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Die Frage nach dem Erntedank

Gott dieses Jahr für die Ernte zu danken, klingt wie eine Farce: Ackerbauern mussten aufgrund der Dürre Ertragseinbußen von bis zu 70 Prozent der Ernte hinnehmen. Die Viehhalter ächzen sowieso unter insgesamt niedrigen Erlösen und müssen sich aufgrund der ausgefallenen Niederschläge und des deshalb fehlenden Futters Gedanken machen, wie sie ihre Herden über den Winter bringen. Auch viele Gärtner hatten einen sorgenvollen Sommer. Nicht in allen deutschen Regionen war die Dürreperiode natürlich gleich intensiv, aber zu spüren war sie überall mehr als deutlich. Und in vermutlich jedem Gottesdienst zu Erntedank wird in Deutschland das Erntedank-Lied schlechthin gesungen: „Wir pflügen und wir streuen“ und dabei auch die Strophe: „Er sendet Tau und Regen“. Ja, wo waren sie denn, der Tau und der Regen, in diesem Sommer? Können wir angesichts dieses Sommers wirklich ein ernst zu nehmendes Ernte“dank“fest feiern und auch dieses Lied singen? Ist das Erntedankfest überhaupt noch zeitgemäß in einer Welt, in der Gottes Zutun für Viele immer unbedeutender wird?

Es wäre meines Erachtens schlimm, wenn das Erntedankfest – noch weiter – in den Hintergrund treten würde. Es gehört nicht umsonst zu den ältesten (und zentralsten) Festen der Menschheit: Die Lebensmittel, die Mittel zum Leben, sind und bleiben abhängig von Natur und Klima und somit letztendlich von Gott. Alles, was wir sind und haben, kommt von Gott. Wir können nur das, was wir geschenkt bekommen haben, verwalten und nutzen. Dazu haben wir von Gott den Auftrag bekommen. Beim Erntedankfest möchte ich Gott für mein Leben danken, für das, was ich alltäglich einfach so hinnehme, und ich möchte mich auch in die Pflicht nehmen lassen: Wir haben als Menschen die Aufgabe erhalten, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Das ist eine hohe Verantwortung, die ich nicht leichtfertig in den Hintergrund schieben darf. Dazu müssen wir alle an einem Strang ziehen, Menschen in Wissenschaft und Forschung und Natur, Menschen in armen und reichen Ländern, Menschen in der Politik und Menschen wie ich. Nach einem Sommer wie diesem sollten wir Menschen vielleicht erst recht das Erntedankfest ernsthaft feiern und wieder näher zusammenrücken. Und neben dem Dank an Gott für das Gute in unserem Leben darf ruhig auch die Klage über den fehlenden Regen ihren Platz bekommen. Die Hauptsache ist, wir verlieren unsere Beziehung zu Gott, unser Angewiesensein auf ihn, nicht aus den Augen, Hauptsache, wir bleiben im Gespräch. In diesem Sinne singe ich auch dieses Jahr gern:

Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn; drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt, und hofft auf ihn.