„Orphan Crops“: Die Nutzpflanzen der Zukunft?
Auf vielen Millionen Hektar Land wachsen heute verschiedenste Arten von Getreide, Pseudocerealien, Blatt-, Wurzel- oder Knollengemüse, Ölsaaten und diverse Früchte, die allesamt zu den Orphan Crops zählen. Mit Abstand am häufigsten angebaut werden Hirse (32 Mio. ha), Maniok (26 Mio. ha), Augenbohne, Kichererbse und Süßkartoffel (jeweils rund 12 Mio. ha).
In der Anbaustatistik liegen sie damit aber weit hinter den „Big Four“ Weizen (218 Mio. ha), Mais (197 Mio. ha), Reis (167 Mio. ha) und Soja (124 Mio. ha). Dafür überzeugen sie aber durch andere Qualitäten.
Für viele Kleinbauern in Entwicklungsländern und zunehmend auch für die Pflanzenforschung und -züchtung sind sie interessant, weil sie entweder widerstandsfähig oder reich an gesunden Inhaltsstoffen sind – und manchmal sogar beides wie Hirse, Okra-Schote oder Saat-Platterbse. Gerade die sogenannten Pseudogetreide Amaranth oder Quinoa gelten als besonders gesund. Sie sollen vor Krebs, Diabetes und Herzkreislauf-Erkrankungen schützen.
Was aus Sicht vieler Kleinbauern außerdem für sie spricht, ist dass sie mit widrigen Umweltbedingungen in der Regel besser zurechtkommen als die meisten kommerziellen Sorten.
Aller Anfang ist schwer
Angesichts der Vorteile überrascht es nicht, dass sie schon länger als „Wunderpflanzen“ und „Superfoods“ gehandelt werden. Vielmehr stellt sich die Frage, warum sie immer noch ein Nischendasein fristen und gerade von der Wissenschaft vielerorts noch immer vernachlässigt werden.
Die in Fachkreisen am häufigsten zu hörende Antwort sind fehlende Ressourcen: finanziell, institutionell, personell und infrastrukturell. Forschung und Züchtung stecken eben noch in den Kinderschuhen. Auch wenn sich bereits erste Initiativen mit ausgewählten Arten beschäftigen, ist der Aufholbedarf immer noch groß.
Defizit an empirischen Daten
Ein anderes Problem ist das mangelnde Angebot an phänotypischen und genetischen Daten. Während die Erschließung genetischer Daten dank der Fortschritte in der DNA-Sequenzierung an Fahrt aufnimmt, gestaltet sich die Erfassung von phänotypischen Informationen immer noch als schwierig.
Das liegt nicht an der fehlenden Bereitschaft, sondern daran, dass diese Arbeiten kosten- und zeitintensiv und die Mittel knapp sind. Auch wenn neue Züchtungsmethoden wie CRISPR, SMART-Breeding oder TILLING die Erforschung des Erbguts erleichtern, zum Beispiel bei der Suche nach vielversprechenden Allelen, führt kein Weg daran vorbei, das Defizit bei den phänotypischen Daten zu beheben und das Angebot an empirischen Daten insgesamt zu verbessern.
Welche Ziele verfolgt die Wissenschaft?
Dass die Orphan Crops Weizen, Mais und Co. den Rang ablaufen werden, ist unwahrscheinlich. Doch darum geht es den Befürwortern nicht. Ihr Blick richtet sich vor allem auf die Anbauregionen in den Entwicklungsländern. Dort sehen sie die Chance, die Abhängigkeit von Importen – von Saatgut und verarbeiteten Erzeugnissen gleichermaßen – zu reduzieren, wenn durch Züchtung verbesserte heimische Sorten attraktiver werden.
Kleinbauern und Landwirte würden von neuen Sorten profitieren, die weniger Ernteverluste und mehr Produktivität mitbringen. Für Verbraucher, vor allem Kinder, ließe sich so das Risiko für Mangelernährung senken, wenn sie aus einem größeren Angebot an Pflanzenarten mit verbessertem Nährstoffgehalt wählen könnten.
Orphan Crops auch in Europa?
Aber nicht nur Afrika und andere ferne Länder können von Orphan Crops profitieren. Mittlerweile gibt es vereinzelt auch bei uns schon Forschungsprojekte, die den Anbau von exotischen Pflanzen in Europa möglich machen sollen.
So geht das Projekt „MARVEL“ der Frage nach, ob chinesischer Yams als potentielle Kulturpflanze bei uns etabliert werden kann. Die essbaren Wurzelknollen der Yams sind mit Kartoffeln zu vergleichen und reich an Inhaltstoffen, die sie auch für Diabetiker attraktiv machen.
Ziel ist es, Wissen und genetische Daten über die tropische Pflanze zu sammeln und für die Züchtung nutzbar zu machen. Denn die Wurzelknollen - bisher sehr lang und dünn – können maschinell nicht geerntet werden. Mit modernen Züchtungsansätzen sollen sie daher zu runden Knollen umgestaltet werden.
Dies ist ein Auszug aus einem Beitrag auf der Plattform pflanzenforschung.de. Weitere Informationen unter Von der Waisenfrucht zur Wunderpflanze