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Resignation ist keine Option

Hubertus Paetow kritisiert auf den DLG-Unternehmertagen planwirtschaftliche Bürokratie beim Umbau der Landwirtschaft

Nach einer schwierigen und auch im Ergebnis nicht überall zufriedenstellenden Ernte wollen wir – wie immer Anfang September – den Blick nach vorne richten auf das, was die Zukunft für uns und unsere Betriebe bringt und vor allem, wie wir uns bestmöglich darauf einstellen können.

Thema der Unternehmertage war (wieder einmal) der Standort Deutschland – aus zweierlei Gründen:

Erstens sind landwirtschaftliche Unternehmen in besonderer Weise abhängig von natürlichen, aber vor allem auch von politischen Standortfaktoren, weil eine Verlagerung der Produktion für die Unternehmen nicht so einfach möglich ist wie in der Chipproduktion.

Und zweitens gewinnt der Faktor Standort in einer Welt, in der die Risiken der globalen Arbeitsteilung zunehmen, erheblich an Bedeutung.

Konzentration auf bestimmte Regionen

Corona und Ukrainekrieg mit ihren Folgen für die globalen Lieferketten haben uns gezeigt, dass eine globale Ausrichtung der Produktion lediglich nach komparativen Kostenvorteilen ihre Grenzen hat.

Oder andersherum: Auch die politischen Risiken einer Konzentration von bestimmten Produktionen auf einen Standort, wie die Erzeugung von Brotweizen für Nordafrika nur in Russland und der Ukraine, sind in die Kostenrechnung zur Standortbeurteilung mit einzubeziehen. 

Die Preisausschläge auf den Weltagrarmärkten, die für den deutschen Ackerbau positiv, für weniger zahlungskräftige Verbraucher in Europa und insbesondere in den auf Importe angewiesenen Entwicklungsländern aber existenzbedrohend sind, haben uns ein Bild davon vermittelt, was Unsicherheit in der Versorgung mit Nahrungsmitteln am Ende bedeutet.

Dabei wird der Begriff der Ernährungssicherheit häufig mit dem tatsächlichen Mangel an Nahrungsmitteln in den Importländern gleichgesetzt, also mit leeren Regalen und hungernder Bevölkerung.

Unabhängigkeit durch eigene Erzeugung

Mindestens ebenso folgenreich sind aber die Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln für Menschen, die ohnehin schon den größten Teil ihres verfügbaren Einkommens für Ernährung ausgeben müssen.

Diesen bleibt dann nämlich noch weniger für Wohnen, Gesundheit und Bildung, also für die Investitionen, die langfristig und nachhaltig zur Armutsbekämpfung notwendig sind. Und dies eben nicht nur im globalen Süden, sondern auch vor unserer Haustür.

Je mehr die Kontrolle über globale Handelsverflechtungen zum Mittel der Konflikteskalation wird, desto wichtiger wird eine Absicherung im Sinne einer Diversifizierung der Handelspartner, aber eben auch im Sinne einer Unabhängigkeit durch eigene Erzeugung.

Global vernetztes Ernährungssystem

Und das wiederum heißt für ein global vernetztes Ernährungssystem wie das unsere, dass man Verlagerungseffekte durch willkürliche Gestaltung von Produktionsstandards nicht beliebig in Kauf nehmen kann, weil man sich dann eben in jene Abhängigkeiten begibt, die wir beim Erdgas gerade so schmerzhaft zu spüren bekommen haben.

Bei allem Fortschritt in Richtung Ökologie und Klimaschutz sollte am Standort Europa eine Unabhängigkeit in der Grundversorgung und damit eben auch in der Nahrungsmittelerzeugung bewahrt werden – auch das gehört zur Zeitenwende.

Dabei braucht diese Unabhängigkeit weder hohe Subventionen noch einen besonderen Schutz vor Importen – sie braucht lediglich Rahmenbedingungen, die die Unternehmen nicht auch noch dabei behindern, sich im Sinne einer globalen Wettbewerbsfähigkeit weiterzuentwickeln.

Innovationskraft und hohe Produktivität

Land- und Ernährungswirtschaft am Standort Deutschland hat sich immer durch ein hohes Maß an Innovationskraft und eine hohe Produktivität ausgezeichnet. Diese Fähigkeiten haben die Nachteile einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft für die Urproduktion, nämlich hohe Löhne und sonstige Faktorkosten, immer zumindest so weit kompensiert, dass trotz starker Konkurrenz aus anderen Regionen funktionierende heimische Wertschöpfungsketten in der Nahrungsmittelerzeugung entstanden sind.

Seit dem Beginn der Liberalisierung und Globalisierung der Agrarmärkte wurde auch aus der Wissenschaft prognostiziert, dass Landwirtschaft in den Industriestaaten Mitteleuropas im globalen Wettbewerb mit anderen Agrarregionen nicht mehr mithalten kann. 

Aber bis heute kann die deutsche und europäische Agrarbranche durchaus mithalten, und das liegt nicht nur an einer stetig steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln, sondern eben auch an der erfolgreichen Anpassung an die Rahmenbedingungen, an der stetigen Optimierung von Produktionsverfahren bei Flächen- und Arbeitsproduktivität – im Übrigen bei zumindest gleichbleibenden, wenn nicht sogar abnehmenden negativen Auswirkungen auf Natur und Umwelt.

Zugang zum Fortschritt

Diese Strategie wird jetzt allerdings infrage gestellt.

Wenn wir durch Innovation wettbewerbsfähig bleiben wollen, braucht es vor allem zwei Dinge:

  1. Wir brauchen Zugang zum Fortschritt.
  2. Und wir brauchen Sicherheit für die Investitionen – denn diese sind mit der Einführung innovativer Verfahren verbunden.

Zugang zum Fortschritt heißt dabei nicht, dass jede Innovation ungeprüft und ohne Regulierung eingeführt werden kann. Natürlich müssen wir uns schon im eigenen Interesse um die möglichen Folgen neuer Verfahren für Umwelt und Gesundheit kümmern. Und wir müssen eine Form der Regulierung finden, die diese Folgen auf das Notwendigste beschränkt. Was aber nicht funktionieren wird, ist eine Abkehr vom technischen Fortschritt als Lösung der Zielkonflikte zwischen Produktivität und Ressourcenschonung.

Gerade für die Bewältigung dieser Zielkonflikte braucht es den ganzen Werkzeugkasten der Innovation und eben keine politische Angstbewirtschaftung durch die Erfindung immer neuer vermeintlicher Risiken der modernen Agrarproduktion.

Vorsorgeprinzip heißt eben nicht, Vorsorge um des Prinzipes willen. Was wir gerade in der Politik bei Pflanzenschutz und Züchtungstechnologien am Standort Deutschland erleben, ist das Gegenteil von Vorsorge im Sinne nachhaltigen Fortschritts.

Sicherheit für Investitionen kann für unternehmerische Landwirte nicht bedeuten, dass jede Investition bis zum Ende Ihrer Abschreibungszeit eine garantierte Verzinsung bringt. Diese Vollkaskoversicherung kann es in einem auf Dynamik angelegten Wirtschaftssystem nicht geben. Aber zumindest sollten die investierenden Unternehmen sich darauf verlassen können, dass die gesetzlichen Vorgaben eine Investition wie in eine tierwohlgerechte Stallanlage nicht schon entwerten, bevor sie in Betrieb genommen werden kann.

Gute Rentabilität im Ackerbau

Für eine erfolgreiche Land- und Ernährungswirtschaft am Standort Deutschland stehen die Zeichen aktuell widersprüchlich. Auf der einen Seite ist die Nachfrage auch nach unseren etwas teurer produzierten Nahrungsmitteln hoch, was wir an den zwar volatilen, insgesamt aber doch komfortablen Erzeugerpreisen sehen. Trotz hoher Kosten für Lohn, Fläche und Standards ist die Rentabilität insbesondere im Ackerbau aktuell gut.

Aber wie für unsere gesamte Volkswirtschaft gilt auch für die Ernährungsbranche, dass die heutigen Entscheidungen der Politik über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und damit auch die strategische Ausrichtung der Betriebe bestimmen.

Und diese heutigen Entscheidungen, insbesondere aus der Politik, lassen große Zweifel daran aufkommen, dass auch in Zukunft die Innovationskraft und Produktivität der Unternehmen ausreichen werden, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Deshalb verwundert es auch überhaupt nicht, dass trotz auskömmlicher Betriebsergebnisse die Stimmung bei den Betriebsnachfolgern, die Investitionspläne beim Umbau der Tierhaltung und allgemein die Bereitschaft der Betriebe, sich unter diesen politischen Rahmenbedingungen im Sinne eines nachhaltigen Fortschritts weiterzuentwickeln, auf einem Tiefpunkt angekommen sind.

Branche unter Generalverdacht

Wenn wir den Standort Deutschland und sein Ernährungssystem für die Zukunft sowohl ökologisch nachhaltig als auch ökonomisch wettbewerbsfähig aufstellen wollen, dann geht das nicht mit planwirtschaftlicher, hyperbürokratischer Feinsteuerung, die eine ganze Branche unter Generalverdacht stellt. Wenn der digitale Fortschritt sich in Satellitenbildern zur Auflagenkontrolle erschöpft und eine 100-prozentige Einhaltung der Vorschriften der Ordnungspolitik objektiv für keinen Betrieb mehr möglich ist, dann sind wir fast schon da angekommen, wo wir in Ostdeutschland 1989 aufgehört haben – bei einem maximal unternehmerverachtenden System, das weder den Fortschritt hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem befördert noch auch nur seine eigenen politischen oder ideologischen Ziele erreicht.

The Show must go on

Diese Beurteilung der heutigen Rahmenbedingungen, so richtig und ernüchternd sie ist, muss von einer Zukunftsorganisation wie der DLG so getroffen und gesagt werden. Denn wie schon gesagt, bestimmen die heutigen politischen Entscheidungen über die Zukunft der Betriebe und der ganzen Branche. Für den einzelnen landwirtschaftlichen Unternehmer auf seinem Betrieb stellt sich die Lage aber nicht so einfach dar. Für echte Unternehmer ist Resignation keine Option – the Show must go on.

Innovationen aus Technik und Züchtung

Und so wollen wir uns in den nächsten Stunden und auch darüber hinaus in der DLG-Familie damit beschäftigen, wie wir trotz Gegenwind aus Politik und Gesellschaft unsere Betriebe nachhaltig und zukunftsfähig aufstellen können. Wie wir die eigenen Stärken bei Innovation und Produktivität dazu nutzen können, wettbewerbsfähig und damit zukunftsfähig zu werden, ohne die Ressourcenschonung bei Natur und Umwelt aus dem Blick zu verlieren. Viele Werkzeuge dafür haben wir, nämlich die vielen Innovationen aus Technik und Züchtung - aber auch den unternehmerischen Spirit, der sich zu allen Zeiten gegen widrige Rahmenbedingungen durchgesetzt hat und das auch in Zukunft tun wird.

Ich fasse zusammen:

  1. Der Standort Deutschland braucht einen starken Agrarsektor mit wettbewerbsfähiger Produktion, um Unabhängigkeit in der Daseinsvorsorge sicherzustellen.
  2. Bürokratische, planwirtschaftliche und innovationsfeindliche Feinsteuerung ist völlig ungeeignet, um das Ziel eines nachhaltigen Ernährungssystems zu erreichen.
  3. Gut ausgebildete, kreative und hochmotivierte Unternehmer und Mitarbeiter sind unser wertvollster Standortvorteil. Wenn wir diesen Vorteil nutzen, indem wir für diese Akteure des Fortschritts beste Rahmenbedingungen und möglichst wenig Hindernisse schaffen, müssen wir uns um den Agrarstandort Deutschland keine Sorgen machen.

Ich bin sicher, dass es eine gelungene Tagung mit vielen guten Gesprächen für uns alle war. Und wenn Sie nun zurück auf Ihren Betrieben sind und wieder mehr an neue Investitionen oder einen neuen Betriebszweig und weniger an SUR und Agrarbürokratie denken, dann wissen Sie, wofür es unsere DLG gibt.


Hubertus Paetow,
Präsident Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, DLG