken in Hinblick auf "handwerkliche Fehler" bei der SUR, die er vor Kurzem beim Besuch eines Weinbaubetriebes mit Länderkollege Wolfram Günther (Grüne) offen eingeräumt hatte. Korrekturbedarf sieht Özdemir bei der Definition von sensiblen Gebieten und beim bürokratischen Aufwand, er spricht sich für Ausnahmen beim Wein- und Obstbau sowie bei Sonderkulturen aus.

Der Minister will sich in Brüssel dafür einsetzen, dass die Pläne der EU zur SUR, so wie sie bislang vorliegen, nicht umgesetzt werden. Dessen ungeachtet befürwortet er eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln und liegt damit auf Linie mit der deutschen Pflanzenschutzindustrie und der Agrarbranche, die längst von der Devise „Viel hilft viel“ abgerückt sind und mit technischer Innovation und digitaler Technologie alles tun, um den Pflanzenschutz zu minimieren, Ressourcen zu schonen und aktiv Artenschutz zu betreiben.

Diese Bemühungen stoßen bei Özdemir, der ja bekannt dafür ist, offen in jede Sitzung zu gehen, auf offene Ohren. „Wir haben eine Struktur, die andere Länder so nicht haben“, sagte er. Nötig sei eine ausgewogene Lösung. Die Interessen von Naturschutz und Landwirtschaft zusammenzubringen, sieht er auf einem guten Weg. Er ist davon überzeugt, dass die vorliegenden Pläne der EU so nicht umgesetzt werden. Sein Motto ist eine „Politik mit Maß und Mitte“. Was liegt da für ihn als potenziellem Nachfolger von Winfried Kretschmann, dem grünen Ministerpräsident in Baden-Württemberg, näher, als das Biodiversitätsstärkungsgesetz im Ländle als ein positives Beispiel für einen gemeinsamen Konsens heranzuführen.

Erfolgsmodell Niedersächsischer Weg

Eine zufriedene Bilanz nach einem Jahr legten in dieser Woche die Vertreter:innen von Politik, Landwirtschaft und Umweltverbänden für das Erfolgsmodell Niedersächsischer Weg vor. Sie konnten sich unter anderem auf gemeinsame Regeln zu Gewässerrandstreifen einigen, die den Eintrag von Stoffen ins Gewässer verhindern und deren ökologische Qualität verbessern sollen. Wichtig war allen Beteiligten, dass Landwirt:innen dadurch keine wirtschaftlichen Nachteile haben. Deshalb erhalten sie für Ertragseinbußen, zu denen es durch den eingeschränkten Einsatz von Pflanzenschutz kommt, einen Ausgleich zwischen 649 und 784 €/ha, der aus der Wasserentnahmegebühr finanziert wird. Diese Entschädigungen sind von der EU-Kommission abgesegnet und sollten daher auch für weitere Entscheidungen in Brüssel und Berlin Vorbildcharakter haben.

Green Deal überarbeiten

Die im Mai bevorstehende Europawahl machts möglich. So hat sich die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede vor einer Woche zur Lage in der EU dafür ausgesprochen, dass der europäische Green Deal in den Punkten zur Landwirtschaft überarbeitet werden müsse. Sie schlägt einen Dialog mit allen Stakeholdern zum Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft vor. Diesen Aufruf sollten alle Beteiligten ergebnisoffen aufgreifen. Sicher will von der Leyen als EU-Kommissionpräsidentin 2024 wiedergewählt werden und schlägt nun sanftere Töne in Richtung Landwirtschaft und europäische Volkspartei an. Und sie kann nun befreiter auftreten, nachdem ihr strenger Green-Deal-Hüter Frans Timmermans von der europäischen Bühne in die Niederungen der niederländischen Politik hinabgestiegen ist.

Die Produktion sei nicht selbstverständlich, denn die Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine, der Klimawandel mit Dürren, Waldbränden und Überflutungen, aber auch neue Verpflichtungen prägen zunehmend die Arbeit der Landwirte und ihre Einkommenssituation, sagte von der Leyen in ihrer Rede.

Viele setzen sich schon heute für eine nachhaltigere Landwirtschaft ein. Um die Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen, bietet von der Leyen mehr Dialog und weniger Polarisierung an. Konkret will sie einen Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU starten. Das Signal sollten alle aufgreifen. Egal ob es um Glyphosat, Ernährungssicherung oder Energieversorgung geht, ein Konsens zwischen Politik und Gesellschaft ist nur gemeinsam im Dialog zu erreichen.