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Was können und müssen Zuckerrübensorten der Zukunft leisten?

Die Rübe kann ihre königlichen Ansprüche an einen guten Ackerbau nicht so schnell herunterschrauben wir ihr Beitrag zum Unternehmenserfolg auf ein eher bürgerliches Niveau schrumpfte. Doch als Blattfrucht spielt sie eine Rolle in der Anbaudiversifizierung, ebenso wie als heimischer Rohstoff in der Ernährungssicherung. Anlass genug also für den DLG-Ausschuss für Zuckerrüben, sich auf seiner letzten (virtuellen) Sitzung Anfang Februar mit der oben angesprochenen Frage zu befassen.

Folgerichtig erwarten die Landwirte von modernen Sorten eine verbesserte Stresstoleranz, mit denen die Rüben den aktuellen und künftig erwarteten Belastungen besser trotzen können und sich mit weniger aufwändigen Verfahren anbauen lassen.

Da ist einmal die Wassereffizienz: nicht nur die regional sehr trockenen Bedingungen der letzten drei Jahre, sondern auch die Bewässerungsbedarfe auf leichteren Standorten führen zum Wunsch nach Sorten, die die oft kritischen Auflaufphasen im Frühjahr sicher überstehen, weniger kostbares Beregnungswasser benötigen und auch den Folgekulturen noch einen Grundvorrat an Bodenwasser hinterlassen.

Dann wünschen sich die Anbauer bessere Widerstandfähigkeit gegenüber Krankheiten und Schädlingen. Das letzte Jahr zeigte sehr deutlich, wie die viröse Vergilbung den Beständen zusetzte, auch weil eine kurative Vektorenbekämpfung nur geringe Wirkung hatte. Die aktuellen Notfallzulassungen für neonicotinoide Beizmittel in einigen Anbaugebieten sind keine Dauerlösung: die Rüben „müssen sich selbst helfen“. Mit einer Winterrübe könnte man „Druck rausnehmen“: Das Auflaufen geschähe dann im feuchteren Herbst, die Ernte könnte früher erfolgen, bevor die Virusvektoren und die Blattkrankheiten „zuschlagen“.

Beim Roden, Lagern und Transport schließlich könnte ein „dickeres Fell“ die Rübe wirksamer schützen.

Auch für die Zuckerfabriken könnte sich eine Winterrübe entzerrend auf die Kampagne und somit kostensenkend auswirken. Alles, was die Zuckerausbeute fördert, ist der Industrie willkommen! Dazu zählen zuerst die Inhaltsstoffe und ihr Verhältnis untereinander. Sodann verbessern Lagerfähigkeit, Sauberkeit und Unversehrtheit die reibungslose Verarbeitung und gleichbleibende Prozesse in der Fabrik. Ideal wäre, wenn die Rüben ohne Erdanhang ins Werk gelangen. Eine verlängere Kampagne durch früh geerntete Winterrüben und deutlich über den Jahreswechsel lagerfähige Sommerrüben senkt die Stückkosten.

Ein langer Wunschzettel also und hohe Erwartungen an künftige Rübeneigenschaften, die durch Züchtung zu realisieren sind – ist das machbar? Die Züchterhäuser sind zuversichtlich, hier relevante Beiträge leisten zu können. Neben den so genannten „modernen“ Züchtungsmethoden, worunter CRISPR/Cas und ähnliche Werkzeuge verstanden werden, nutzen die Züchter eine Reihe weiterer Instrumente.

So erlaubt die Hochdurchsatz-Phänotypisierung dem Züchter eine Dokumentation und Analyse der Einzelpflanzenentwicklung über die gesamte Wachstumsperiode: Die Struktur des Samens mit und ohne Pille wird computertomographisch und seine Inhaltsstoffe werden mittels Nah-Infrarot-Spektroskopie erfasst. Das Keimverhalten wird in einem Stehendfilter ebenfalls computertomographisch erfasst und klassifiziert. Hier lassen sich bereits viele Wechselwirkungen zwischen Genetik und Saatgutaufbereitung erkennen.

Im Feld ausgesät, beobachtet der Phenofieldbot selbstständig die zeitliche Entwicklung jeder Pflanze bis etwa zum Sechsblattstadium, danach dokumentiert die Drohne, wie sich der Bestand weiter entwickelt. Auch Befallsgrade zum Beispiel mit Cercospora werden festgehalten. Die Ernte jeder einzelnen Parzelle, die Gewichtserfassung und die Analyse der wesentlichen Inhaltsstoffe erfolgt gleich in der Maschine auf dem Versuchsfeld. Viele Daten kommen da zusammen, die ihre Geheimnisse nicht ohne Weiteres preisgeben wollen.

Deshalb ist „Big Data“ ein weiterer Schlüssel zu schnellerem Zuchterfolg: wer die Daten „richtig“ abklopft, dem offenbaren sie wertvolle Zusammenhänge. Längst sind die Daten nicht mehr „händisch“ zu bewältigen: zu umfangreich, zu heterogen und in hoher Taktzahl anfallend. Die Aufgabe ist, Informationen aus unterschiedlich strukturierten Datensätzen zu extrahieren und komplexe Daten zielgerichtet zu kombinieren. Züchter setzen dabei auf maschinelles Lernen, anders sind schon die Analysen digitaler Bilder unmöglich.

Ungleich komplexer wird es, wenn die in der Phänotypisierung und Versuchsdurchführung erhobenen Daten mit denen der Genomanalyse verschnitten und dann mögliche Zuchtergebnisse durch die gezielte Kombination einzelner Gene vorausgesagt werden sollen.

Predictive Breeding nennen das die Züchter. Dazu entwickeln sie komplexe Modelle auf Basis künstlicher Intelligenz. Vergleichbar ist diese Situation mit der aktuellen Corona-Lage: Unterschiedlichste Daten (positive Testungen; 7-Tage-Inzidenz; Vorerkrankungen, BMI, Blutgruppe, Alter der Infizierten und Erkrankten; regionale Differenzierung; Impfquoten und Impfstoffe) fließen kontinuierlich. Was aber ist wichtig? Niedrige Todesraten und niedrige Klinikbelegung. Wie können also diese Daten helfen, die Krankenhäuser zu entlasten und Todesfälle zu minimieren? Monokausale, offensichtliche Zusammenhänge gibt es hier sicher nicht.

Genausowenig wie beispielsweise bei der Verbesserung der Ertragsstabilität einer Sorte bei moderatem Trockenstress auf den Feldern von Landwirt X. Es braucht eine breite wissenschaftliche Basis, selbstlernende Algorithmen und ausreichende Kapazitäten zur Datenverarbeitung, um relevante Muster in großen Datensätzen zu erkennen und so den Zuchtfortschritt zu beschleunigen.

Zu den neuen oder modernen Züchtungstechnologieren (new breeding technologies – NBTs) gehören neben dem bekannten CRISPR/Cas noch ODM, Zinkfinger und TALEN. Alle unterliegen seit dem EuGH-Urteil zur Mutagenese (2018) dem Gentechnikgesetz, sind also in Europa nur mit erheblichen Einschränkungen nutzbar. Sie basieren auf gezielten Doppelstrangbrüchen, die entweder allein durch zelleigene Reparaturmechanismen (Mutation) geheilt werden oder bei denen zusätzliches Erbgut an den Bruchstellen eingebaut wird. Das hilft schon bei der Forschung, um bisher nur vermutete Genfunktionen zu validieren.

Mit NBTs können Genvariationen schnell, gezielt und präzise integriert werden. Auf den ersten Blick öffnet sich hier ein ganz neuer Werkzeugkasten für das Zuckerrübengenom, bei näherem Hinschauen sind jedoch viele weitere Voraussetzungen nötig, um NBT erfolgreich einzusetzen: Die gewünschte Eigenschaft sollte auf einem oder wenigen (bekannten!) Gen(en) beruhen, die biologische Wirkung muss verstanden und die genaue Mutationsstelle muss identifiziert sein.

Wenn alles passt, kann die Zuckerrübe flexibel an zukünftige und geänderten Rahmen- und Umweltbedingungen angepasst werden. Da dann auch keine Rückkreuzungen wie bei klassischen Zuchtmethoden mehr notwendig sind, könnten die Landwirte neue Eigenschaften früher nutzen.