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Mehr als Rohstoffappetit

Jan Grossarth zur Rolle der Landwirtschaft in der Bioökonomie

Die Bioökonomie ist keine Erfindung der Landwirtschaft. Aber das Konzept hat hier viele seiner Wurzeln: Keine Hochschule trug mehr zum Forschungs-Boom der vergangenen Dekade bei als die agrarische Universität Wageningen in den Niederlanden. Und auch das amerikanische Agrarministerium USDA steht in der internationalen Publikationsliste weit vorn. Das ist kein Wunder, geht es doch um „Nachwachsendes“ vom Acker.

Dass Landwirtschaft und Bioökonomie seit der institutionellen „Verbreitung“ der Bioökonomie eng miteinander verknüpft sind, bedeutet aber noch nicht, dass die Bioökonomie „den“ Landwirten nützen wird. Ich bin gefragt worden, für die Mitglieder der DLG diese Frage knapp zu diskutieren. Dafür ist es sinnvoll, zunächst die wesentlichen Leitlinien des Konzepts Bioökonomie herauszustellen.

Laut einer Definition der OECD geht es um die ,,Anwendung neuesten Wissens über Gene und komplexe Zellprozesse, um neue Produkte und Produktionsprozesse zu entwickeln“, und um ,,effiziente Prozesse, um eine nachhaltige Produktion zu erzeugen“ – in ,,allen Sektoren“.  Es geht also auch darum, dass auf der Fläche nicht nur Nahrungsmittel wachsen, sondern auch ein immer größerer Anteil von Bau- und Treibstoffen. Oder die Nährstoffe für Algen, Mikroben oder Pilze, die diese verwerten.

Der größere Zusammenhang ist: Erdöl, Erdgas und Kohle sollen ersetzt werden durch biogene Stoffe – als Heizstoff, als Basis für Dünger, Ethanol und  Stoffe. Die Fläche gewinnt an Wert, der Nutzungsdruck vergrößert sich.

Bioökonomie ist eben mehr als ein Sektor mit Rohstoffappetit. Das Konzept ist laut den Definitionen von EU, BMEL oder Bioökonomierat konsequent auf nachhaltige Innovation ausgerichtet und aber auch auf – was auch immer das heißen mag – ein ,,zukunftsfähiges Wirtschaftssystem" (Bioökonomierat). Für die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter (Universität für Bodenkultur Wien) markiert der Begriff sogar den Epochenwechsel vom Industriezeitalter in das neue Zeitalter – eben das der Bioökonomie.

Mit Winiwarters Worten: Der „Stoffwechsel“ von Mensch und Erde soll sich grundsätzlich verändern. Das bedeutet: mehr regionale Stoffkreisläufe, einschneidende biotechnische Revolutionen. Nicht mehr nur Kühe, sondern auch Wurzeln werden „gemolken“, und Proteine kommen nicht mehr überwiegend vom Fleisch, sondern Bakterien produzieren sie – sogar aus Luft und Ammoniak. 

Das wichtigste Schaubild, das die komplexen Zusammenhänge der tatsächlich existierenden Bioökonomie verdeutlicht, ist das Stoffflussdiagramm. Es zeigt, wie viel Biomasse geerntet, importiert, exportiert wird. Auffällig ist, dass der mit Abstand breiteste Strom als Futter in die Tiermast geht. Tiere verbrauchen Energie. Die geht verloren, die Umwandlungsverluste sind frappierend. Und noch akzeptabel?

Die Frage zeigt, dass Tierhaltung nun auch durch die Bioökonomie in Rechtfertigungsnot gerät. Nicht nur die öffentlich dominierende Tierethik – oder der Lifestyle-Veganismus –, sondern auch die Bioökonomie liefert starke Argumente gegen die Intensivtierhaltung. Sie ergeben sich aus der systemischen-nüchternen Betrachtung der Stoffströme. Und aus der Sorge um Energieknappheit, die auch ein Gründungsimpuls für die anglo-amerikanische ,,Bioeconomics“ war.

Mehr Verlust ist nirgends als in der ,,Veredlung“. Die ethische Frage „Tank oder Teller?“ der späten 2000er-Jahre wird sich aus der Logik der Bioökonomie auch leicht gegen das Fleisch wenden lassen (nicht in jedem einzelnen Fall, etwa der naturnahen Weidehaltung oder hocheffizienten Hühnermast, aber in der Summe). Künftig könnte man fragen: Schnitzel oder Salben, Biopharmazeutika, Biopestizide (die aus Stroh, Agrarholz oder Giftpflanzen produziert werden.)? Schnitzel oder Bauholz, das langfristig Kohlenstoffdioxid in Häusern speichert?

Die Bioökonomie wurde von Biotechnikern ins Spiel gebracht. Innovationen der Pflanzenzucht, der Effizienz, auch mittels Gentechniken, waren ein zentraler Impuls. In den vergangenen zehn Jahren hat die Wissenschaft atemberaubende Erfolge erzielt. Manche Innovationen, die Fleisch oder Milch ersetzen oder Abfälle verwertbar machen, dürften die Nachfrage nach Fläche und primären Agrarprodukten senken. Andere erhöhen sie: Die stoffliche Nutzung von verschiedenem Stroh oder Agrarholz für den Bau wird für Landwirte (und Pflanzenzucht) von zunehmendem Interesse werden. Für viele Tiermäster – und den überwiegenden Einkommenszweig der Landwirtschaft, die Futtermittelindustrie – ergeben sich weitere Gründe, über neue Einkommenszweige nachzudenken.