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Der Handlungsdruck steigt

Dr. Albert Hortmann-Scholten zum Schlachtschweinemarkt

Die explosionsartig ansteigenden Corona-Neuinfektionen setzen den Schweine- und Ferkelmarkt erneut unter Druck. In den Schlacht- und Zerlegebetrieben fehlen zahlreiche Arbeitskräfte. Befürchtungen werden laut, dass sich erneut ein Schweinestau bilden könnte, wie im Herbst 2020. Von der Absatzseite werden die Märkte ebenfalls durch die Schließungen von Gastronomie und Kantinen massiv gedrosselt. Der Warenabfluss stagniert.

Mittlerweile wird vielen Marktbeteiligten klar, dass es sich am Schweinemarkt nicht mehr um ein normales zyklisches Preistief handelt, sondern um einen dramatischen Strukturanpassungsprozess. Von diesem ist der gesamte Fleischsektor einschließlich der vor- und nachgelagerten Bereiche betroffen. Der nach der Rindersparte ökonomisch bedeutendste Sektor der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft ist stark gefährdet. Landwirte, die weiterhin mit der Schweinehaltung Geld verdienen wollen, müssen sich über folgende drei Punkte im Klaren sein:

  1. Aufgrund der kostenträchtigen Auflagenflut und einer ausufernden Bürokratisierung hat die Bundesrepublik seine Marktführerschaft sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch auf dem Weltmarkt verloren. Die von hiesigen Erzeugern in den letzten 18 Monaten freigesetzten Marktanteile sind von EU-Wettbewerbern ohne Probleme - auch auf den asiatischen Märkten - übernommen worden. Von der Krise in Deutschland profitieren u. a.  Spanier und Dänen. Dort steigt die Produktion schneller als sie bei uns zurückgeht. Eine zyklische Preiswende kann daher kaum erwartet werden. Statistiker prognostizieren für den EU-Binnenmarkt im laufenden Jahr einen Selbstversorgungsgrad von 127 Prozent bei gleichzeitig rückläufigem Pro-Kopf-Verbrauch. In Deutschland wird der Schweinefleischverzehr in diesem Jahr die 30-Kilogramm-Grenze unterschreiten. Selbst wenn wir zum Frühsommer aufgrund einer besseren Nachfrage steigende Schweine- und Ferkelpreise sehen werden, wird aufgrund der hohen Produktionskosten die Gewinnschwelle nicht erreicht.
     
  2. Sektoral werden die Belastungen in der gesamten Erzeugungskette zunehmen. Alleine durch die Folgen der Corona-Krise sind auf Dauer Zusatzkosten z. B. aufgrund von höheren Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen entstanden, die in einem schrumpfenden Markt kaum an den Endverbraucher weitergegeben werden können. In allen Betrieben der vor- und nachgelagerten Industriebereiche steigen neben den variablen auch die Fixkosten überproportional an, da der verringerte Mengenumsatz zu Überkapazitäten führt. Schlachthöfe und Mischfutterbetriebe werden aufgrund der geringeren Produktion zu Betriebsschließungen gezwungen. Im gesamten Sektor wird man verstärkt über Kooperationen oder Fusionen nachdenken müssen. Aufgrund dessen etablieren sich auch im Rotfleischbereich Integrierte Produktionssysteme. Durch die Corona Krise haben viele Schweinehalter gelernt, dass sie sich vertraglich absichern müssen. Aufgabe der Branchenverbände wird es sein, dass Vertragskonstruktionen entwickelt werden, die auf Erzeugerseite eine Kostendeckendung erlauben.
     
  3. Der Lebensmittelhandel (LEH) will vermehrt Fleisch aus alternativer Erzeugung an den dt. Markt bringen. Die vom LEH geschaffene Haltungsinitiative wird aufgrund von Wettbewerbsnachteilen ausländische Produzenten noch besser ins Spiel bringen. Denn die präferierten Haltungsformen 3 und 4 sind derzeit alleine aus baurechtlichen Gründen kaum in der Breite auszurollen. Zudem werden offenkundige Zielkonflikte zwischen Immissions- und Tierschutz und den damit zusammenhängenden ökonomischen Herausforderungen von der Politik kurzfristig nicht gelöst. Erst bis Ende 2022 will die neue Bundesregierung ein Paket aus Haltungskennzeichnung, Finanzierung und geändertem Genehmigungsrecht für Stallbauten erarbeiten. Bei der Herkunftskennzeichnung setzt das BMEL auf eine europäische Lösung, was sich noch schwieriger gestalten dürfte. Angesichts der desaströsen wirtschaftlichen Lage werden viele Betriebe bis dahin längst ihre Hoftore geschlossen haben. Der Handlungsdruck auf die Brache, vor allem aber auf die Politik steigt.

Fazit:  Für viele Schweinehalter stellt sich jetzt die Grundsatzfrage: Weiter Eigenkapital verbrennen oder aussteigen. Auch wenn einige Frühindikatoren mittelfristig für eine Preiserholung sprechen, wird sich die verfahrene Situation kaum wie in früheren zyklischen Preistiefs durch eine Angebotsreduktion der deutschen Schweinehaltung lösen. Für den politisch geforderten Umbau der Tierhaltung und eine damit hoffentlich einhergehende bessere wirtschaftliche Lage auf den Höfen ist eine breite gesellschaftlich Unterstützung erforderlich.