DLG-Wintertagung: Rede des Präsidenten Hubertus Paetow
Rede des Präsidenten der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) Hubertus Paetow anlässlich der DLG-Wintertagung am 20. Februar 2024 in Leipzig - Thema: Ziele statt Zügel - Unternehmen machen lassen - Es gilt das gesprochene Wort!
[Anrede],
welch eine Freude, Sie hier alle auf der DLG-Wintertagung 2024 in Leipzig begrüßen zu dürfen - einer trotz- oder vielleicht gerade wegen aller Krisen sehr gut besuchten DLG-Wintertagung. Denn eines sehen wir deutlich, sowohl bei Messen als auch bei Veranstaltungen: Ein Fachnetzwerk wie die DLG ist gerade in der Krise von besonderer Bedeutung. Im offenen, intensiven und auch kontroversen Diskurs entstehen nach wie vor die besten Ideen für den Fortschritt auf den Betrieben. Und das Bedürfnis, diesen Dialog zu führen, bringt die Menschen zusammen, sei es in Hannover oder eben heute hier in Leipzig.
Und aus aktuellem Anlass möchte ich hinzufügen: Diesen Diskurs führen wir in der DLG zwar fachlich intensiv, aber immer friedlich und besonnen, und zwar seit über 130 Jahren unabhängig von politischen Strömungen. Wir tun dies nicht in gewalttätigen oder persönlichen Angriffen und lehnen diese Formen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung auch grundsätzlich ab.
Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland bewältigen große Herausforderungen, indem sie nachweislich immer besser darin werden, produktive Nahrungsmittelerzeugung mit Ressourcenschutz, Klimaschutz und Tierwohl in Einklang zu bringen. Und sie tun das auch im internationalen Vergleich sehr erfolgreich.
Landwirte leben den Fortschritt! Sie sind durch ständigen Austausch mit Wissenschaft, Forschung und Beratung immer auf Tuchfühlung sowohl mit Innovation als auch Verbesserung bestehender Verfahren. Das hat die Agritechnica im November 2023 mit 470.000 Gästen aus aller Welt überdeutlich gezeigt: Hier in Deutschland wird nachhaltige Innovation für eine globale Landwirtschaft erdacht, entwickelt und geprüft. Und das ist so, weil die Heimatmärkte der landtechnischen Innovationsindustrie, also die deutschen Landwirtinnen und Landwirte, von diesen Innovationen auch profitieren und diese antreiben.
Die deutsche Agrarwirtschaft ist in einer hervorragenden Verfassung!
Da könnte man meinen, dass Politik einfach nur die Rahmenbedingungen so gestalten muss, dass dieser Innovationskraft der maximale Schwung verliehen wird. Natürlich innerhalb vernünftiger ordnungsrechtlicher Leitplanken, aber eben auch mit genügend Freiraum für unternehmerische Kreativität. Stattdessen sehen wir aber fortgesetzte Versuche, durch fast planwirtschaftliche Feinsteuerung die Akteure einzuengen und zu entmündigen. Und darüber hinaus leisten wir uns ein überkritisches, ängstliches Innovations- und Technologieverständnis, übrigens nicht nur in der Agrarwirtschaft, ein Innovationsverständnis, das immer weniger zu der erforderlichen Entwicklungsgeschwindigkeit angesichts steigender Herausforderungen durch Krisen und globalen Systemwettbewerb passt.
Diese Rahmenbedingungen – und nicht etwa eine Steuererhöhung beim Treibstoff-, sind der Grund für die aktuelle Stimmung in der Agrarbranche. Eine Stimmung, die gegenwärtig deutlich schlechter ist, als es die wirtschaftliche Lage vermuten lässt. Die Landwirtschaft hat sich nämlich in den vergangenen zwei Jahren wirtschaftlich sehr solide entwickelt– auch wenn die Zeit der ganz hohen Preise vorerst vorbei ist.
Wenn es Branche und Politik also trotz wirtschaftlichem Erfolg nicht gelingen kann, optimistisch nach vorne zu schauen und jetzt mit solider Basis in die Zukunft zu investieren, läuft etwas grundlegend falsch. Mit den Gründen für diese Fehlentwicklung wollen wir uns auf dieser Wintertagung beschäftigen.
Es geht um drei Bereiche, in denen sich dringend etwas ändern muss, damit der Fortschritt wieder seinen Teil zum Wohl der Gesellschaft beitragen kann: Es geht um Bürokratie, um Regulierung und um Innovation.
Zur Bürokratie:
Ich zitiere: “Wir wollen Abläufe und Regeln vereinfachen und der Wirtschaft, insbesondere den Selbständigen, Unternehmerinnen und Unternehmern, mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben schaffen.“ Das steht so im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Zu spüren ist davon gegenwärtig - vorsichtig formuliert - wenig.
Dabei eint die Unzufriedenheit mit Bürokratie und Regulierung die Gesellschaft über die Grenzen von Wirtschaftssektoren hinweg. Landwirte, Handwerker, Ärzte – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Alle klagen über ausufernde Bürokratie und machen diese für Fehlentwicklungen verantwortlich.
Wir wären nicht die DLG, wenn wir uns in das undifferenzierte Bürokratie-Bashing einreihen würden, das aktuell auf Politik und Verwaltung niedergeht. Bürokratie, das wissen wir seit Max Weber, ist der Preis für die Gerechtigkeit in einem demokratischen Staatswesen. Verwaltung muss Entscheidungen dokumentieren und transparent begründen und das ist mit Aufwand verbunden – auch für Bürger und Unternehmen. Wenn wir Bürokratieabbau fordern, müssen wir darauf achten, dass damit nicht auch Gerechtigkeit abgebaut wird.
Bürokratieabbau im eigentlichen Sinne ist die vernünftige Neuorganisation von Prozessen in der Verwaltung.
Was damit gemeint ist, weiß jeder, der aktuell an der Düngedokumentation arbeitet. Wenn Dokumentationspflichten von den meisten Betrieben nur noch mit externer Beratung eingehalten werden können, wenn derselbe Tatbestand doppelt und dreifach aufgeschrieben werden muss, wenn das Dokumentieren inzwischen länger dauert als das Düngen, dann wird es höchste Zeit, die Prozesse auf den Prüfstand zu stellen. Und zwar sowohl im Interesse der Beteiligten, Kontrollierte wie Kontrolleure, als auch im Interesse der Zielerreichung. Kann sich eigentlich noch jemand erinnern, wofür die Düngeverordnung eigentlich geschaffen wurde?
Wenn wir also über Bürokratie reden, dann meinen wir damit die mangelhaften Fortschritte in der Verwaltung bei der Vereinfachung und Beschleunigung der an sich notwendigen Dokumentations- und Entscheidungsvorgänge. Das betrifft auch die Ausarbeitung von Gesetzen und Vorschriften, aber bedeutet eben auch eine klare Ansage an die Verwaltung, bei der Vereinfachung der Abläufe schneller und mutiger zu werden. Es kann nicht sein, dass in Zeiten des Fachkräftemangels ein immer größerer Anteil des qualifizierten Personals für die an sich unproduktive Verwaltung benötigt wird.
Möglichkeiten zur Vereinfachung gibt es insbesondere in der Dokumentation der Produktionstechnik zur Genüge: Wir haben in der GAP sehr gute Erfahrungen mit Cloudbasierten, digitalen Systemen gemacht. Und dass, obwohl die Bundesländer sich nicht auf gemeinsame Lösungen einigen konnten. Eine vernünftige Stoffstrombilanz gekoppelt mit einer Dokumentation in einem bundeseinheitlichen Portal könnte viel Arbeitszeit bei den Landwirten und Kontrolleuren sparen, ohne dass deswegen ein Milligramm Nitrat mehr ins Grundwasser kommt. Wenn man nur das in der Verordnung vorschreibt, was wirklich für das politische Ziel notwendig ist, und dann auch gleich mitdenkt, wie man das effizient dokumentieren und kontrollieren kann, ist das der beste Bürokratieabbau.
Der zweite Bereich, in dem es dringend Verbesserungen braucht, ist die Steuerung und Regulierung von Produktionsabläufen im Sinne der gesellschaftlichen Ziele.
Landwirtschaftliche Unternehmer sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Sie wissen um die Tragweite der Aufgaben, die die gegenwärtige Transformation für ihre Tätigkeit bedeutet. Die Notwendigkeit eines nachhaltigen Umganges mit Natur und Umwelt wird heute nicht mehr in Frage gestellt. Auch in der Landwirtschaft sind umweltpolitische Rahmenbedingungen erforderlich und akzeptiert.
Das bedeutet aber nicht, dass der Staat sich mit einer aufwändigen und notwendigerweise wenig innovativen Feinsteuerung der Produktionsprozesse bemächtigt - da sollten uns 40 Jahre sozialistische Planwirtschaft Lehre genug sein, dass dieses Unterfangen nicht von Erfolg gekrönt sein wird.
Um es an einem konkreten Beispiel festzumachen: Wenn Dutzende Wissenschaftler der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit nach dreijähriger Prüfung tausender Studien zu dem Ergebnis kommen, dass ein Pflanzenschutzmittelwirkstoff bei sachgerechter Anwendung keine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt darstellt, dann gibt es keinen vernünftigen Grund, einen einzelnen Wirkstoff zum politischen Feind zu erklären. - und ja, auch ein Koalitionsvertrag ist in diesem Fall kein vernünftiger Grund.
Der Abschlussbericht der ZKL spricht an dieser Stelle von einer Outcome-Steuerung, zu deren Gunsten man auf detaillierte inputorientierte Vorschriften verzichten sollte. Wir sollten mehr Zielorientierung wagen und wegkommen von der engmaschigen Prozesssteuerung, die uns an vielen Stellen im Arbeitsalltag ausbremst. Die Zeit und Ressourcen bindet, die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter, Landwirtinnen und Landwirte, stattdessen liebend gerne auf Investitionen in modernste Technik und die Integration dieser Technologien in unsere nachhaltigen Betriebsabläufe verwenden würden.
Fortschritt ist Objekt der Neugier und der Kreativität von Unternehmern, erst recht von Landwirten. Solange der Staat aber bis ins Kleinste Vorschriften dazu macht, wie Produktion abzulaufen hat, ist diese Kreativität zwangsläufig eingeschränkt. Nachhaltigen Fortschritt ausschließlich über Ordnungsrecht voranbringen zu wollen ist ein Widerspruch in sich und deshalb ein aussichtsloses Unterfangen. - und das ist genau das, was Unternehmer, landwirtschaftliche Unternehmer, gegenwärtig so unzufrieden macht.
Wir als DLG suchen nach Lösungen. Wir tragen die gesamtgesellschaftlichen Ziele für mehr Nachhaltigkeit, mehr Ressourcen- und Klimaschutz bei gleichzeitigem Erhalt der Produktivität mit. Wir stehen hinter den Leitlinien, die die Zukunftskommission Landwirtschaft entworfen hat.
Aber wir brauchen dafür einen Staat, der den Fähigkeiten und der Bereitschaft der handelnden Akteure zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung der Wirtschaft vertraut. Dieses Vertrauen ist die Grundlage unseres Wirtschaftssystems und damit auch Grundlage der Demokratie. Deshalb: Ziele statt Zügel!
Zum Thema Innovation:
“Trust Science” ist ein wichtiger und richtiger Schlachtruf der Klimabewegung, und diese Aufforderung sollte in einer aufgeklärten Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sein.
Dies gilt aber nicht nur für die Klimaerwärmung, sondern auch zum Beispiel für den Umgang mit Innovationen wie den neuen Züchtungstechniken. Wir sehen zwar auf europäischer Ebene ein Umdenken hin zu einem weniger fortschrittsfeindlichen Umgang mit dem Vorsichtsprinzip, aber wenn man die Geschwindigkeit sieht, mit der sich diese Technologien in einem großen Teil der Welt durchsetzen, muss man sich schon fragen, worauf wir in Deutschland und Europa noch warten wollen. Derweil stehen Agrarbranche, Wissenschaft und Industrie schon lange an der Seitenlinie und dürfen zuschauen, wie der Fortschritt anderswo für Wohlstand sorgt.
Um es klar zu sagen: Kaum eine Innovation ist eine Silver Bullet, ein Allheilmittel für alle Probleme. Das kann aber kein Grund sein, sie allein deswegen zu verbieten. Denn dadurch verengt man ohne Not auch den Spielraum für zukünftige Fortschritte, die auf einzelne innovative Verfahren aufbauen.
So hat niemand bei der Erfindung der mRNA-Technologie daran gedacht, dass diese uns einmal vor den verheerenden Folgen einer Pandemie schützen kann.
Ein Wort noch zum politischen Leitbild Ökolandbau:
Auch in der DLG sehen wir im Ökolandbau ein Erfolgsmodell. Nachhaltige Prozessqualität am Markt entlohnen zu lassen ist zweifelsfrei ein richtiger Ansatz. Aber solange wir die Defizite bei Flächeneffizienz und Ertragsstabilität nicht gelöst bekommen, kann der Ökolandbau nicht das alleinige System der Nahrungsmittelerzeugung sein, erst recht nicht im globalen Maßstab. Wir plädieren für eine objektive Bewertung der Nachhaltigkeit auf Betriebsebene, wie wir dies beim DLG-Nachhaltigkeitsstandard tun. Und wie die Betriebe dann das Ziel der bestmöglichen Nachhaltigkeit erreichen, sollte denjenigen überlassen bleiben, die dies Tag für Tag auf Ihren Betrieben tun – den Landwirtinnen und Landwirten.
Zum Pakt für eine nachhaltig erfolgreiche Agrarpolitik gehört auch, dass wir Landwirte bereit sind, das Althergebrachte zu hinterfragen. Um es am Beispiel Agrardiesel zu zeigen: Zwar ist die gegenwärtig noch geltende Steuererleichterung ein wichtiges Instrument, um im internationalen Wettbewerb ein Level Playingfield zu schaffen. Doch viel wichtiger als einzelne Subventionen sind hierfür evidenzbasierte, mindestens einmal europäisch abgestimmte Regeln in der Produktion. Heißt konkret: Wenn wir umweltschädliche Subventionen abbauen wollen, müssen Alternativen verfügbar sein und aus Sicht der Betriebe attraktiv gestaltet werden. Das gilt am konkreten Beispiel Agrardiesel für eine steuerliche Förderung alternativer, weniger klimaschädlicher Kraftstoffe. Aber das gilt darüber hinaus und generell für den Umgang mit Innovation.
Meine Damen und Herren,
wir befinden uns - gesamtgesellschaftlich und politisch gesprochen - mitten in einem Paradigmenwechsel – man könnte auch sagen, einer Zeitenwende - mit unbestimmtem Ausgang. Die ökologische Transformation, der Green Deal, stoßen auf eine neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität. Diese neue Realität erfordert an vielen Stellen Anpassungen der Strategie, sowohl in der Politik als auch auf unseren Betrieben. Sie bietet aber auch Gelegenheit, althergebrachte Gewissheiten in Frage zu stellen und eröffnet Spielräume für rationalen Diskurs und fortschrittliche Gestaltung.
Lassen Sie uns gemeinsam in der DLG das unsere dazu tun, dass der neue Kurs nach der Zeitenwende für unsere Landwirtschaft und die ganze Gesellschaft in eine gute Zukunft führt.
VorläufigesBildPaetowRede.jpgPM_Wintertagung_2024_REDE_Paetow_Mitgliederversammlung.pdf