Pflanzenschutz

Die Schilf-Glasflügelzikade verbreitet Angst und Schrecken

Die Schilf-Glasflügelzikade überträgt die bakterielle Krankheit „SBR“ (Syndrome Basses Richesses oder Syndrom der niedrigen Zuckergehalte), was sich in hohen Ertragsverlusten bemerkbar macht. Die bakterielle Erkrankung ist bundesweit weiter auf dem Vormarsch und gefährdet den Anbau von Rüben und Kartoffeln in anderen Regionen Deutschlands. Einen Überblick über den aktuellen Stand in der Praxis gibt der folgende Beitrag aus der Zeitschrift “Kartoffelbau”, die im DLG-Verlag erscheint. 

Die durch die Schilf-Glasflügelzikade übertragene Bakterielle Knollenwelke kann sich in sogenannten Gummiknollen äußern. Diese Kartoffeln sind nicht mehr zu verarbeiten. Fotos: Verband der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer

Die Schilf-Glasflügelzikade ist eigentlich am Schilfrohr heimisch, das es auch in Deutschland gibt. Insofern ist die Schilf-Glasflügelzikade in unseren Breiten schon beheimatet. Durch einen „Evolutionssprung“ hat es die Zikade aber geschafft, neue Pflanzen wie die Zuckerrübe oder die Kartoffel als Wirtspflanze zu nutzen. Mit dem Ergebnis, dass das Insekt seit wenigen Jahren bereits in Teilen Süddeutschlands unter den Rübenanbauern Schrecken verbreitet.

Das Saugen der Zikade können die Pflanzen noch gut verkraften. Das Dilemma ist aber, dass die Schilf-Glasflügelzikade die bakterielle Krankheit „SBR“ (Syndrome Basses Richesses oder Syndrom der niedrigen Zuckergehalte) überträgt, was sich in hohen Ertragsverlusten bemerkbar macht. Und die bakterielle Erkrankung ist bundesweit weiter auf dem Vormarsch und gefährdet somit den Anbau von Rüben und Kartoffeln in anderen Regionen Deutschlands.

Um die niedersächsischen Kartoffelanbauer für diesen bisher unbekannten Erreger zu sensibilisieren, hatte die Saatguterzeugergemeinschaft in Niedersachsen (SEG) zusammen mit der LWK Niedersachsen Dr. Luitpold Scheid von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Pflanzenschutz, als Referent für die gemeinsame Kartoffeltagung in Bispingen-Behringen gewonnen. Scheid stuft das Thema als hochbrisant ein und warnte die Praktiker davor, die Augen vor dieser neuen Gefahr zu verschließen. Gleichzeitig drückte er die Hoffnung aus, dass insbesondere die Anbauhochburgen in Niedersachsen noch länger von diesem Bakterium verschont bleiben. 

Zwei verschiedene Bakterienarten

Die bakterielle Erkrankung SBR ist seit etwa zehn Jahren in Deutschland von Bedeutung und war zuerst ein Thema in Zuckerrüben. Seit dem Sommer 2023 hat sich die Befallssituation in der Kultur deutlich verschärft. Das Symptom der niedrigen Zuckergehalte wird laut Scheid durch zwei Bakterien ausgelöst:

  • Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus = γ-Proteobakterium
  • Canditatus Phytoplasma solani = Stolbur Phytoplasma, ein zellwandloses Bakterium

Beide Bakterien sind im Phloem (Nährstoffleitbahnen der Pflanzen) zu finden und sind nicht kultivierbar. Im Feld treten laut Scheid häufig Mischinfektionen beider Erreger auf. Die Übertragung erfolgt durch Insektenvektoren. Der Hauptvektor ist die oben genannte Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus). Indikatorpflanze ist zurzeit die Zuckerrübe. Als Hauptsymptom gilt die Gelbfärbung der Rübenblätter im Sommer, die eher durch Arsenophonus (γ-Proteobakterium) verursacht wird. Auffällig für eine SBR-Erkrankung ist der eigenartige, lang gestreckte und asymmetrische Wuchs der hellen Herzblätter. Typisch sind ebenso eine Gefäßbündelverbräunung und eine Reduktion des absoluten Zuckergehaltes um etwa 5 % (bis 12 %). 

In 2023 haben die beiden Bakerienarten zu einem örtlich massiven Absterben der Zuckerrüben geführt, in 2024 ist die Kalamität nicht so stark beobachtet worden. Ein weiteres typisches Merkmal ist das Absterben der Feinwurzeln und eine Reduktion der Frischmasse um bis zu 50 %. Die Rüben wirken sehr gummiartig, lassen sich also sehr leicht biegen, und bereiten starke Probleme bei der Ernte und der Verarbeitung. Betroffen von dieser neuen Entwicklung sind derzeit vor allem Schläge im Raum Ochsenfurt/Unterfranken. Auch aus anderen Bundesländern ist die Erkrankung bereits bekannt, insbesondere aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Die Schilf-Glasflügelzikade kann sowohl das y-Proteobakterium als auch StolburPhytoplasma auf die Kartoffeln übertragen. Foto: JKI

Typische Symptombilder

In Kartoffeln überträgt die Schilf-Glasflügelzikade die sogenannte „Bakterielle Kartoffelknollenwelke“. Die Krankheit wird ebenso wie bei der Zuckerrübe durch die beiden Erreger Arsenophonus und Stolbur, häufig in Mischinfektion, übertragen. Typisches Erscheinungsbild bei infizierten Pflanzen ist, dass der Blattrand nach oben rollt. Dies kann laut Scheid leicht mit Rhizoctonia verwechselt werden. Je nach Sorte verfärben sich die Fiederblätter gelb, sind eingerollt oder zeigen oft eine deutliche Anthocyan-Verfärbung. Bei fortschreitendem Befall ist zudem eine intensive Geizbildung, also die Neuanlage von Fiederblättern, zu erkennen. Auch die Bildung von Luftknollen ist typisch für die bakterielle Kartoffelknollenwelke.

Die Störung des Wasser- und Nährstoffhaushaltes der Pflanzen führt später zu Welke- und Absterbeerscheinungen einzelner Triebe oder der ganzen Pflanze. In bereits stärker abgereiften Beständen finden sich häufig noch Einzeltriebe, die noch grün und nicht vertrocknet sind. Ähnlich wie bei den Rübenkörpern wirken auch die Kartoffelknollen gummiartig. Mit dem Erreger infizierte Knollen zeigen vermehrt u. a. eine Fadenkeimigkeit. Unbekannt ist bisher, welcher der beiden Erreger für welches Symptom verantwortlich zeichnet.

Die Schadrelevanz ist auch im Kartoffelbau enorm. So treten bei Befall Mindererträge in Höhe von 10 bis 50 % bei einem erhöhten Anteil sehr kleiner Knollen auf. Übergrößen fehlen nach Angaben des Experten völlig und der Stärkegehalt ist reduziert. Die Gefäßbündel verbräunen und Lagerdruckstellen nehmen zu. Relevant sind in diesem Zusammenhang auch die Gummiknollen und die wahrscheinlich verminderte Keimfähigkeit. 

Fünf Nymphenstadien in der Erde

Was ist allgemein zur Biologie des Überträgers, der Schilf-Glasflügelzikade, zu sagen? Die in Niedersachsen weitgehend unbekannte Zikade ist ursprünglich, wie der Name schon sagt, an Schilfrohr heimisch. Sie hat sich aber über die Jahre jetzt an Zuckerrüben, Kartoffeln und anderen Kulturen angepasst. Der Flugbeginn des Insekts startet ab Mai, der Flughöhepunkt ist im Juni/Juli. Die Eiablage erfolgt in der Nähe der Zuckerrüben- und Kartoffelpflanzen. Aus den Eiern schlüpfen unterirdisch sogenannte Nymphen. Insgesamt gibt es fünf Nymphenstadien. Die Überwinterung erfolgt ebenfalls als Nymphe. Ab Mai erfolgt die Auswanderung des Insekts aus der Folgekultur, wie z. B. Weizen, und die Einwanderung in Rüben oder Kartoffeln.

Um das Auftreten und die Dichte der Schadinsekten zu überwachen, wurde ein Schilf-Glasflügelzikaden-Monitoring von Mai bis Juli eingerichtet. Auf Lockmittel reagiert die Zikade nicht, deshalb werden Klebefallen verwendet. „Wenn nur eine Zikade gefangen wird, bedeutet dies, dass bereits viele Zikaden in der Region vorkommen“, berichtete Scheid. Die Flugintensität ist von Jahr zu Jahr verschieden. Ein Flughöhepunkt war im Jahr 2023, in 2024 scheint die Witterung einen starken Flug verhindert zu haben.

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Die spannende Frage ist derzeit, wie man mögliche Schäden minimieren kann. Nach Angaben des Experten ist dafür unbedingt eine Kombination von Maßnahmen erforderlich. So sind in gefährdeten Lagen das Vorkeimen und frühe Legetermine anzuraten. Ebenso sind frühreife Sorten zu bevorzugen, weil sie weniger stark betroffen sind. Alle pflanzenbaulichen Maßnahmen (Nährstoff- und Wasserversorgung) seien zu optimieren, denn je vitaler die Pflanzen sind, desto geringer ist die Schädigung. Selbstverständlich sollte es sein, gesundes Pflanzgut (Vorsicht bei Eigenvermehrung) zu verwenden und Rodeverluste möglichst gering zu halten. Auf keinen Fall sollten Kartoffeln wegen des gleichen Wirts nach Zuckerrüben angebaut werden. Am besten sei, so Scheid, eine Schwarzbrache nach dem Anbau von Kartoffeln oder Zuckerrüben. Entscheidend für ein erfolgreiches Gegensteuern sei es, den Anbau von Winterungen zu unterlassen.

Dies leitete Scheid aus den Ergebnissen von zwei Gewächshausversuchen des IfZ in Göttingen mit Wirtspflanzen ab. So konnten im ersten Versuch in Zuckerrüben 60 % und in Gerste etwa 30 % überlebende Nymphen ermittelt werden. In Senf und Mais sank diese Rate auf rund 10 % und in Ölrettich auf 5 %. Ohne Folgefrucht wurden in der Erde nur 2 % überlebende Nymphen erfasst. Im zweiten Versuch wurden 60 % überlebende Nymphen in Zuckerrüben, zirka 50 % in Winterweizen und Schilf, etwa 10 % in Senf und Soja, 2 % in Ölrettich und 0 % in Mais und Erde ermittelt. Im Kartoffelanbau eignet sich somit als Zwischenfrucht Ölrettich, allerdings nicht in Mischung mit Rauhafer, gab Scheid zu bedenken. 

Hoffnung auf Notfallzulassungen

Neben dieser Chance, durch geschickte Fruchtfolgen den Besatz zu senken, wurde von der Südzucker auch getestet, ob Insektizid-Spritzungen einen positiven Beitrag liefern können. In einem Streifenversuch kam heraus, dass eine dreimalige Applikation mit dem insektiziden Wirkstoff Acetamiprid (Mospilan SG, Carnadine, Danjiri) während des Hauptfluges im Juni/Juli zwar kaum einen Effekt auf den Bereinigten Zuckerertrag hatte. Die Nymphenpopulation konnte aber dagegen sehr deutlich reduziert werden. Der Einsatz der Insektizide war daher sehr positiv. Laut Scheid kommt es darauf an, frühe Infektionen zu vermeiden, da sie ertragsentscheidend sind. Aus diesem Grund bemühe sich die Wirtschaft um Notfallzulassungen zur Ertragsabsicherung (zwei bis drei Behandlungen ab Flugbeginn) und zur Reduktion der Zikadenpopulation, merkte der Referent an. 

Fazit

Was bleibt festzuhalten? Vorsichtige Hoffnung auf eine Entschärfung des Zikadenproblems und damit der Verhinderung der Übertragung der bakteriellen Erreger nähren neuen Erkenntnisse beim Einsatz von Insektiziden. Die Planung einer gesunden Fruchtfolge hat aber zurzeit noch eine höhere Bedeutung. So ist darauf zu achten, dass nach Zuckerrüben keine Kartoffeln nachgebaut werden. Idealerweise sollte auch der Nachbau von Winterkulturen nach Kartoffeln oder Zuckerrüben vermieden werden. Stattdessen bietet sich laut Scheid der Anbau von späten Sommerungen an. Dies könne z. B. auch die Zwiebel sein, obwohl die Erreger auch an Zwiebeln bereits nachgewiesen worden sind. Im Gegensatz zu Kartoffeln und Rüben scheint die Zwiebel aber ein schlechter Wirt für die Zikade und daher weniger anfällig zu sein. Der Vorteil ist, dass nach Zwiebeln durchaus wieder Wintergetreide angebaut werden kann, da in Zwiebeln eigentlich keine starke Eiablage stattfinden sollte, bemerkte der Experte. Wenn eine Winterbegrünung erforderlich oder gewünscht ist, sei Ölrettich als Folgefrucht erste Wahl. 

(Werner Raupert, Redaktion Kartoffelbau)

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