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Tierhaltungskennzeichnung: Finanzierung völlig offen

Zukunftsfest könne die Tierhaltung nur sein, wenn dieser Betriebszweig ein gutes Einkommen ermögliche und eine Perspektive für Nachfolgegenerationen biete. Davon könne derzeit nicht die Rede sein, so der Minister. Von 2010 bis 2020 habe sich die Zahl der Schweinehalter halbiert. „Diese Entwicklung muss uns Sorgen machen“, so Özdemir mit Blick auf die Abwanderung von jungen Menschen aus landwirtschaftlichen Regionen.

Vier zentrale Bausteine

Die Tierhaltung könne nur zukunftsfest sein, wenn sie einen Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt und Umwelt sowie Klima leiste. So stammten die Hälfte der Treibhausgasemissionen in Deutschland aus der Tierhaltung. Um den Umbau der Tierhaltung in Deutschland anzustoßen, wolle das Bundesagrarministerium (BMEL) nun mit dem Gesetzentwurf zu staatlichen Tierhaltungskennzeichnung voranschreiten und damit die Rahmenbedingungen für mehr Tierwohl schaffen. Das Gesamtvorhaben zukunftsfeste Tierhaltung umfasst vier zentrale Bausteine. Dabei handelt es sich um eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung, ein Förderkonzept für den Umbau der Ställe inklusive einer langfristigen Perspektive für die Betriebe, bessere Regelungen im Tierschutzrecht und Anpassungen im Bau- und Genehmigungsrecht. Die Kennzeichnung als rechtliche Verpflichtung informiert darüber, in welcher Haltungsform die Tiere gehalten wurden.

  • Lebensmittel müssen verpflichtend gekennzeichnet werden, wenn die Tiere in Deutschland gehalten wurden und die Lebensmittel in Deutschland an Endverbraucher:innen verkauft werden.
  • Es werden alle Formen der Abgabe von Lebensmitteln tierischen Ursprungs an die Verbraucher:innen erfasst, u. a. Einzelhandel, Bedientheke, Onlinehandel, Wochenmarkt.
  • Maßgeblich für die Kennzeichnung ist die Haltungsform der Tiere während des produktiven Lebensabschnittes, bei Fleisch die Mast.

Im ersten Schritt gibt es eine Kennzeichnung von frischem Schweinefleisch im Lebensmitteleinzelhandel (LEH), Online-Handel und der Bedientheke. Die Gastronomie werde später integriert.

Zunächst gelten folgende Stufen für die Haltungsform von Mastschweinen:

  • Stufe 1: Haltungsform Stall: Hier gelten die gesetzlichen Mindestanforderungen.
  • Stufe 2: Stall und Platz:  Tiere haben 20 Prozent mehr Platz im Vergleich zu den Mindestanforderungen der Stufe 1. 
  • Stufe 3:  Frischluftstall: Die Schweine haben innerhalb des Stalls einen Dauerkontakt zum Außenklima, 46 Prozent mehr Platz zur Mindestanforderung in Stufe 1.
  • Stufe 4: Auslauf/Freiland: Den Schweinen stehen 8 Stunden am Tag Auslauf im Freien zur Verfügung, 86 Prozent mehr Platz im Vergleich zur Mindestanforderung in Stufe 1. 
  • Stufe 5: Haltungsform Bio: Schweinefleisch und -produkte werden nach EU-Ökostandard erzeugt.

Bußgeld bei Verstößen

Die Kennzeichnung soll sichtbar auf allen Lebensmitteln angebracht werden. Oder es soll ein Hinweisschild in der Nähe des Verkaufs aufgestellt werden. Im Online-Handel muss die Haltungsform vor dem Kaufabschluss mitgeteilt werden. Die grafische Umsetzung des Labels werde das BMEL mit dem Gesetzentwurf vorstellen. In der Praxis zeigen die Schweinehalter ihre Haltungsform den zuständigen Behörden an. Verstöße gegen das Gesetz werden als Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern geahndet. Noch vor der Sommerpause soll nach den Plänen von Özdemir das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz in die Ressortabstimmung. Noch in diesem Jahr soll es in die parlamentarische Abstimmung gehen, um 2023 in Kraft zu treten. 

Er habe vom LEH die Zusage, dass die Stufe plus weitergeführt werde, führte Özdemir aus. Damit setze er auch den Wunsch der FDP um, den Handel zu beteiligen, sich an die Empfehlungen der Borchert-Kommission zu halten und auch der Bauernverband wolle mitmachen. Private Bio-Verbandslabel könnten weiterhin neben der gesetzlichen Tierhaltungskennzeichnung angebracht werden.  „Wir nehmen das geplante Gesetz für Schlachtschweine zum Anlass, es in Brüssel notifizieren zu lassen, um anschließend weitere Fleischarten wie Rind und Geflügel schneller genehmigt zu bekommen.“ Die EU-Kommission arbeite derzeit an einer Herkunftskennzeichnung, die nicht mehr mit der nationalen Haltungskennzeichnung kollidiere. 

Finanzierung geht alle an

Der Minister ist zuversichtlich, dass er die Vorbehalte des Koalitionspartner FDP ausräumen könne. „Wir lassen die Landwirte nicht im Stich. Wir wollen, dass gutes Fleisch auf den Tisch kommt.“ Ohne sich in irgendeiner Form auf eine Finanzierungsform festzulegen, führte Özdemir die bereits von der Borchert-Kommission vorgeschlagene Finanzierung einer Verbrauchsabgabe oder höhere Mehrwertsteuer an. Als Anschubfinanzierung setze er zunächst die im Koalitionsvertrag vereinbarte Summe von 1 Milliarde Euro für die kommenden vier Jahre ein. „Die Arbeit der Tierhalter muss uns etwas wert sein“, so der Minister. Er sei zuversichtlich, eine Lösung mit der FDP zu finden. Die Frage der Finanzierung gehe alle an: Landwirtschaft, Politik, LEH und Verarbeiter. Der Markt spreche eine „brutale“ Sprache. Viele Betriebe geben auf, deshalb brauche es ein Finanzierungsmodell für die höheren Haltungsformen. Darüber entscheide nicht er als Agrarminister. Er beginnt jetzt mit dem Umbau der Tierhaltung. Die Kennzeichnung und die Änderungen im Baurecht seien die ersten Schritt, ohne noch länger auf die Finanzierung zu warten.

Änderungen im Baugesetzbuch

Nach den Worten von Staatssekretärin Silvia Bender würden derzeit mit dem Bundesumweltministerium Gespräche in Arbeitsgruppen über eine Änderung der TA Luft geführt, wie das Vorhaben von Außenställen in die entsprechende Verordnung eingebaut werden könne. In Abstimmung mit dem Bundesministerium für Bauen soll gegebenenfalls das Stallrecht aus der großen Baurechtsreform, die für dieses Jahr geplant ist, herausgenommen und separat verhandelt werden. Da das Label nur für Fleisch und Fleischprodukte aus Deutschland gelte, dürfte es europarechtlich keine Probleme geben. Importeure können von der Tierhaltungskennzeichnung Gebrauch machen.