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DLG-Interview: RWZ-CEO Christoph Kempkes 

„Am Ende geht es um das Powerplay“

Für ein erfolgreiches Agrar- und Ernährungssystem der Zukunft müssen Akteure auf den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette zu mehr vertrauensvoller Zusammenarbeit bereit sein – dann haben auch Erzeugnisse mit besonderen Nachhaltigkeitsversprechen im Markt eine Chance auf Erfolg. Davon ist Christoph Kempkes, Vorstandsvorsitzender der RWZ AG in Köln, überzeugt. Woran es heute noch hapert und was sich dafür zukünftig ändern muss, sagt der CEO im Interview mit dem DLG-Newsroom. Zudem umreißt Kempkes strategische Wachstumspläne für das Kölner Agrarhandelsunternehmen nach dem Rechtsformwechsel zur AG im Sommer 2023.

DLG: Die RWZ ist seit Juli 2023 offiziell eine Aktiengesellschaft und keine Genossenschaft mehr – was hat sich seitdem geändert?

Christoph Kempkes: Noch nicht viel. Wir versprechen uns von diesem Schritt perspektivisch, dass wir mehr unternehmerische Beinfreiheit und frisches Kapital bekommen. Deswegen war der Rechtsformwechsel eine wichtige Weichenstellung. Momentan sind wir noch mit organisatorischen Aufgaben der Umsetzung beschäftigt, wie beispielsweise die Überführung der Anteile unserer genossenschaftlichen Mitglieder in deren Aktiendepot. Außerdem arbeiten wir gerade an einem Beteiligungsmodell für die Mitarbeitenden, damit sie künftig vom Erfolg der RWZ AG profitieren können. Erste Gedanken machen wir uns zu einer beabsichtigten Kapitalerhöhung.

Welchen Umfang soll die Kapitalerhöhung haben und wofür will die RWZ AG die finanziellen Mittel, die durch die Kapitalerhöhung eingenommen werden, nutzen?

Zu beiden Punkten möchte ich noch nichts Konkretes sagen. So ein Schritt muss wohl überlegt und mit wertsteigernden Initiativen unterlegt sein. Zudem stimmen wir uns zuerst mit unseren Gremien ab.

„Für die Modernisierung der Standortstrukturen brauchen wir Kapital“

Sie haben auf der digitalen Bilanzpressekonferenz kürzlich gesagt, dass die Modernisierung des Standortnetzes im Agrarhandel ein Arbeitsschwerpunkt für die nächsten Jahre ist: Wäre das ein Geschäftssegment, in das Mittel aus einer Kapitalerhöhung fließen könnten?

Die Optimierung unserer Standortstrukturen im Agrarhandel und der Agrartechnik sind tatsächlich in den kommenden vier bis fünf Jahren wichtige Themen für die RWZ. Klar brauchen wir hier Kapital – gerne auch frisches.

Was haben Sie konkret mit Ihren Standorten vor: Wo werden Standorte geschlossen, wo modernisiert?

Wir wollen unsere Wasserstandorte in Andernach und Worms modernisieren und in der Fläche Strukturen verdichten. Letzteres bedeutet: Schließungen von Kleinstandorten und Erweiterungsinvestitionen an mittelgroßen Standorten, wie beispielsweise bei der aktuell laufenden Erweiterung unseres Saatgutzentrums in Meckenheim. Gegebenenfalls wollen wir auch neu bauen.

Was ist mit „Verdichtungen in der Fläche“ gemeint?

Aus zwei oder drei mach‘ eins. Das kann bedeuten: Mehrere kleine, nahe beieinander gelegene Standorte schießen und stattdessen einen größeren erweitern oder neu bauen - dann jeweils mit modernster technischer Ausstattung und höherer Effizienz. Wir brauchen solche Strukturkostenersparnisse, um langfristig im Wettbewerb zu bestehen. Damit unsere Serviceleitung für den Landwirt nicht leidet, werden wir logistische und operative Lösungen finden.

Mit Blick auf die weitere Unternehmensentwicklung: Welche Investitionsschwerpunkte setzt die RWZ über das Standortnetz im Agrarhandel hinaus?

Wir arbeiten auf Basis unser neuen Unternehmensstrategie ‚weiter|säen`‘. Diese gibt den Ordnungsrahmen für unsere beabsichtigten Vorhaben vor. Die Schwerpunkte liegen bei den Kernelementen Kunde, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Organisation und Mitarbeitende. Unterlegt sind diese Überschriften mit zurzeit bereits mehr als 100 Vorhaben und Maßnahmen, die auf unserer Arbeitsliste stehen. Der Zugang ist insgesamt breiter in puncto Themenvielfalt und stark auf die Zukunft ausgerichtet. Potenziale sehen wir sowohl im Unternehmen selbst - vornehmlich bezüglich der Vereinfachung unserer Strukturen, unserer Prozesse und unserer Systemlandschaft -, als auch durch Wachstum im Markt durch Anteilsgewinne und Zukäufe. Beides nehmen wir unter die Lupe und arbeiten das professional ab.

In welchen Bereichen sehen Sie Potenzial für Zukäufe?

Sicher bei Agrartechnik in Frankreich, beabsichtigt im Bereich der klassischen Energie und bei guten Gelegenheiten auch im Agrarhandel.

Hat die RWZ also schon konkrete Pläne für Zukäufe in Frankreich?

Eines unserer Fokusgebiete ist die Champagne. Ein Unternehmen besitzen wir dort bereits, mit einem weiteren liebäugeln wir. Die Kombination aus Weinbau/Kellerei und Agrartechnik passt gut zu uns.

„Für Investoren aus dem Agrarspektrum sind wir offen“

Kommen wir noch einmal kurz zurück auf den Rechtsformwechsel zur AG: Wie wird sich nach Ihrer Einschätzung die Aktionärsstruktur der RWZ AG im Vergleich zur Mitgliederstruktur der RWZ eG entwickeln?

Aktuell hat sich die Aktionärsstruktur noch nicht verändert: Aus unseren Mitgliedern wurden Aktionäre der ersten Stunde. Diese verteilen sich jeweils zu einem Drittel auf Primärgenossenschaften, Volks- und Raiffeisenbanken und anderen. Perspektivisch und vor allem mit Blick auf eine Kapitalerhöhung kann sich diese Zusammensetzung in Zukunft aber ändern - je nachdem, welche unserer Bestandsaktionäre wie viel neu zeichnen oder auch verkaufen möchten. Denkbar ist aber auch, dass wir einen zusätzlichen, großen Investor an Bord holen. Ob ein solcher Investor jedoch Zugang zur RWZ AG bekommen wird, hängt immer auch davon ab, ob er uns operative Synergien bringt. Darauf werden wir achten. Da sitzen wir auch am Entscheidungshebel, weil unsere Aktien vinkuliert sind und nicht frei an der Börse handelbar. Im Kern heißt das, dass die RWZ das letzte Wort darüber hat, wer Anteile erwerben darf.

Wer könnte ein solcher Investor sein?

Ich habe in der Vergangenheit schon mal salopp gesagt: ‚Warren Buffet oder irgendein Fond werden es nicht sein’. Für Investoren aus dem Agrarspektrum sind wir hingegen offen, allerdings immer unter der Voraussetzung, dass wir Werte und Ziele teilen und wechselseitige Vorteile erarbeiten können - die dann auch unseren Kunden zugutekommen.

Sie haben ein neues Geschäftsfeld erneuerbare Energie an den Start gebracht und wollen in Windkraftanlagen investieren. Wie läuft das Geschäft an?

Bei allen notwendigen und sinnvollen Genehmigungs- und Beteiligungsprozessen bin ich schon manchmal darüber verwundert, dass auf der einen Seite eine Bundesregierung in Berlin die Energiewende zur Priorität erklärt und ehrgeizige Ausbauziele auslobt, und man dann auf der anderen Seite auf lokaler Ebene bisweilen auf erhebliche Widerstände trifft. Hier fehlt bei einem so wichtigen Ziel wie der Energiewende eine politische Willensbildung über die Parteigrenzen hinweg und vielleicht sogar der gesellschaftliche Grundkonsens. Die Leute bejahen zwar erneuerbare Energien, aber nicht vor ihrer Haustür. Immerhin haben wir uns mit unserem Joint-Venture-Partner, dem rheinländischen Ingenieurbüro BMR, jetzt aber erste Kalamitätsflächen im Wald für den Bau von einigen Windrädern gesichert. Nun laufen die Genehmigungsmaschinerie und die lokalen Verwaltungsprozesse, die außerhalb unseres Einflussbereiches liegen. Wir warten.

Im Projekt „Klimapartner Landwirtschaft“ verfolgt die RWZ gemeinsam mit der BASF grob vereinfacht den Ansatz, Getreide wie Weizen und neuerdings auch Braugerste nachweislich durch entsprechende Bilanzierung klimaschonender zu produzieren. Dabei kommen innovative Lösungen und Ansätze in den Bereichen Betriebsmittel, Digitalisierung und allgemein im Ackerbau zum Einsatz. Landwirte, die in dem Projekt mitmachen, können Mehrerlöse für ihre nachhaltigen Erzeugnisse durch entsprechende Aufpreise generieren oder vielleicht sogar ihre CO2-Ersparnis über den Zertifikatehandel vermarkten. Was ist Ihre bisherige Bilanz zu dem Projekt?

Das Projekt ist noch im Anfangsstadium; es zieht noch nicht so richtig. Aber immerhin sprechen wir bereits mit zwei Kunden aus der Mühlenwirtschaft über die Abnahme einer kleineren Menge klimafreundlichem Weizen, insgesamt rund 10.000 t Weizen. Ich möchte aber nicht schönreden, dass es noch ein gutes Stück Überzeugungsarbeit bedarf, um mehr Landwirte zu gewinnen, sich auf diese neue und etwas aufwendigere Art der Bewirtschaftung einzulassen - und das bei unsicherer Perspektive, die Mehrkosten entlang der Wertschöpfungskette auch gewinnbringend weiterreichen zu können.
Nehmen wir das Beispiel Brot: Wenn wir als Händler den Landwirt für Klimaweizen über Marktpreis bezahlen, müssen wir diesen Aufpreis an den Müller, dieser an den Bäcker und dieser dann an den Lebensmittelhandel durchreichen. Das ist sehr mühsam, führt allerdings dann ‚im Regal‘ für ein 500g Brot lediglich zu Mehrkosten von 4 Cent, ist also leistbar. Wenn das im Rahmen von integrierten Vermarktungskonzepten entlang der gesamten Wertschöpfungskette besser verstanden wird, sehe

„Finanzierer brauchen ESG-Erfolge“

Woran machen Sie das fest?

Auch wenn aktuell diverse Maßnahmen in Richtung einer regenerativenLandwirtschaft auf manchen politischen Ebenen wieder zurückgedreht werden, wird der Druck, zu klimaschützenden Maßnahmen steigen. Dazu gehört insbesondere das Ziel, beherzt den CO2-Ausstoss zu senken. Die EU-Taxonomie und die EU-Richtlinie zur nachhaltigen Unternehmensberichterstattung sind real und werden auch das Agribusiness und somit die Landwirtschaft betreffen. Nationale Regulatorik baut darauf auf. Finanzierer setzten bereits entsprechende Zinsanreize und brauchen ESG-Erfolge in ihrem Kundenportfolio zur günstigeren Refinanzierung. Große weiterverarbeitende Multinationals, also global agierende Konzerne der Ernährungsindustrie, haben sich alle Klimaziele auf die Fahne geschrieben - auch weil Aktionäre, Banken und Investmentfonds das fordern. Da kommen wir nicht mehr raus – und das ist richtig so!

Und wieso sind die Verarbeiter und der Lebensmitteleinzelhandel, kurz LEH, dann so zögerlich?

Am Ende geht es um das Powerplay, wer die Mehrkosten schluckt. Ich meine aber: Klimafreundliche Produkte können für Anbieter perspektivisch Differenzierungsmerkmale im Wettbewerb kreieren; da sollte eigentlich jeder Brand Manager drauf springen, denn darum geht es in einer Marktwirtschaft. Große Konsumgüterunternehmen oder Handelsketten hätten auch die Kraft, durch Bewerbung des Mehrwertes solcher Produkte die Zahlungsbereitschaft beim Verbraucher etwas zu erhöhen - denn wir reden hier, wie eben erläutert, nur über sehr geringe Mehrkosten für ein Brot, ein Toast oder eine Tiefkühlpizza. Einer muss aber den ersten Schritt machen. Das ist risikoreich, denn für den Lebensmittelhandel ist oft nicht der absolute Preis eines Produktes entscheidend, sondern der relativ zum Wettbewerb, sprich, es wird genau hingeschaut, ob die anderen ebenfalls mitgehen.

Das klingt so einfach, als müsste sich eigentlich nur ein wichtiger Player einen Ruck geben, und dann funktionieren auch wertschöpfungskettenübergreifende, nachhaltige Vermarktungsansätze…

Als ehemaliger Brandmanager für eine bekannte Babywindel-Marke kann ich mir zwar sehr gut vorstellen, wie das funktionieren könnte - muss aber gestehen, dass ich diesen unternehmensübergreifenden ‚integrierten Ansatz‘ selber auch nach 30 Jahren Berufserfahrung in allen Stufen der Lebensmittel produzierenden Kette trotz vieler Anläufe immer noch nicht hinbekommen habe. Es scheitert an zu hohen Mauern zwischen den einzelnen Gliedern, zu wenig wechselseitigem Vertrauen, divergierenden Interessen einzelner Unternehmensfunktionen inklusive der handelnden Manager und oft auch an falschen Anreizen sowohl innerhalb eines Unternehmens, als auch in deren Beziehung zu anderen. Solange der Einkäufer von seinem Management immer nur am Best-Preis gemessen wird, haben es solche Wertschöpfungsansätze, die ein ganzheitlicheres Denken voraussetzen, schwer. Solange von Zulieferern ‚Menge‘ bonifiziert wird, wird eben Menge gemacht, obwohl es inzwischen ‚verträglichere‘ Alternativen gibt.

Welchen Push brauchen dann wertschöpfungskettenübergreifende Vermarktungs- und Produktionsansätze aus Ihrer Sicht – noch bevor regulatorische Sachzwänge greifen?

Ich meine nicht, dass uns die Politik auf den Pfad der Tugend wird ‚regulieren’ können. Wir brauchen keinen regulatorischen ‚Push’, sondern vielmehr einen ‚Pull’ seitens der Nachfrage; nicht erzwungen, sondern gewollt. Dann wird sich das Angebot auch danach richten. Also, wenn Verbrauchern die Vorteile klimafreundlicher Produkte einfach, plausibel und emotional erklärt werden – zum Beispiel durch Werbung - und dadurch eine entsprechende Nachfrage geweckt wird, wird sich das Angebot entlang der produzierenden Wertschöpfungskette auch darauf einstellen und am Schluss eben auch der Landwirt entsprechend agieren.

Und landwirtschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer wären in der Logik gut positioniert, wenn sie sich schon heute vorausschauend an die künftigen Anforderungen der großen Toastbrotproduzenten et cetera anpassen und an Projekten wie Klimapartner Landwirtschaft teilnehmen?

Erfolgreiche Unternehmer - wozu ich viele Landwirte zählen würde - denken voraus und sind immer bemüht, sich Differenzierungsmerkmale im Wettbewerb zu erarbeiten. Das ist bei homogenen Massengütern wie vielen Agrarerzeugnissen schwierig, aber nicht unmöglich. Landwirte, Agrarhändler als deren Partner und Weiterverarbeiter als Abnehmer deren Produkte müssen hier neugieriger, experimentierfreudiger und besser zusammenarbeiten. Ja, das birgt das Risiko des Scheiterns in sich aber auch überdurchschnittlichen Lohn, wenn’s gut geht - wie immer halt beim Unternehmertum.

Interview: Stefanie Pionke, Redaktion DLG-Newsroom

 

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Über die RWZ

Die Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main AG (RWZ) zählt zu den fünf größten Agrarhandelshäusern Deutschlands, die in der Tradition der Raiffeisen Genossenschaften stehen. Die RWZ legt ihren Schwerpunkt auf die westlichen Bundesländer, ist aber mit Aktivitäten beispielsweise im Landtechniksektor in Frankreich auch im benachbarten EU-Ausland aktiv. Als Konzern erzielt die RWZ mit 2.700 Mitarbeitenden an 180 Standorten einen Jahresumsatz von rund 3 Mrd. Euro und ist in den Segmenten Agrarhandel, Agrartechnik, Energie und Einzelhandel aktiv. Die RWZ ist Mitveranstalter der DLG-Feldtage 2024, die vom 11. bis 13. Juni 2024 unter dem Leitthema „Pflanzenbau out of the Box“ auf Gut Brockhof bei Erwitte/Lippstadt in Nordrheinwestfalen stattfinden.