Zum Hauptinhalt springen

Landwirtschaft am Scheideweg

Hubertus Paetow zur Wintertagung 2019

Die Spuren, die der Witterungsverlauf des vergangenen Jahres in Getreidespeichern, Futtersilos und Jahresabschlüssen hinterlassen hat, sind tief und die Auswirkungen auf die Aussaat im Herbst 2018 ziehen sich bereits ins hier und jetzt. Bleiben wird aber nicht nur ein mäßiger Feldaufgang, sondern vor allem der Eindruck, dass sich die Landwirtschaft den Herausforderungen der Natur nicht ohne Hilfe des Staates stellen kann.

Es scheint nahezu egal aus welchem Blickwinkel das Jahr 2018 betrachtet wird, es hat uns unmissverständlich die Grenzen unseres Systems aufgezeigt, egal ob produktionstechnisch, betriebswirtschaftlich oder medial: Wir stehen am Scheideweg.

Unsere hiesige Landwirtschaft ist über weltweite Warenströme mit den Entwicklungen in der internationalen Politik verknüpft. Das heißt für uns zusätzlich, dass wir uns neben den Themen der heimischen Nahrungsmittelerzeugung auch mit den internationalen Entwicklungen auseinandersetzen müssen.

Der Brexit steht unmittelbar bevor und vieles spricht dafür, dass dieser ungeregelt ablaufen wird, mit unter anderen heftigen Turbulenzen für die Landwirtschaft. Bisher ist Großbritannien schließlich der wichtigste europäische Handelspartner – und wird dies hoffentlich auch bleiben.

Die Werte, die wir als gesicherten Fortschritt des 21. Jahrhunderts betrachtet hatten, nämlich Frieden, Toleranz und Freiheit und ein offener Austausch von Waren und Dienstleistungen, sind auch im Rest der Welt auf dem Rückzug.

Wir als DLG haben uns dem Fortschritt in der Land-, Agrar- und Lebensmittelwirtschaft verschrieben und das bereits seit der Gründung 1885. Fortschritt ist für uns also keine grundlegend neue Thematik, denn all unser Tun dient letztendlich diesem einen Ziel. Aber die Land-, Agrar- und Lebensmittelwirtschaft bewegt sich heute in einem anderen Umfeld, als sie es beispielsweise noch vor 70 Jahren tat.

Mehr denn je prägen gesellschaftliche Anforderungen an Tier-, Umwelt- und Klimaschutz die Rahmenbedingungen der landwirtschaftlichen Betriebe. Infolgedessen nehmen staatliche Regulierungen ebenso zu, wie die Anforderungen des Lebensmitteleinzelhandels, der beispielsweise mithilfe der Kennzeichnung von Haltungsverfahren für Differenzierung im Fleischmarkt sorgt.

Eine Entwicklung, die verändernde Vorzeichen für die Erzeugung von Getreide, Fleisch, Milch und anderen Agrarprodukten bedeutet und damit für Unsicherheit bei den Landwirten sorgt. Klare gesetzliche Vorgaben, die mittel- und langfristig Bestand haben, fehlen und das nicht nur in der Schweineproduktion. Unsicherheiten, die zum einen die Innovationskraft aus und in die Branche, aber auch die Investitionen insbesondere in die Tierhaltung hemmen.  

Rahmenbedingungen, die einmal mehr zeigen, dass Anpassung von Verfahren und deren Weiterentwicklung eine dauerhafte Aufgabe der Landwirtschaft ist. Fortschritt bleibt dabei ein wichtiger Bestandteil, um die Herausforderungen zu meistern. Dabei bedeutet Fortschritt nicht allein, wie in den vergangenen Jahrzehnten, einseitig Effizienz und Produktivität zu erhöhen. Fortschritt umfasst vielmehr auch die Verbesserung beispielweise der Umweltbilanz und der Klimawirkung der Verfahren sowie des Tierwohls. Die Verbesserung der Nachhaltigkeit der Verfahren im Ackerbau und in der Tierhaltung ist nämlich ebenso zum unternehmerischen Ziel geworden, wie Produktivität und Effizienz im Sinne einer kostenminimalen Produktion. Die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen sichert die gesellschaftliche Akzeptanz und diese ist nichts weniger als unsere „Licence to operate“.

Uns ist bewusst, dass Nachhaltigkeit, ausgedrückt in dem Bestreben, einen intakten Betrieb an die nachfolgende Generation zu übergeben, dem Selbstverständnis eines jeden Landwirtes entspricht. Aber die gesellschaftliche Forderung nach mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft ist eben mehr als das, denn sie birgt die Herausforderungen, die betrieblichen Weichen auch im Sinne eines stabilen Betriebs richtig zu stellen.

Wie dies gelingen kann, ist eines der Kernthemen der DLG-Wintertagung 2019. Ich lade Sie herzlich ein, dabei zu sein.