Zum Hauptinhalt springen

„Wir machen das bessere Fleisch in Zukunft“

Die Teilnehmer des Cattle & Pig Events mussten starke Nerven haben, als Referent Prof. Dr. Nick Lin-Hi, Professur für Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta, die Zukunft der Tierhaltungsbranche skizzierte und auf die bevorstehenden Veränderungen durch die Markteinführung von kultiviertem Fleisch hinwies.

Die ersten Produkte dieser Technologie sind heute schon in Singapur als Lebensmittel zugelassen, weitere Länder werden folgen. In wenigen Jahren würden diese weltweit auf dem Markt günstiger als herkömmliches Fleisch erhältlich sein und ihm seine Absatzmärkte streitig machen.

Kultiviertes Fleisch ist nach pflanzenbasierten Fleischersatzprodukten die nächste Stufe einer technischen Revolution, die die Nutzierhaltung an sich bald komplett infrage stellen könnte. Während die pflanzenbasierten Fleischersatzprodukte nur aufgrund eines massiven Einsatzes von Gewürzen und Zusatzstoffen so ähnlich wie echtes Fleisch schmeckten, sei synthetisch kultiviertes Fleisch nicht vom tierisch produzierten Fleisch zu unterscheiden.

Synthetisches Fleisch wird aus Stammzellen, welche einem Tier entnommen werden, in einer Nährlösung kultiviert.

Daraus können Produkte wie Bratwürste, Hackbällchen oder auch Chicken Nuggets hergestellt werden. Der Preis für die Produktion sinke stetig von Jahr zu Jahr, so Professor Lin-Hi, und könne bis 2025 auf gleichem Niveau wie herkömmliches Fleisch aus landwirtschaftlicher Produktion angelangt sein.

Nach Lin-Hi sei das in Bioreaktoren hergestellte Fleisch auch klimafreundlicher als die herkömmliche Fleischproduktion, was ein Argument für eine politische Förderung im Rahmen von Klimaschutzprogrammen sein könne. „Unseren Lebensstil haben wir so ausgewählt, dass wir nicht ohne Disruptionen überleben können,“ betonte der Professor für Wirtschaft und Ethik.

Er appellierte an die Agrarbranche, sich zügig den zu erwartenden Umbrüchen zu stellen und proaktiv an dem Umbau der Tierhaltungs- und Fleischbranche mitzuwirken, wenn sie nicht komplett von diesem neuen Industriezweig überrollt und aus dem Markt gedrängt werden wolle. Nährmedien, aus denen die Zellkulturen wachsen, könnten von der Landwirtschaft erzeugt werden, Genossenschaften könnten in Bioreaktoren investieren.

Was bleibt in Zukunft für die Landwirte übrig? Landwirtin Juliane von der Ohe hat eine ganzheitliche Sichtweise auf die Tierhaltung als Teil der Kreislaufwirtschaft und sieht gute Perspektiven in der qualitativen Diversifizierung und auch in der Regionalisierung der Fleischerzeugung: „Vielleicht werden auch manche nur noch als ‚Zierbauern‘ die Agrarromantik weiter kultivieren, der Markt für Billigfleisch wird bald stark umkämpft sein.“ Die Veränderungsbereitschaft sei in der Landwirtschaft zwar vorhanden, bei den langen Finanzierungsplänen für die Investitionen in der Tierhaltung jedoch begrenzt.