„Die Weltnachfrage wird deutlich langsamer steigen“
Hubertus Gay ist norddeutscher Landwirtssohn. Sein Bruder ist der jetzige Betriebsinhaber. Gay hat Agrarökonomie in Hohenheim, Newcastle upon Tyne (UK), Kiel, Wageningen (NL) und Pietermaritzburg (Südafrika) studiert. An der University of KwaZulu-Natal (Pietermaritzburg, Südafrika) hat er seinen PhD erhalten.
Danach hat er für Ista Mielke (Oilworld) in Hamburg als Marktanalyst für Ölsaaten gearbeitet. Folgend im Thünen-Institut im Bereich Agrar- und Umweltpolitik.
2005 ist er zur Europäischen Kommission gegangen und hat erst im Joint Research Centre in Sevilla (Spanien) gearbeitet und dann im DG Landwirtschaft in Brüssel. Seine Themenbereiche dort waren Agrarmarktanalyse, Qualitätskennzeichen etc.
Seit 2014 ist er an der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) in Paris und arbeitet dort in der Agrar- und Handelsabteilung. Seine Hauptaufgabe ist die Koordination des jährlichen gemeinsamen Agrarausblicks der OECD und FAO.
Sie leben in Paris. Wie sehen Sie die Stimmung unter den französischen Landwirten?
Hubertus Gay: Die Landwirtschaft in Frankreich spielt eine stärkere gesellschaftliche Rolle als in Deutschland. Es wird aber auch von Landwirten erwartet, dass die Gesellschaft dieses wertschätzt.
Die Bedeutung von Märkten bei der Preisfindung wird oft als nachrangig erachtet. So entsteht sehr schnell der Ruf nach dem Staat zur Unterstützung der Landwirtschaft. In den letzten Jahren sind die Erträge langsamer gestiegen als in anderen Regionen der Europäischen Union, so dass der Druck auf die Landwirtschaft steigt. Außerdem hat die französische Regierung weniger Spielraum national etwas zu gestalten.
Sie arbeiten bei OECD und mit der FAO. Welche Rolle spielen diese Organisationen für die Förderung einer produktiven, innovativen und nachhaltigen Landwirtschaft?
Gay: Die Arbeitsweise der OECD besteht in der Regel darin, Politik und deren Auswirkungen in Mitgliedsländern zu analysieren und zu vergleichen. Darauf aufbauend werden Politikempfehlungen gegeben. Im Bereich Landwirtschaft werden jährlich die Subventionen von über 50 Ländern analysiert und mit dem PSE-Konzept (producer support equivalent) verglichen.
Zusätzlich werden einzelne Länder im Detail auf die Auswirkung von Politiken auf Innovation und Produktivität analysiert. Bisher sind in dieser Reihe zehn Länder (unter anderen USA, Brasilien, China, die Niederlande, Schweden) analysiert worden.
Ich arbeite zusammen mit der FAO an dem gemeinsamen Zehnjahresagrarausblick. Hierbei geht es darum, die Entwicklungen von Nachfrage und Angebot von Agrarprodukten aufzuzeigen. Dieses wird dann benutzt, um Auswirkungen von Politikänderungen auf Agrarmärkte abzuschätzen.
Wie aus dieser Beschreibung zu ersehen ist, sind diese Arbeiten der OECD eher von indirekter Bedeutung für die Landwirtschaft. Aber sie sollen ermöglichen, dass Staaten Rahmenbedingungen schaffen, die zur Entwicklung einer produktiven, innovativen und nachhaltigen Landwirtschaft führen.
Zusätzlich gibt es einige Arbeiten, die direkte Auswirkungen haben, zum Beispiel die OECD Tractor Codes. Die Arbeit der FAO ist noch weiter aufgestellt, mit besonderem Entwicklungsländerbezug.
Bei welchen Produkten können wir in Europa in den nächsten Jahren gute Märkte erwarten – und welche werden eher durch Preisdruck gekennzeichnet sein?
Gay: Durch die Öffnung der Agrarmärkte der Europäischen Union hängen die Preise für die meisten Produkte direkt vom Weltmarkt ab. Die Weltnachfrage für Agrarprodukte wird in den nächsten zehn Jahren deutlich langsamer steigen als in den letzten zwanzig Jahren. Die zwei Hauptgründe sind Biokraftstoffe und China.
Bei Biokraftstoffen gibt es seit ein paar Jahren keine starken Zuwächse mehr und neue bedeutsame Wachstumsmärkte zeichnen sich nicht ab. China hat in den letzten zwanzig Jahren seine Nachfrage nach Lebensmitteln stark ausgedehnt, aber der pro Kopf Verbrauch erreicht langsam das Niveau von Europa. Zusätzlich ist das Bevölkerungswachstum in China und in der Welt langsamer als zuvor.
Der langsamere Anstieg der Nachfrage wird in nächsten Jahren die Preise unter Druck halten, so dass Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft notwendig sind, um am Markt zu bestehen. Der Preisdruck auf dem Weltmarkt wird wahrscheinlich geringer für Milchprodukte sein als für andere Agrarprodukte, da hier die Nachfrage in China und anderen Entwicklungsländern das größte Entwicklungspotential hat.
Was muss kurzfristig geschehen, damit der Welthunger nicht wieder zunimmt?
Gay: Der Hauptgrund für einen Anstieg des Welthungers ist politische Instabilität. In Regionen mit politischer Instabilität steigt der Hunger an, während im Rest der Welt der Hunger kontinuierlich abnimmt. Daher ist kurzfristig politische Stabilität entscheidend. Außerdem können sich offene Märkte schnell positiv auf die Lebensmittelversorgung auswirken. Langfristig sind zusätzlich andere Faktoren wichtig, insbesondere die Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft.
Wie können Sie von der DLG-Mitgliedschaft profitieren?
Gay: Da ich mich in meiner Arbeit sehr abstrakt mit der Landwirtschaft beschäftige, gibt mir die Mitgliedschaft in der DLG die Möglichkeit, gegenwärtige Entwicklungen aus der Sicht der Landwirtschaft zu sehen. Auch verschafft es mir ein wenig Einblick, wie Produktivitätssteigerungen durch Management und technische Innovationen in der Landwirtschaft umgesetzt werden. Da meine Familie als Landwirte langfristig der DLG angehören, habe ich immer einen Bezug zu der DLG-Arbeit gehabt.