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SUR geht in die heiße Phase

Detlef Steinert befürchtet, dass Einsatzfenster verstreichen und noch mehr Bürokratie droht

Sarah Wiener, als TV-Köchin bekannt gewordene EU-Abgeordnete der österreichischen Grünen, hat vor Kurzem als Berichterstatterin im EU-Parlament die Vorschläge zur geplanten EU-Pflanzenschutzmittelverordnung offiziell vorgelegt. Erste Details stellte sie bei einer Veranstaltung des Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes (RLV) in Brüssel vor. Klar wurde dabei: Das Ringen darum nimmt Fahrt auf.

Alle wollen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sowieso und ihretwegen auch die Politik. So haben die Regierungsparteien im Bund eine Beschränkung auf das „notwendige Maß“ vereinbart. In NRW wollen CDU und Grüne gemäß Koalitionsvertrag eine Strategie zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln entwickeln. Auf dem UN-Biodiversitätsgipfel wurde im Dezember in Montreal ebenfalls eine Minderung beschlossen. Auch die EU-Kommission hat sich das als Ziel gesetzt und mit dem Entwurf der Verordnung (Sustainable Use Regulation, SUR) auch konkrete Zielvorgaben vorgelegt. Und die Landwirtinnen und Landwirte? Auch die sind dazu bereit, weniger chemisch-synthetische Mittel anzuwenden, um Schädlinge in Schach zu halten, um so Erträge und Qualität von Lebensmitteln zu sichern.

Im Ziel sind sich Politik und Berufsstand sehr wohl einig. Aber über den Weg dahin gehen die Vorstellungen durchaus ausei­­nan­der. Das machte auch die Podiumsdiskussion am Montag vergangener Woche in Brüssel deutlich, die der Rheinische Landwirtschafts-Verband (RLV) organisiert hatte. Im Mittelpunkt stand dabei die geplante SUR-Verordnung. Die will die Kommission möglichst bis zum Sommer dieses Jahres durch den Trilog bringen. Denn unsicher ist, welche Priorität Spanien diesem Vorhaben einräumt, wenn es im zweiten Halbjahr die Ratspräsidentschaft in der EU übernimmt. Hinzu kommt, dass nach der Sommerpause die EU-Parlamentarier mit Blick auf die Europawahl im kommenden Jahr sicher anderes im Kopf haben als diese Kommissionspläne. Verfechter der SUR befürchten daher eine Verschleppung, denn bei dem Thema müssen sich Rat, Parlament und Kommission eben einig werden.

Flexibilität und Innovation

Auch Sarah Wiener will die SUR so bald wie möglich im EU-Parlament in trockenen Tüchern haben. Ihr kommt als Berichterstatterin für dieses Vorhaben eine Schlüsselstellung zu. Die Zustimmung zu den Details, die Wiener vorab verriet, hielt sich bei den Landwirtinnen und Landwirten, die in Brüssel mit dabei waren, allerdings in Grenzen. Im Wesentlichen bedeuten ihre Vorschläge für Änderungen und Ergänzungen an dem Verordnungsentwurf der EU-Kommission, die sie dann am Donnerstag offiziell dem EU-Parlament vorstellte, keine Verbesserungen für die Landwirtschaft. Was die am meisten braucht, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln einschränken zu können, ohne Erträge und Qualitäten zu gefährden, fehlt auch in ihren Ausführungen: Flexibilität und Innovationen, damit zum richtigen Zeitpunkt das richtige Mittel in der richtigen Dosierung - so wenig wie möglich und so viel wie nötig, also punktgenau und sparsam - angewendet werden kann.

Totalverbot für Landschaftsschutzgebiete

Stattdessen wartet Wiener mit Verschärfungen auf. Eine besteht darin, dass der Basiszeitraum, auf den sich die angestrebte Einschränkung von generell 50 Prozent beziehungsweise 80 Prozent bei besonders gefährlichen Mitteln bis 2030 bezieht, nun die Jahre 2018 bis 2020 sein sollen – Jahre, in denen wegen Trockenheit und Dürre der Pilzbefall in vielen Kulturen deutlich geringer war als sonst. Außerdem will sie die Pufferstreifen verbreitern: auf mindestens 10 m und sogar 50 m zu besonders sensiblen Arealen. Keine Abstriche macht sie an dem Kommissionsvorschlag, dass alle anderen Möglichkeiten des integrierten Pflanzenschutzes ausgeschöpft sein müssen, bevor Pflanzenschutzmittel angewendet werden dürfen. Das ist zudem penibel zu dokumentieren.

So droht in der Praxis nicht nur, dass Einsatzfenster verstreichen, es droht auch eine aufgeblähte Bürokratie. Zugute halten muss man Wiener allerdings, dass sie eine Überarbeitung der Gebietskulisse für nötig hält. Ein Totalverbot soll es ihren Vorstellungen nach zum Beispiel für Landschaftsschutzgebiete oder nitratbelastete (rote) Gebiete nicht geben, wohl aber für FFH-, Natura-2000- und Vogelschutzgebiete. Damit rückt sie wie die EU-Kommission, die mit einem sogenannten Non-Paper selbst vor ein paar Wochen Entgegenkommen signalisiert hatte, ein wenig von den ursprünglichen Vorschlägen ab. Wie viel mehr Abrücken noch zu erwarten ist, hängt nun vom Diskurs im EU-Parlament und davon ab, wie sich die Mitgliedstaaten im Agrarrat dazu stellen. Der Diskurs über das Wie und vielleicht auch das Ob einer Verordnung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln tritt damit in die heiße Phase ein. Zu Ende ist er noch nicht.