Zum Hauptinhalt springen

Das Land der Möglichkeiten

Olga Hunger über die Bedeutung Russlands für die DLG

In den letzten zehn Jahren hat Russland enorme Fortschritte im Bereich der Sicherung der Lebensmittelversorgung gemacht. Bei vielen Lebensmitteln hat sich das Land von einem Netto-Importeur zu einem Netto-Exporteur entwickelt. So, dass der Selbstversorgungsgrad bei den meisten Agrarprodukten (Getreide, Pflanzenöl, Zucker, Schweine- und Geflügelfleisch, Eier) weit über dem Inlandsbedarf liegt.

Und die Agrarproduktion bleibt weiterhin auf dem Wachstumskurs. Vize-Premier Viktoria Abramchenko prognostiziert für 2021 einen Zuwachs von über 5 Prozent, darunter in der Pflanzenproduktion um 6 Prozent und, in der Tierproduktion um 4,8 Prozent.

Warum hält die russischen Regierung an der Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung fest?

Agrarexporte – das ist das große strategische Ziel. Nach Angaben des russischen Zentrums „Agrarexport“ vom 25. Juli 2021 betrug der Export von russischen Agrarprodukten 16,3 Mrd. US-Dollar und stieg somit um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In den letzten sechs Jahren verzeichnete Russland die höchste Wachstumsrate unter den Lebensmittelexportländern. In diesem Zeitraum wuchs der Agrarexport um 90 Prozent oder 14 Mrd. US-Dollar.

Die Schlüsselregionen für den zunehmenden Handel sind China, Indien, Südostasien, der Nahe Osten, Afrika und die postsowjetischen Länder. Der Agrarhandel zwischen Deutschland und Russland entwickelt sich ebenfalls positiv. In den ersten vier Monaten dieses Jahres stieg der Handelsumsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 10 Prozent und belief sich auf 544 Mio. US-Dollar. Gleichzeitig stiegen die russischen Ausfuhren nach Deutschland um 32 Prozent auf 103 Mio. US-Dollar.

Wo liegen die Potentiale zur Steigerung der Agrarproduktion?

Wenn wir die Leistungen der Landwirtschaft in Deutschland und Russland vergleichen, so stellen wir fest, dass die deutschen Landwirte bei den meisten Feldfrüchten mehr als doppelt so viel ernten, wie die russischen Erzeuger.

Im Jahr 2020 betrugen die durchschnittlichen Erträge bei Weizen 78,2 dt/ha in Deutschland zu 29,8 dt/ha in Russland, bei Zuckerrüben 741,5 dt/ha zu 370 dt/ha, bei Winterraps 36,9 dt/ha zu 23 dt/ha, bei Kartoffeln 428,3 dt/ha zu 166 dt/ha. In der Tierproduktion sind die Differenzen nicht so gravierend, zum Beispiel lag in Deutschland die Milchleistung bei 8.457 kg Milch /Kuh und Jahr gegenüber 6.728 kg Milch /Kuh und Jahr in Russland. In der Geflügelproduktion sind die Produktivitätskennzahlen in Russland sogar höher. So liegt dort die Eierleistung bei 312 Eiern/Henne und Jahr gegenüber 301 Eiern/Henne und Jahr in Deutschland.

Weitere Steigerung der Produktionsintensität sowie Produktivität stehen hoch im Kurs. So setzt Russland, nach wie vor, auf die Käfighaltung bei der Eierproduktion und strebt die Steigerung von Düngemittelausbringungsmengen an.

Man muss aber auch erwähnen, dass der Einsatz von Nährstoffen in der Pflanzenproduktion auf noch niedrigem Niveau ist. Zurzeit wird im landesweiten Durchschnitt Mineraldünger in Getreide und Hülsenfrüchten im Umfang von rund 60 kg Nährstoff/ha auf circa 60 Prozent der Saatfläche ausgebracht. Die Ausbringungsmenge von organischem Dünger in Getreide und Hülsenfrüchten beträgt rund 1,5 t/ha und diese wird auf rund 10 Prozent der Saatfläche verteilt.

Einer der weiteren Treiber der Agrarproduktion ist die Einführung von rund 13 Mio. ha brachliegenden Agrarflächen in den kommenden zehn Jahren. Die speziellen staatlichen Förderprogramme für die Modernisierung, Digitalisierung und Intensivierung der Agrarproduktion helfen den russischen Landwirten, Innovationen in ihren Betrieben umzusetzen.

Diese Zusammenhänge führen dazu, dass die Investitionsbereitschaft der Landwirte in Russland sehr hoch ist. Die Ergebnisse aus der Befragung im Rahmen des DLG-Projektes Agrifuture Insights aus dem Herbst 2019 belegen, dass im Vergleich zu anderen befragten Ländern Russland deutlich herausragt. Dieser Trend hält auch in der Pandemiesituation an.

Die russischen Investoren und Landwirte sind offen für Neues und suchen weltweit nach technischen Lösungen für ihre Unternehmen. Sie schauen weit über die Landesgrenzen hinaus. Das belegen die Besucherzahlen von internationalen Messen. So wurde die Agritechnica 2019 von 7.250 Gästen aus Russland besucht, was einen Zuwachs von 89 Prozent gegenüber 2017 bedeutet.

Auch zu Agritechnica 2022 spüren wir ein beachtliches Interesse aus Russland. Das betrifft nicht nur Landwirte, sondern auch Landtechnikhersteller. Russland plant wieder einen der größten Gemeinschaftsstände auf der Agritechnica.

Auf der kürzlich in Mai stattgefundenen DLG-Messe für Tier- und Futterproduktion Agros in Moskau haben wir ebenfalls ein reges Interesse von rund 8.250 russischen Tierhaltern verzeichnet, die sich über die Angebote von 278 Aussteller aus 22 Ländern informiert haben.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Russland sich nicht nur als Rohstofflieferant auf den globalen Märkten sieht, sondern die Steigerung der Wertschöpfung durch den Ausbau der Lebensmittelverarbeitung sowie Entwicklung und den Export von technischem Know-how anstrebt.

Begabte Fachleute entwickeln fortschrittliche Technik auch in Russland. Bei einem Hersteller bauen ehemalige Raumfahrttechniker die Feldspritzen mit besonders leichtem Gestänge. Bei einem anderen erarbeiten zukunftsorientiere Ingenieure technische Lösungen für maschinelles Sehen basierend auf künstlicher Intelligenz, die nicht nur auf russischen Erntemaschinen sondern auch auf den Mähdreschern internationaler Marktführer eingesetzt werden. Das sind nur zwei Beispiele. Daneben gibt es zahlreiche Start-ups, die neue technische Ideen generieren.

Aus diesem Grund unterstützt die DLG die Initiative AgTechInventum vom VDMA Landtechnik und dem Russischen Landtechnikhändlerverband ASHOD zur Förderung junger Start-up Unternehmen im russisch sprachigen Raum. Auf der Agritechnica Digital werden die besten von besten Start-ups aus diesem Programm vorgestellt.

Bei allen Bestrebungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Kontext durch die Intensivierung der Agrarproduktion ist Russland bewusst, dass solche Themen wie nachhaltige Landwirtschaft, Umweltschutz, Klimawandel und Verringerung des CO2-Fußabdruckes nicht aus den Augen verloren werden dürfen. An dieser Stelle betrachtet die russische Regierung die globale Kooperation als besonders wichtig. Ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist der Deutsch-Russischer Agrarpolitischer Dialog.

Im Rahmen dieses Projektes werden die genannten Themen auf der politischen und fachlichen Ebenen aufgegriffen. Die DLG unterstützt diese Arbeit und berät zu den Bereichen Digitalisierung und nachhaltige Landwirtschaft. Auch ist die DLG in Russland mit ihrer Tochtergesellschaft OOO „DLG RUS“ vor Ort.