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Der kooperative Ansatz bringt mehr als starre Verbote

Dr. Dominik Modrzejewski zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes

Ende Juli 2020 trat in Baden-Württemberg das Biodiversitätsstärkungsgesetz in Kraft. Es ist das Ergebnis eines gemeinsam mit Naturschutz und Landwirtschaft gefundenen Ansatzes zur Verbesserung der Artenvielfalt im Land. Mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz wurde eine Grundlage geschaffen, die den landwirtschaftlichen Betrieben in Baden-Württemberg eine Perspektive bietet.

Das Biodiversitätsstärkungsgesetz beinhaltet ein Bündel an Maßnahmen, die neben der Landwirtschaft auch den Verkehrsbereich, öffentliche Flächen und private Haushalte betreffen. Dazu gehören unter anderem die Reduktion der Menge chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel (PSM) um 40 bis 50 Prozent bis 2030 durch Kooperation und Anreize, die Umsetzung des Verbots von chemisch-synthetischen PSM in Naturschutzgebieten, die Einhaltung zusätzlicher landesspezifischer Vorgaben (IPSPlus) in den übrigen Schutzgebieten zusätzlich zu den allgemeinen Grundsätzen zum Integrierten Pflanzenschutz, der Ausbau des Ökolandbaus, der Erhalt von Streuobstwiesen, ein Verbot von Schottergärten auf Privatgrundstücken und die Minimierung der Lichtverschmutzung.

Um die Pflanzenschutzmittelreduktion in der Landwirtschaft messen und bewerten zu können, wurde unter Beteiligung der Landesbauernverbände sowie der Obst- und Weinbauverbände ein Betriebsmessnetz aufgebaut, bei dem Landwirtinnen und Landwirte ihre Daten zur Pflanzenschutzmittelanwendung anonymisiert zur Verfügung gestellt haben. Anfang Dezember 2022 wurde der Bericht zur Anwendung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) veröffentlicht, der erstmals Erhebungsdaten des Betriebsmessnetzes enthält. 

Aufgrund der witterungsbedingt jährlichen Schwankungen wurde als Baseline ein Mittelwert der Pflanzenschutzmittelanwendungen aus den Jahren 2016 bis 2019 gebildet. Demnach wurden in Baden-Württemberg nach den Ergebnissen des Betriebsmessnetzes im Mittel der Jahre 2016 bis 2019 rund 2.182 t Pflanzenschutzmittelwirkstoffe ausgebracht. Hierbei stehen die Herbizide mit 900 t an der Spitze, gefolgt von Fungiziden mit 600 bis 850 t. Die Insektizide und Akarazide liegen unter 100 t.

Dieser Wert dient als Baseline für das Betriebsmessnetz und wurde zur Erreichung der Reduktionsziele festgeschrieben. Im Jahr 2020 betrug die ausgebrachte Menge 1.969 t. Das bedeutet einen Rückgang um 10 Prozent.

Die Anwendungsmengen bei den einzelnen Kulturen hängen neben der kultusartspezifischen Pflanzenschutzmittelintensität von ihrem Flächenumfang ab. Mit über 400 t Wirkstoffmenge steht an erster Stelle der Winterweizen, gefolgt von den Kulturen Wein, Mais und Wintergerste. In den Daten enthalten sind auch nicht landwirtschaftliche Pflanzenschutzmittelanwendungen wie der Einsatz bei der Deutschen Bahn, in Haus- und Kleingärten oder öffentlichen Grünflächen.

Pauschale Verbote sind der falsche Weg

Zu den Reduktionspotentialen gehören auch die politisch vorgegebenen Verbote, die allerdings aus Sicht der Landwirtschaft nicht akzeptabel sind. Dazu zählt zum Beispiel der drohende Wegfall von Glyphosat ab dem 1. Januar 2024, was nach Schätzungen des Agrarministeriums in Baden-Württemberg in den Hauptkulturen 50 t, bei der Zwischenfruchtbehandlung 60 t ausmacht. Das drohende Glyphosatverbot zusammen mit dem Verbot chemisch-synthetischer PSM in Haus- und Kleingärten führt zu einem mittelfristigen Reduktionspotential von 139 t, dies entspricht etwa 15 Prozent der zu reduzierenden Menge.

Dass starre Verbote der falsche Weg sind, zeigt beispielhaft die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung, wie sie der Bund vorgibt. Das geltende Verbot von Glyphosat unter anderem in Wasserschutzgebieten stellt Landwirte mit Flächen in diesen Gebieten, die Zwischenfrüchte nach der Hauptkultur anbauen, vor große Herausforderungen. Der Zwischenfruchtanbau ist in Baden-Württemberg ein seit Jahrzehnten bewährtes Verfahren und dient besonders dem Erosions- und Grundwasserschutz. Direkt- und Mulchsaatverfahren sind jedoch an den Einsatz von Glyphosat im Zuge der Saatbettvorbereitung im Folgejahr gebunden, um nichtabgefrorene Zwischenfruchtpflanzen, insbesondere Gräser und Ausfallgetreide, abzutöten.

Flächendeckendes Beratungsangebot

Darüber hinaus bestehen Reduktionspotentiale von PSM durch den Ausbau des Öko-Landbaus. Dieser soll in Baden-Württemberg von derzeit 14 Prozent auf 30 bis 40 Prozent bis 2030 steigen. Ein weiterer Baustein ist die Stärkung des Wissenstransfers und die Informationsvermittlung zu bewährten und neuen Verfahren des Pflanzenschutzes durch Beratung in der Praxis. Hierzu soll ein Netz von 36 Demobetrieben zur Pflanzenschutzmittelreduktion entstehen und der Pflanzenschutzwarndienst flächendeckend ausgebaut werden. Hinzu kommen IPSplus-Maßnahmen in bestimmten Schutzgebieten, wie es das Biodiversitätsstärkungsgesetzes vorsieht. Demnach sind neben den allgemeinen Grundsätzen zum integrierten Pflanzenschutz in der Landwirtschaft zusätzliche landesspezifische Vorgaben einzuhalten. Ziel ist, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das absolut notwendige Maß zu beschränken. Die Vorgaben gelten für den konventionellen wie ökologischen Anbau.

Der baden-württembergische Weg des kooperativen Naturschutzes ist gesellschaftlich anerkannt, stärkt den Artenschutz und gibt landwirtschaftlichen Familienbetrieben eine Zukunftsperspektive. Wir erwarten, dass die EU-Kommission unseren kooperativen Ansatz nicht gefährdet und ihren eigenen Vorschlag zur Pflanzenschutzmittelreduktion zurückzieht.