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DLG-Kolloquium 2021: „Zeit, zu handeln“

„Transformation in der Landwirtschaft ist nichts substanziell Neues, vielmehr war Landwirtschaft schon immer Objekt der Transformation. Denn Änderungen der Rahmenbedingungen haben zu Veränderungen in den Verfahren geführt“, so eröffnete DLG-Präsident Hubertus Paetow das DLG-Kolloquium 2021, das als Präsenzveranstaltung in Berlin im Rahmen der 2Gplus-Regelung durchgeführt wurde.

Der Agrarsektor stehe heute jedoch am Beginn einer Transformation, die mehr ist, als nur das Drehen an den Schrauben des Fortschrittes. Denn der Green Deal der EU, die Biodiversitätsrichtlinie und das Insektenschutzprogramm der Bundesregierung, aber auch die Neuorientierung des Lebensmitteleinzelhandels in Richtung Nachhaltigkeit führten zukünftig zu höheren Anforderungen an den Umwelt-, Klima- und Tierschutz.

Die bisherigen Antworten der Branche auf die gesellschaftlichen Fragen könnten sich sehen lassen, so Paetow. So habe die Vielfalt in den Fruchtfolgen zugenommen und Schweine würden zunehmend in Ställen mit Außenklimareizen gehalten. Darüber hinaus bringen die Landwirte Pflanzenschutz- und Düngemittel durch die Nutzung von Innovationen der Landtechnik immer präziser aus.

In diesem Umfeld gewinne es an Bedeutung, gesellschaftliche Positionen zusammenzubringen und Rahmenbedingungen zu gestalten. Im Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) sei es vollumfänglich gelungen, die Defizite der Branche ebenso herauszuarbeiten wie bestehende Zielkonflikte und mögliche Lösungen. So trage nach Einschätzung des DLG-Präsidenten der Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft dazu bei, künftige Standards für Tierwohl, Klima- und Umweltschutz auszuhandeln und die entstehenden Kosten zu ermitteln.

Politik formuliert Vielzahl neuer Strategien, Zielerreichung ist offen

„Die Politik hat in den letzten Jahren eine Reihe neuer Strategien auf den Weg gebracht“, dies unterstrich Prof. Dr. Hiltrud Nieberg vom Thünen-Institut in Braunschweig. So habe die EU unter dem Green Deal die Biodiversitätsstrategie, die Farm-to-Fork-Strategie und ein Programm „Fit for 55“, in dem die Klimaschutzziele formuliert sind, auf den Weg gebracht. In der Farm-to-Fork-Strategie habe die EU-Kommission festgelegt, die Menge ausgebrachter Pflanzenschutzmittel, antimikrobielle Mittel wie Antibiotika sowie die Nährstoffverluste zu halbieren.

Darüber hinaus soll der Anteil des Ökolandbau auf 25 Prozent erhöht werden und 10 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche sollen als Landschaftselemente, Blühstreifen und Brachen zum Schutz der Artenvielfalt dienen.

Diese Strategiepapiere setzen laut Professorin Nieberg mit ihren Zielformulierungen den Rahmen für die künftige Politikgestaltung. Nun gelte es, klare Umsetzungspfade zu erarbeiten. Dass die konkrete Gestaltung der Transformation durch eine Reihe offener Fragen geprägt sei, zeigte Professorin Nieberg unter anderem am Ziel „nicht-produktive“ Flächen für die Biodiversität: So sei die Definition der Bezugsflächen ebenso offen wie Kriterien, anhand derer bestehende Strukturen bei der Erfüllung der Zielmarken berücksichtigt werden. Offen sei auch die ökologisch sinnvolle Vernetzung von Biotopstrukturen in der Agrarlandschaft, um einen möglichst großen Nutzen für Biotopverbünde zu erreichen.

„Die Politik steht vor der Herausforderung, die Agrarpolitik so auszurichten, dass sie den Landwirten eine Perspektive bietet und gleichzeitig dazu beiträgt, die bedeutenden Umweltprobleme wie den Rückgang der Artenvielfalt und den Klimawandel zu lösen sowie das Tierwohl zu verbessern“, so Professorin Nieberg.

Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft müssen Teil der neuen Agrarpolitik sein

„Der Konfrontation ist Kommunikation zwischen Landnutzern und den Schützerverbänden gewichen“, so fasste Werner Schwarz, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes und Präsident des Landesbauernverbandes Schleswig-Holstein, die Arbeit der Akteure aus der Gesellschaft in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) zusammen. Mit den organisierten Kritikern der Landwirtschaft, Wissenschaftlern und Verbrauchern sei in der ZKL eine Vision für die Weiterentwicklung der Landwirtschaft erarbeitet worden, die in die Zukunft trägt. „Endlich suchen die Beteiligten nach gemeinsamen Zielen, statt sich dauerhaft zu beharken“, so Schwarz.

Die an der ZKL Beteiligten stimmten darüber ein, dass der Umbau der Landwirtschaft eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, die auch finanziell gestützt werden müsse. Ein wichtiges Ergebnis der Arbeit der ZKL sei nach Einschätzung von Schwarz, dass die Landwirtinnen und Landwirte entschlossen sind, den Pfad der Nachhaltigkeit weiterzugehen. Dazu gehöre, dass die Betriebe auch unter den sich ändernden Vorgaben Wertschöpfung erzielen, um eine wirtschaftliche Zukunft sicherzustellen.

Deswegen müsse die Gesellschaft die Mehrkosten für Biodiversität, Artenschutz und Tierwohl tragen, und ökologische Leistungen müssten zu einem Betriebszweig werden. Denn bisher erzielten die Landwirte nur über die Produktpreise Wertschöpfung, ohne dass in diesen Preisen die Nachhaltigkeitsanforderungen entlohnt würden. Notwendig sei deshalb, Nachhaltigkeitsleistungen zu bezahlen. Die Agrarpolitik sei gefordert, den Weg zu gestalten und den Landwirten damit Planungssicherheit zu geben.

Vor diesem Hintergrund plädierte Schwarz an die Mitglieder der ZKL, dafür zu sorgen, dass der gesellschaftliche Wille, der sich in den Ergebnissen der ZKL zeigt, von der neuen Bundesregierung gehört werde. Gleiches gelte für die Ergebnisse des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“), das konkrete Vorschläge für die Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung formuliert hat.

Naturschutz: Ziel sind leistungsfähige Ökosysteme und vitale Populationen

Jörg-Andreas Krüger, der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), skizzierte die Erwartungen von Naturschützern an die Landwirtschaft: „Ziel ist nicht, historische Agrarstrukturen und Landschaften wiederherzustellen. Es geht vielmehr darum, im Kontext aller heutigen Ansprüche an Landschaften, wie die Erzeugung von Nahrungsmitteln, die Stromproduktion aus Wind etc., ökologische Grundfunktionen ebenso zu sichern wie vitale Populationen wild lebender Arten.“ Dies könne erreicht werden, wenn 10 Prozent der Flächen für Landschaftsstrukturelemente, Saumstrukturen und nicht bewirtschaftete Flächen reserviert werden, so Krüger. Dazu gehöre zudem die Reduzierung der Schlaggrößen.

Nutzung und Schutz zu vereinen, könne nach den Vorstellungen des NABU nur dann gelingen, wenn aus Landwirten „Ökosystemwirte“ werden. Deren Hauptaufgabe bliebe die Nahrungsmittelerzeugung, aber die Bewirtschaftung von Ökosystemen zum Erhalt deren Vitalität müsse eine wichtige Rolle spielen. Eine entscheidende Rolle, um die Ziele zu erreichen, komme der Agrarpolitik zu, die Leistungen für Naturschutz, Moorschutz und Klimaschutz als Geschäftsfelder ausgestalten muss, so Krüger.

Ebenso wichtig seien neue Umsetzungsstrategien, indem Akteure aus Naturschutz, Landwirtschaft, Verwaltung etc. zusammengebracht werden, um Fördergelder zu akquirieren und private Investitionen anzustoßen. Die Herausforderung sei, so Krüger abschließend, die Ansätze und Ideen aus der Zukunftskommission Landwirtschaft zu verstetigen und konzeptionell zu vertiefen.

Transformation im Nordwesten: Gebremst durch das Baurecht

Für die Transformation im Nordwesten Deutschlands habe das Tierwohl besondere Bedeutung, so die Einschätzung von Carolin Grieshop, Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Ökolandbau in Niedersachsen. Neben den Vorgaben des Gesetzgebers will der Lebensmitteleinzelhandel sein Frischfleischsortiment auf die Haltungsstufen 3 und 4 umstellen. Darin zeige sich, dass der Markt für Produkte aus der Tierhaltung, die unter höheren Tierwohlstandards erzeugt werden, wächst. Jedoch bremse das derzeitige Baurecht die notwendige Anpassung von Stallbauten hin zu mehr Tierwohl aus. Denn die Landwirte erhielten aufgrund der Immissionsschutzauflagen keine Genehmigungen für Stallumbauten – eine Problematik, die nach wie vor ungelöst sei. Um den Wandel zu ermöglichen, müsste dafür gesorgt werden, dass die Behörden Genehmigungen für die notwendigen Umbauten erteilen. Zudem sei es notwendig, mit der Investitionsförderung Ställe mit hohen Tierwohlstandards voranzubringen.

Ein weiterer Treiber der Transformation im Nordwesten sei der Klimaschutz. Eine Maßnahme zur Reduktion von CO2 aus der Landwirtschaft soll der stärkere Schutz von Moorböden sein. Denn während Grünland rund 11 t CO2/ha und Jahr ausstößt, emittieren Moorböden ca. 34 t/ha und Jahr. Infolgedessen soll per Moorschutzplan der CO2-Ausstoß aus Moorböden reduziert werden, um die Klimabilanz des Sektors Landwirtschaft zu verbessern.

Diskutiert werde zudem die Frage, ob Öko-Tierhaltung eine Lösung für die Tierhalter im Nordwesten sein kann, um die Betriebe zukunftsfähig zu entwickeln. Nach Einschätzung Grieshops sei Öko-Tierhaltung für die meisten konventionellen Tierhalter jedoch keine Lösung.

Landwirtschaft in der Transformation: Die Arbeit beginnt jetzt

Alle Referentinnen und Referenten des DLG-Kolloquium 2021 stellten in ihren Vorträgen fest: Die Ergebnisse der ZKL sind eine stabile Basis, um die Transformation der Landwirtschaft zu gestalten. Jetzt komme es darauf an, konkrete Projekte umzusetzen und Konzepte für die Finanzierung des Umbaus auf den Weg zu bringen. Die Phase der Konzepterstellung sei abgeschlossen, nun müsse die Phase der Realisierung beginnen, so das Fazit.