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Konventionell und Öko – Aschenputtel und edler Prinz?

Lothar Hövelmann meint: Sie wird nicht in seinen Armen landen

Man muss die Landwirtschaft auf Ökolandbau umstellen, dann sind Klima, Tierwohl, Überdüngung und Artenschwund gelöste Probleme. So sieht es jedenfalls die Talkshow-Society und gibt damit die Taktung der politischen Willensbildung vor.
 
Fortschritt beginnt jedoch mit dem Betrachten der Wirklichkeit und die sieht anders aus. Die Lösungen für die teils großen Herausforderungen, vor der die Agrarbranche steht, müssen überwiegend aus der konventionellen Landwirtschaft kommen. Sie wird auf lange Sicht das leitende Modell der deutschen und internationalen Landwirtschaft bleiben – wenn sich einige Dinge ändern.

Der Ökolandbau in Deutschland hat sich mit guten Konzepten, hoher Glaubwürdigkeit und wohlwollender Förderung ein noch vor wenigen Jahren als nahezu unerreichbar geltendes Marktsegment erschlossen. Respekt! Doch er stößt an seine Grenzen: Die gute Öko-Performance geht zu Lasten der Produktivität, der Innovationsflow verläuft schleppend und die vergleichsweise hohen Verbraucherpreise hemmen die Ausweitung der Marktanteile.

Die konventionelle Landwirtschaft in Deutschland hat eine hohe Produktivität entwickelt, Innovationskraft bewiesen und sich im internationalen Wettbewerb eine beeindruckende Position verschafft. Respekt! Doch sie stößt an ihre Grenzen: Die hohe Effizienz lässt der Biodiversität zu wenig Spielraum, Nährstoffüberschüsse und Defizite beim Tierwohl beschädigen das Vertrauen in die Branche.

Zwei Systeme, die als konventionelle These und ökologische Antithese beide an ihre Grenzen stoßen? Überraschend, denn nach der Theorie sollte doch die Antithese nach ordentlicher Prüfung als Fortschritt gelten und die These ablösen. Oder es sollten beide in einer Synthese aufgehen. So war es zumindest bei den Wirtschaftssystemen.

Der Manchester-Kapitalismus wurde durch die Soziale Marktwirtschaft abgelöst. Dessen Brutalität warf die soziale Frage mit einer solchen Vehemenz auf, dass eine Antwort unausweichlich wurde. Sie wurde nach dem Vorspiel Bismarck‘scher Sozialreformen durch die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Ehrhards gegeben. Ein über viele Jahrzehnte erfolgreiches Wirtschaftsmodell, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der westlichen Welt ideal zum Erstarken demokratischer Verfasstheit passte.

Neue Zeitalter setzen neue Rahmenbedingungen und Paradigmen. Heute gesellt sich zur sozialen Frage die ökologische Frage. In der saftigen Diktion des Bert Brecht heißt das: Erst kommt das Fressen und dann die Moral! Konsequenz: Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft. „Green Deal“ - im Sprachgebrauch der EU.

Der Green Deal ist das politische Dach, unter dem sich die branchenbezogenen Entwürfe für den Agrarsektor versammeln: „EU-Farm-to-fork-Strategie“, „EU-Biodiversitätsstrategie“, „Reform der GAP“, „Reform des Fachrechts“.

Und weil die konventionelle Landwirtschaft und der Ökolandbau soziale und ökologische Fragen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und Konsequenz beantworten, sollte sich unsere Branche dieser Herausforderung systemübergreifend stellen.

Vier Ansätze können dabei hilfreich sein: Berufsethos, Kostenwahrheit, flankierende Programme und Innovationen.

  • Berufsethos. Die DLG hat in ihren 10 Thesen zur Landwirtschaft 2030 den Begriff des „ehrbaren Kaufmanns“ auf den Landwirt übertragen. Der Landwirt ist dann ehrbar, wenn er neben dem Eigenwohl das Gemeinwohl im Blick hat. Das gilt für den Landwirt, der Ökolandbau betreibt ebenso, wie für seine konventionelle Berufskollegin. Und da geht bestimmt mehr! Bei Klima, Biodiversität, Tierwohl und Emissionen ist mit Eigenmotivation oft sicher mehr möglich, als derzeit realisiert wird.
  • Kostenwahrheit. Die ökonomischen Systeme müssen praktikabel weiterentwickelt werden. Sie müssen die Wirkung externer Effekte in den Kosten- und Erlösstrukturen der Unternehmen abbilden und zwar möglichst in den Grenzen der Märkte und nicht nur in den Abmessungen der Nationalstaaten.
  • Flankierende Programme. Mit der vielbeschriebenen Lücke zwischen Bürgerwille und Verbraucherhandeln - Tierwohl fordern aber nicht bezahlen wollen - lässt sich viel Stillstand erklären, doch nicht vollständig rechtfertigen. Programme wie von der „Borchert-Kommission“ vorgeschlagen, sind notwendig, um zum Beispiel mit einer Tierwohl-Abgabe das Versagen des Marktes zu mildern. Aber am langen Ende muss der Markt funktionieren.
  • Innovationen. Sie sind der Schlüssel. Kleine Verbesserungsschritte im Rahmen der bestehenden Prozesse und große Innovationssprünge, wie sie mit Biotechnologie und künstlicher Intelligenz möglich werden. Beiden Technologien wird in naher Zukunft das höchste Innovationspotenzial zugesprochen. Beide Technologien setzen auf die Kraft der Algorithmen, auf die Schnelligkeit von Entscheidungsregeln; einmal gespeichert als biologische Codes in Basentripletts, einmal als binäre Codes auf Magnetplatten. Beide Landwirtschaftssysteme, konventionell und ökologisch, müssen für sich klären, welche Technologien in welchem Maße systemkonform sind. Und die Politik muss in der Beratung durch die Wissenschaft im Rahmen eines gesellschaftlichen Diskurses entscheiden, wie die Technologien nutzbar gemacht werden können.

Zurück zur Eingangsthese: „Konventionelle Landwirtschaft bleibt auf lange Sicht das leitende Modell der deutschen und internationalen Landwirtschaft“. 20 bis 30 Prozent Ökolandbau sind wohl möglich, wenn alle Potenziale ausgeschöpft werden und manches Liebgewordene aber Unzeitgemäße in den Richtlinien entstaubt wird. Bleiben 70 bis 80 Prozent konventionelle Landwirtschaft. Das ist der Kern der Branche.

Wenn es also ernst sein soll mit Klimaschutz, Artenvielfalt und Sozialverträglichkeit, muss Ökolandbau produktiver werden und die konventionelle Landwirtschaft muss ihre Ökoperformance erhöhen.

Die Regie der Brüder Grimm sah vor, dass Aschenputtel zu guter Letzt in den Armen ihres Prinzen lag. Aber brauchen wir wirklich eine Synthese aus Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft?

Wahrscheinlich nicht. Beide Systeme nähern sich ohnehin einander an und darüber hinaus ist das Neben- und Miteinander beider Ansätze ein fruchtbarer Zustand. Erstens entspricht es einem gesunden Wettbewerb, der alle Beteiligten weiterbringt und zweitens können in der scharfen Profilierung des einen Systems Prozesse und Innovationen ausprobiert werden, die auch im anderen Nutzen stiften.