
Probleme erkannt – aber wo bleiben die Lösungen?
Deutsche Wissenschaftler stellen der EU-Agrarpolitik in einem heute vorgestellten Gutachten ein vernichtendes Zeugnis aus. Thomas Preuße, Chefredakteur der DLG-Mitteilungen, konnte es vorab lesen. Der erste Eindruck: Das Gutachten analysiert präzise und kommt zur rechten Zeit. Aber seine Kritiker werden es leicht haben, es als Produkt des Elfenbeinturmes zu (dis)qualifizieren. Denn auf die Realität eines landwirtschaftlichen Betriebsleiters geht es so gut wie gar nicht ein. Und es werden Veränderungen eingefordert, ohne die politischen Möglichkeiten zu bewerten oder auch nur zu diskutieren. Eigentlich schade...
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim BMEL (WBA) hat ein neues Gutachten präsentiert: „Für eine gemeinwohlorientierte Gemeinsame Agrarpolitik der EU nach 2020“. Seit dem Tierwohlgutachten des Beirates vor ein paar Jahren weiß man ja, dass auch solche „professoralen“ Stellungnahmen, zur passenden Zeit präsentiert, die öffentliche Diskussion durchaus beeinflussen können. Zumal dieses Gutachten fast zeitgleich mit der offiziellen Vorstellung der EU-Pläne für die Agrarpolitik kommt. Wir konnten es für Sie bereits vorab lesen. Zum WBA-Gutachten gelangen Sie hier. Eine Kurzfassung der EU-Vorschläge steht hier.
Was halten die Wissenschaftler(innen) von der derzeitigen EU-Agrarpolitik?
Nichts. Rein gar nichts. Leicht verkürzt zitiert: „Die derzeitige GAP wird den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen nicht gerecht und verharrt seit der 2003er Reform in weitgehendem Stillstand. Zahlreiche Umweltziele (Klima, Wasser- und Biodiversitätsschutz) werden nicht erreicht und können mit der bisherigen Politik unzureichend entwickelter Anreizsysteme und eines ungenügenden Vollzugs des Ordnungsrechts auch nicht erreicht werden. Im Bereich des Tierschutzes ist der Handlungsbedarf bei weitgehend fehlenden Anreizsystemen erheblich.“
Warum hat sich bisher nichts geändert?
Weil der „Zielkatalog“ der EU-Agrarpolitik seit 1957 nie grundsätzlich überprüft worden ist. Vor allem die Fokussierung der GAP auf die landwirtschaftlichen Einkommen ist dem WBA ein Dorn im Auge. 73% der GAP-Mittel fließen in die flächengebundenen Direktzahlungen. „Diese sind weder an der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft noch an der betrieblichen oder der personellen Bedürftigkeit der Landwirte ausgerichtet und werden zudem über den Bodenmarkt zu einem großen Anteil an Bodeneigentümer durchgereicht.“ Dazu komme der „unverhältnismäßige“ Verwaltungsaufwand.
Hängt nicht ein wesentlicher Teil der Landwirte-Einkommen an den Direktzahlungen?
Eine grundsätzliche Einkommenslücke zwischen landwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Einkommen, wie sie vor 50 Jahren vielleicht noch bestand, stellt der WBA in Frage. Die landwirtschaftlichen Einkommen sind, wie jedermann weiß, sehr unterschiedlich. Weil zudem Vermögenswerte und Zuerwerbseinkommen fehlen, müssten für eine solche Argumentation eigentlich die Haushaltseinkommen die Grundlage sein und nicht die Betriebseinkommen, meint der WBA.
Was ist mit Kappung und Degression?
In Deutschland erhalten 20% der Landwirte 70% der Direktzahlungen. Diese „Ungerechtigkeit“ führt zu Forderungen, Direktzahlungen nach oben hinzu begrenzen. Nach Ansicht des WBA (und in der Logik gesellschaftlicher Leistungen anstelle von Einkommenspolitik) gibt es aber keinen Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und gesellschaftlichen Leistungen. Kleine Betriebe wirtschaften nicht automatisch tier- oder umweltfreundlicher.
Welchen Sinn haben Greening und Cross Compliance?
Keinen – weg damit! Greening sei nur ein Versuch, Einkommenszahlungen gesellschaftspolitisch zu legitimieren und in der Wirkung ineffizient. Statt Cross Compliance sollte man besser das Fachrecht konsequenter anweden, meint der WBA.
Sind Direktzahlungen nicht auch ganz wesentlich ein Risikoausgleich?
Der WBA fragt dagegen: Ist die Unterstützung des betrieblichen Risikomanagements eine staatliche Aufgabe? Eher eine unternehmerische, meint er. Der Staat solle sich auf die Korrektur von Marktversagen konzentrieren, nicht auf Preis- und Ertragsrisiken. Auch ein Sonderstatus aufgrund der Wetterabhängigkeit sei nicht begründbar, denn den hätten andere Branchen (wie der Tourismus) ebenfalls.
Ist die EU-Produktion nicht durch vielfältige Produktionsauflagen gegenüber anderen benachteiligt – und rechtfertigt schon das die Direktzahlungen?
Es gibt (auch betriebsindividuell) sehr unterschiedliche Nachteile, aber wenige belastbare Daten dazu. Die Spannweite der Angaben reicht von unter 20 bis 300 €/ha, wobei der WBA eher die niedrigere Dimension für realistisch hält.
Was müsste sich also nach Auffassung des WBA in der Agrarpolitik ändern?
Der politische Wille, Besitzstände in Frage zu stellen. Auf dieser Basis könnten Steuerungs- und finanzierungsinstrumente für die Honorierung von Gemeinwohlleistungen (weiter-) entwickelt werden. Der WBA führt dazu einen ganzen Katalog von Empfehlungen an die Bundesregierung auf. Unter anderem:
- Ziele neu gewichten. Das bedeutet vor allem die Ausrichtung der Förderpolitik an gesellschaftlichen Funktionen.
- Die GAP neu bauen. Die Wissenschafler unterstützen eine stärkere Dezentralisierung der GAP, wie sie auch die Kommisson vorschlägt. Sie wollen nur noch die Marktordnungen und Teile des Klima- und Biodiversitätsschutzes von der EU und alles andere im Rahmen nationaler Pläne von den einzelnen Ländern kofinanzieren lassen.
- Weniger (EU-)Verwaltung.
- Direktzahlungen innerhalb von zehn Jahren vollständig abbauen und auf dem Weg dorthin stärker als bisher Geld von der ersten in die zweite Säule umschichten. Flächengebundenes Geld gäbe es am Ende nur noch in Gebieten, wo die Flächenbewirtschaftung ansonsten in Frage steht. Investitionsförderung soll auf „Gemeinwohlziele“ (Umwelt und Tierwohl) beschränkt werden.
- Gemeinwohlleistungen besser honorieren. Moorschutz (Klimaziele!) und Biodiversität brauchen mehr Geld, z.B. nach Bodengüte gestaffelte Prämien für die Vernetzung von Biodiversitätsflächen. Auch Tierwohlleistungen sollen honoriert werden. Bekanntlich hatte der WBA in seinem Tierwohlgutachten allein für Deutschland einen Milliardenbetrag für diese Aufgabe berechnet, der natürlich auf Kosten der bisherigen Direktzahlungen ginge.
Ein Kommentar zum Schluss
Was fehlt im Gutachten?
Vor allem die einzelbetrieblichen und in der Folge dann auch strukturellen Auswirkungen dieser Vorschläge. Schaut man in die Auswertungen von Beratungsringen, so würden aktuell auch gut strukturierte Betriebe ohne Direktzahlungen ins Minus rutschen. Der Hinweis auf dann sinkende Pachten ist da nur eine Hoffnung. Man hätte sich – auch aus Gründen der Fairness gegenüber den Betroffenen – darüber ruhig Gedanken in Form konkreter Szenarien machen können.
Welche Wirkung könnte das Gutachten haben?
Frühere WBA-Gutachten sind meist sang- und klanglos in der Schublade verschwunden. Sie bauten eine Welt, wie sie sein sollte. Aber auch dem aktuellen Gutachten fehlt das Verständnis für die realen Verhältnisse in der Praxis, für die Begrenzungen, Zwänge und Nöte. Man reißt kein Haus ab, ohne einen Bauplan für ein neues zu haben bzw. auch die Bewohner mal zu fragen, wie sie denn mit der neuen Architektur klarkommen. Da können es die Nachbarn noch so schön finden...
Will sagen: Die Analyse ist zutreffend. Aber nur zu sagen: „Die Politik muss jetzt...“ ist zu billig. Wo gibt es Anschlussmöglichkeiten für Landwirte, wo Perspektiven für sie? Es hat schon Gründe, warum auch die Vorschläge von EU-Agrarkommissar Hogan nicht als Revolution daherkommen, sondern erneut als Weiterentwicklung des – zugegebenermaßen – Unvollkommenen.
Das WBA-Gutachten wird die gesellschaftliche Diskussion befeuern, was Agrarpolitik leisten soll. Das ist gut so. Es leistet aber kaum einen Beitrag dazu, Landwirte für die Notwendigkeit einer neuen Agrarpolitik zu sensibilisieren. Das ist schade.