Grenzstandorte als erste gefordert
Dr. Frank Wechsung zu den praktischen Folgen des Klimawandels

Landwirte sind natürliche Wetterbeobachter. ‚Natürlich‘ ist hier in doppeltem Sinne gemeint. Sie sind einerseits besonders interessiert und motiviert, da ihr wirtschaftlicher Erfolg in besonderer Weise vom Wetter abhängt, sie sind aber auch in besonderer Weise qualifiziert, die Folgen des Wetters zu verfolgen.
Pflanzengesundheit, Tierwohl, Ertrag, Leistung und betriebliche Abläufe hängen nicht nur von Temperaturen und Niederschlag, sondern auch von der Luftfeuchtigkeit, dem Wind oder der Sonneneinstrahlung ab. In ihrer Ausbildung werden Landwirte auf die Verfolgung dieser Änderungen umfassend vorbereitet, sie besitzen damit ein gutes Rüstzeug, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.
Die Agrarbetriebe auf den sogenannten Grenzstandorten sind hier als erste gefordert. Zunehmende Starkniederschläge mit breiteren Erosionsrillen in Hanglagen, ungewohnte Ertragsausfälle in Folge länger andauernder Trockenphasen auf leichten Standorten sind Frühindikatoren veränderter natürlicher Standortbedingungen.
Dabei lohnt sich immer ein Blick über den Gartenzaun von den vermeintlich besseren Standorten, um früh auf Anpassungsnotwendigkeiten im eigenen Betrieb aufmerksam zu werden. Pfluglose Bodenbearbeitung und Direktsaat waren einige der ersten Anpassungsmaßnahmen, um das Erosionsrisiko zu mindern und die Infiltration von Niederschlägen in den Boden zu erhöhen.
Idealerweise werden solche Anpassungsmaßnahmen eingebettet in ein Ensemble von Maßnahmen, die unter dem Stichwort ‚gute bäuerliche Praxis‘ zusammengefasst werden und auf bäuerlichem Generationenwissen beruhen. Hierzu gehören Prinzipien wie die Fruchtfolge, das Gleichgewicht von Humusmehrern und Humuszehrern und die nahräumliche Kombination von Pflanzen- und Tierproduktion.
Allesamt Prinzipien, die wesentlich aus dem betriebswirtschaftlichen Gebot zum Risikoausgleich und der Notwendigkeit resultierten, die Bodenfruchtbarkeit langfristig zu sichern.
Der Klimawandel verhilft vielen dieser Prinzipien zu neuem Glanz. Ihre praktische Anwendung scheitert zumeist nicht am Wissen und Vermögen der Landwirte, sondern an einer zu schmalspurigen Nutzen-Kosten-Ausrichtung, welche die kulturellen Dimensionen des bäuerlichen Handwerks reduziert auf die kurzfristige ‚optimale‘ Kombination von Dünger und Sorten, Futter und Rassen, Diesel und Maschinen.
Anpassung an den Klimawandel verlangt mehr. Es erfordert die Verfolgung vielfältiger und nicht einseitiger Fruchtfolgen, vielen und nicht wenigen Rassen in der Tierhaltung, langfristiger anstatt kurzfristiger, lokaler anstatt globaler Strategien, den permanenten Abgleich von eigenen Beobachtungen mit Erkenntnissen der landwirtschaftlichen Forschung, die Beschäftigung mit Szenarien und auch Mut zur Ineffizienz. Es geht darum Zeit einzusetzen für einen unbestimmten Nutzen, der sich nicht genau beziffern lässt, aber tendenziell die betriebliche Abhängigkeit von Wetterkonstellationen vermindert.
Die beste Anpassungsmaßnahme ist ein vielseitiger Landwirt, der dem verdutzten Städter das vielfaltige Grün der Weide erklären kann, und dazu die Wetterstatistik parat hat.