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Die Prüfungen von Molkereierzeugnissen (ab 1896) - Die „Molkereiausstellung“ auf der DLG

Krisenhafte 1890er Jahre: Katastrophale Milchpreise, Milchwirtschaft in prekärer Lage, ernsthafte Probleme bei Milchhygiene und Qualität

Die 1890er Jahre waren für die Landwirtschaft Krisenjahre. Halbierung der Getreidepreise und katastrophale Milchpreise führten zu enorm sinkenden Einkommen der Landwirte. Eine große Unruhe machte sich in der Landwirtschaft breit und führte unter anderem zur Gründung von kämpferischen Interessenvertretungen wie dem „Bund der Landwirte“. Die Lage in der Milchwirtschaft und im Molkereiwesen war kritisch, fehlende Zukunftsperspektiven prägten die Stimmung.

Zudem bereiteten die Milchhygiene, Infektionskrankheiten und Qualitätsstandards sowie die Haltbarmachung der Milch ernsthafte Probleme. Die Hygienefragen wurden als entscheidend für das Überleben der landwirtschaftlichen und der Molkerei-Betriebe gesehen. Mehr noch: zunehmende Konflikte um den Milchvertrieb und Milchhandel in den größeren Städten eskalierten zu einem regelrechten „Milchkrieg“, wie Zeitgenossen die Situation in Berlin kommentierten. Zugleich verzeichnete das Molkereiwesen, auch begünstigt durch den sich stark verbreitenden Genossenschaftsgedanken, einen wahren Boom an Molkerei- und Käserei- sowie Buttervereinsgründungen. Während in den 1870er Jahren

nur vereinzelt Molkereien existierten, gab es ab den 1880er Jahren bis 1907 insgesamt über 8.000 Neugründungen an Molkereien, woran sich eindrucksvoll der Aufbruch im Meiereibereich ablesen lässt. Auch gab es seit den 1870er Jahren milchwirtschaftliche Vereine und erste regionale Molkereiausstellungen. Allerdings waren die noch jungen Molkereibetriebe in Deutschland auf den wichtigen Absatzfeldern wie im Butter- und Käsemarkt noch kaum wettbewerbsfähig. Mehrere Berichte in den „Mitteilungen der DLG“ im Jahr 1896 weisen auf Absatzprobleme im Ausland, aber auch im Inland hin. Dänische Molkereien haben sich in diesen Jahren deutliche Marktvorteile durch qualitativ bessere Produkte und modernere Anlagen und Verfahren erobert.

Aus der Beschreibung der Umfeldbedingungen wird die besondere Rolle der DLG als Wegbereiter auch im Bereich der Milchwirtschaft und des Molkereiwesens in den ereignisreichen 1890er Jahren und vor allem zwischen 1894 und 1896 deutlich, was die traditionell enge Zusammenarbeit zwischen DLG und Milchwirtschaft erklärt.

Lösungsweg in der Existenzkrise: Durch Qualität zu besseren Preisen

Den führenden Köpfen in der DLG und in der Milch- und Molkereiwirtschaft war klar, dass politische Aktionen und Hilfen allein die Betriebe nicht aus der wirtschaftlichen Misere befreien würden. Notwendig waren wirksame neue Instrumente: die Einführung von Qualitätswettbewerben für Molkereiprodukte auf den DLG-Ausstellungen, die Prüfung von Geräten und Molkereianlagen sowie die Vorstellung verbesserter und neuer Einrichtungen für Molkereien auf Ausstellungen. Es wurde ein separater Sonderausschuss Molkereiausstellung in der DLG gebildet, dem die inhaltlichen und organisatorischen Vorarbeiten sowie die Durchführung oblagen. Diese Maßnahmen sollten das Qualitätsniveau der deutschen Milchprodukte heben und damit den Absatz heimischer Produkte im Inland sowie auf den Auslandsmärkten fördern. Im Ergebnis sollte dies zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage deutscher Molkereien beitragen wie auch zu besseren Preisen für die Milchviehhalter führen. 

Auf Initiative des Landwirts und Begründers der modernen Milchwissenschaften in Deutschland, Prof. Benno Martiny (Berlin), und von Dr. Franz Josef Herz, ausgewiesener Fachmann für Milchkontrolle und Vorstand der Milchwirtschaftlichen Untersuchungsanstalt fürs Allgäu in Memmingen, sowie einer Anzahl weiterer süddeutscher Milchwirtschaftler wurde bei der DLG-Ausstellung 1896 in Stuttgart ein Qualitätswettbewerb für Milcherzeugnisse durchgeführt. Für Benno Martiny, Gründer der milchwirtschaftlichen Vereine und Inspirator der ersten regional ausgerichteten Molkereiausstellungen, konnte der Milchbereich nur über die DLG und mit Hilfe ihrer Ausstellung die notwendige Beachtung und damit Förderung erfahren. Förderlich für den schnellen Erfolg dieser Initiative war sicherlich, dass Benno Martiny im Milchbereich hoch angesehenen und durch Herkunft und Berufsweg ein Repräsentant aus dem Osten Deutschlands war und der 20 Jahre jüngere Dr. Herz als dynamischer Antreiber die Wünsche wichtiger süddeutscher Milchregionen einbrachte.

Bereits auf der DLG-Ausstellung 1893 in München hatte das Allgäu eine kleine, aber stark beachtete Molkereiausstellung – noch ohne Preiswettbewerb – organisiert. Bei der nächsten DLG-Ausstellung in Süddeutschland, nämlich 1896 in Stuttgart, wurde dann eine Molkereiausstellung mit Preiswettbewerb veranstaltet. Ausgeschrieben wurde der DLG-Qualitätswettbewerb zunächst für Butter und Käse, daneben für Dauermilch und Sahne. Zudem wurden die Erzeugnisse ausgestellt, die am Dauerwarenwettbewerb teilnahmen. Als weitere Neuerung kam eine Molkerei-Kosthalle hinzu. Sie sollte der Image- und Produktprofilierung der Molkereiprodukte, der Begeisterung weiterer Konsumenten für diese Erzeugnisse und nicht zuletzt auch der Stärkung des Selbstbewusstseins der Milcherzeuger dienen.

Das Konzept mit Wettbewerben, Vorstellung auf Ausstellungen und Molkerei-Kosthallen erwies sich als sehr erfolgreich und wurde daher in den folgenden Jahrzehnten so beibehalten. Seit 1907 war auch Frischmilch zum Wettbewerb zugelassen. Zur Molkereiausstellung gehörte fachlich auch ein sehr umfangreicher Teil mit Maschinen und Geräten für die Milcherzeugung und die Molkereien.

Wegweisend auch in der Prüfmethodik

1906 beschloss der DLG-Vorstand, den bisherigen „Sonderausschuss für Molkereiausstellung“ zu einem „Sonderausschuss für Milchwirtschaft“ mit erweitertem Aufgabengebiet zu machen. Den Schwerpunkt seiner Arbeit bildeten Fragen des besten Bewertungssystems für die verschiedenen Molkereierzeugnisse sowie die Art des Richtens, der Richterauswahl und der Schulung. Bei den Prüfkriterien konnte der Ausschuss auf der Praxis, den Erfahrungen und dem eingeführten Bewertungssystem des Wettbewerbs von Dauerwaren für den Export aufbauen. Die eigentliche Prüfung fand immer einen Tag vor Eröffnung der Ausstellung statt. Sie erstreckte sich auf die sensorische Begutachtung nach einem anfänglichen 100-Punktesystem, das 1908 auf 50 Punkte reduziert und ein Jahr später von der 20-Punkte-Skala abgelöst wurde. Dieses 20-Punkte-Schema hat dann über Jahrzehnte den Maßstab für die sensorische Qualitätsbeurteilung gesetzt, an seiner Entwicklung und Vervollkommnung waren die besten Fachleute aus ganz Deutschland beteiligt. Erst 1981 wurde es durch die 5-Punkte-Skala ersetzt, in mehrjährigen, umfangreichen Arbeiten unter Beteiligung aller Produktausschüsse und Fachleute entwickelt. Heute dient es als Bewertungssystem zur sensorischen Begutachtung von verschiedensten Lebensmitteln und Getränken. Damit waren die Molkereiwettbewerbe und ihre Promotoren wichtige Pioniere für die Qualitätsförderung und bei der Entwicklung der DLG-Prüfkriterien.

Schnell eine eindrucksvolle Molkereischau

Die „Molkereiausstellung“ erfreute sich auf Anhieb großen Zuspruchs bei Erzeugern sowie Molkereien und hoher Beliebtheit bei den Besuchern, sie entwickelte sich schnell zu einer eindrucksvollen Molkereischau. Bis 1933 fanden regelmäßig jährlich Qualitätswettbewerbe für Molkerei- und Käsereierzeugnisse statt, mit ständig wachsendem Umfang. Bereits zum ersten Wettbewerb wurden 510 verschiedene Erzeugnisse von 226 Molkereien und Käsereien angemeldet, 1898 waren es schon 745 Proben und  auf der DLG-Ausstellung 1908 - wiederum in Stuttgart - wurde erstmals die Marke von 1.000 Erzeugnissen von insgesamt knapp 850 Herstellern überschritten.

Auch bei der „Molkereiausstellung“ zeigte sich der Trend, dass der jeweilige Ausstellungsstandort die Beschickung beeinflusste. Ein Diskussionspunkt war immer wieder der Zeitpunkt der Veranstaltung, denn der Ausstellungsmonat Juni war für die Milch- und Butterausstellung nicht günstig. So regten Produzenten aus dem Osten Deutschlands an,

den Butterwettbewerb jährlich im Februar zusammen mit den Wintertagungen der DLG in Berlin durchzuführen. 1906 kam ein weiterer Vorstoß aus dem Allgäu auf Verlegung der Butter- und der Käseprüfungen in den Monat Februar in Berlin. Gründe dafür waren die für die Buttererzeugung unterschiedlichen Fütterungsbedingungen mit Weidegang und Grünfutter in süddeutschen sowie mittel- und westdeutschen Regionen einerseits und Ost- und Westpreußen andererseits. Diese Anträge fanden wegen der erheblichen zusätzlichen Kosten stets keine Mehrheit, so dass bis 1933 die Wettbewerbe der Molkereiprodukte auf den DLG-Ausstellungen durchgeführt wurden.

Nach dem zweiten Weltkrieg knüpfte die DLG an diese Tradition an und baute die sensorischen Qualitätsprüfungen ab 1949/1950 im milchwirtschaftlichen Bereich wie auch in den anderen Nahrungsmittel- und Getränkebereiche gezielt aus. Bereits 1949 fanden die ersten Qualitätswettbewerbe für Butter und Käse statt und leiteten den Siegeszug der Qualitätsprüfungen für alle Produktbereiche bis hin zum EuroFoodTest der DLG als Europas größtem Lebensmittel- und Getränketest im Jahr 2009 in Köln ein.
Die Molkereiabteilung entwickelte sich bei der Fortführung der DLG-Ausstellungen ab 1950 zu einem bedeutenden Teil der seit den 1950er Jahren stark wachsenden DLG-Ausstellung. Aus der anfänglichen Molkereischau entstand so 1966 die selbständige DLG-Fachausstellung für Molkereitechnik, die sich über die DLG-FoodTec (ab 1988) zur Anuga FoodTec von KölnMesse und DLG als Veranstalter (seit 1996) als weltweit führende, branchenübergreifende Ausstellung für die Lebensmitteltechnologie entwickelt hat. 

(hgb)

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