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Philip Freiherr von dem Bussche, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft

Rede anlässlich der Eröffnung der großen Vortragsveranstaltung im Rahmen der DLG-Wintertagung am Donnerstag, dem 13. Januar 2005, in Münster/Westfalen

Herzlich willkommen zur Wintertagung 2005 hier in Münster. Nach dem bewährten Tagungsrhythmus der DLG sind wir nun nach vier Jahren wieder in dieser schönen Stadt mit ihrem stark landwirtschaftlich geprägten Umfeld angekommen: dem Münsterland, den benachbarten Regionen des Niederrheins und des Weser-Ems-Gebietes. Diese Regionen sind stark von ländlichen Räumen geprägt, von einer gut strukturierten und kompetenten Landwirtschaft, von gesunden, mittelständischen Firmen der Landtechnik, des Stallbaus, der Verarbeitung von Lebensmitteln.

Dieser leistungsfähige Verbund der Agrar- und Ernährungswirtschaft spielt eine bedeutende Rolle in der regionalen Volkswirtschaft und stabilisiert die Einkommen der Menschen und  damit auch das Aufkommen der Steuerbürger. Die Agrarwirtschaft sichert vergleichsweise gute Beschäftigungsquoten im ländlichen Raum und sorgt für eine  beispielhaft gepflegte Kulturlandschaft.

Die DLG fühlt sich in diesem Umfeld sehr wohl, und wir können uns über den Zuspruch - gerade auch von jungen Landwirten - nicht beklagen. Besonders freut mich auch die hohe Zahl von Besuchern, die aus dem vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereich kommen und die ein vitales Interesse an einer gesunden, von leistungsfähigen Landwirtschaftsbetrieben geprägten Agrarwirtschaft haben.

Die Wintertagung der DLG hat sich in den letzten Jahren zur bedeutendsten Fachveranstaltung der Agrarwirtschaft mit einer Vielzahl von sehr aktuellen und hochinteressanten Themen entwickelt. An drei Tagen wird bei uns soviel "Kopfdünger" geboten, wie man es so konzentriert nirgendwo erhalten kann. Übrigens sind diese Düngeeinheiten nach oben unbegrenzt und haben sogar steigende Ertragszuwächse. Wer als DLG-Mitglied unsere Gesellschaft in ihren Veranstaltungen, Ausschussarbeiten und Ausstellungen das ganze Jahr begleitet, kann diese organische Düngung über das ganze Jahr verteilen.

Nach dem Jahreswechsel sind wir mitten im Übergang zu einer neuen, "entkoppelten" Agrarwelt. Aus diesem Grund hätte das Thema für die diesjährige Wintertagung nicht besser sein können. Mehr Markt für Landwirte - Herausforderungen, Konsequenzen, Strategien - lautet das Thema, welches das Jahr 2005 oder besser gesagt das Jahr 1 nach der GAP-Reform bestimmen wird.

Die Zahl und Geschwindigkeit der  Veränderungen nimmt ständig zu. Wir mögen das bedauern, aber es bleibt uns keine andere Wahl, als dieses Gesetz des Handelns zu erkennen und möglichst schnell in eigene Strategien umzusetzen. Der Erfolg auf den globalisierten  Märkten wird mehr denn je im eigenen Betrieb entschieden. Natürlich war es immer schon entscheidend, zu möglichst niedrigen Kosten eine möglichst hohe Qualität zu produzieren, aber in der entkoppelten Agrarwelt konzentriert sich die betriebliche Entscheidung mehr und mehr auf diese ökonomisch relevanten Kriterien. Wir stehen also - einfach gesprochen - in einem zunehmend schärferen und zunehmend internationaleren Wettbewerb. Das gilt im Prinzip für den Weltmarkt ebenso wie für den Wochenmarkt.

Das ist aber nicht nur eine Bedrohung, sondern vor allem auch eine Chance, denn dieser globale Markt ist im Prinzip unersättlich. Die Nachfrage steigt bei vielen Rohstoffen deutlich schneller als das Angebot. Die herausragende Ernte des Jahres 2004 hat hierauf allenfalls kurzfristige Bremswirkung. Öl, Stahl, Schrott, Kohle - die alten Ökonomien erleben einen kaum erwarteten Aufschwung.

Die mittelfristigen Perspektiven für gut geführte Betriebe sind also nicht schlecht; ich bin sogar der Meinung, dass auch die Landwirtschaft als hochmoderne "Old" Economy in wenigen Jahren besser dastehen wird als heute. Wir müssen dafür allerdings auch die richtigen Weichen stellen. Das gilt für die große Politik genauso wie für jeden einzelnen Betriebsleiter. Wir müssen uns dafür entscheiden, konsequent unsere Chancen auf Wettbewerbsmärkten zu suchen und die dafür nötigen Anpassungen vornehmen.

Ich glaube daran, dass es im Zuge dieser Entwicklung auch zu einer Neubewertung des Unternehmertums in der Landwirtschaft kommen wird. Je schneller wir diesen Wertewandel selbst akzeptieren und betreiben, desto größer wird auch die Chance, dafür die notwendige Unterstützung aus der Gesellschaft zu erhalten. Hiermit erfährt der Wertewandel in der Land- und Ernährungswirtschaft eine ganz neue Qualität.

Gerade wenn ich die internationalen Märkte betrachte, habe ich allerdings die Sorge, dass wir uns von den Altlasten der Vergangenheit viel zu langsam trennen und unsere Bürokratie sich weiterhin als Investitionsbremser betätigt. Neue Technologien wandern nach Übersee aus, und ihre innovativen Produkte werden in wenigen Jahren unsere Märkte erobern. Darüber hinaus belasten die alten Lasten unserer Sozialsysteme in unverantwortlicher Weise die junge, nachfolgende Generation.

Meine Damen und Herren,
wenn wir über die Grenzen schauen, nicht nur nach Übersee, sondern auch in unsere europäischen Nachbarländer, so stellen wir fest, dass man sich dort  auf wachsende internationale Märkte einstellt. Dafür gibt es sehr reale Gründe, denn wie bei Öl und Stahl steigt mittelfristig bei Nahrungsmitteln die Nachfrage stärker als das Angebot. Die Aufgaben der modernen, nachhaltigen Agrarwirtschaft werden sie noch stärker zu einer - auch strategisch wichtigen Schlüsselindustrie - in der Volkswirtschaft  machen. Das sind unter anderem die folgenden Schlüsselfunktionen:

  • Sicherstellung einer für alle ausreichenden Ernährung mit besten Qualitätsprodukten
  • Beitrag zur Gesundheitsvorsorge der Menschen
  • Lieferung nachwachsender Rohstoffe für die krisenhaft verengten Energiemärkte
  • Pflege und Gestaltung der Kulturlandschaft

Bei einer so umfangreichen Aufgabenpalette sollte uns eigentlich vor der Zukunft unseres Sektors nicht bange sein!

Schon im Zuge der Osterweiterung haben Dänen und Holländer sehr viel mehr an die Eroberung der neuen Märkte gedacht, als daran in der Angst vor neuer Konkurrenz mutlos zu werden. Bisher hatten sie Recht damit, und auch die heimischen Schweineerzeuger im Münsterland verdanken einen Teil ihrer Gutschriften dem Export in die neuen Beitrittsländer.

Ein globaler Standortwettbewerb wird auch politisch entschieden! Es gibt viele Länder in Europa und in Übersee, die eine Stärkung ihrer unternehmerischen Landwirtschaft als strategische Aufgabe begriffen haben. Die USA machen es uns vor: Je nach Wettbewerbskraft geben sie die notwendigen Hilfen, um im internationalen Vergleich bestehen zu können. Kaum jemand hier weiß, dass der Weizenpreis für den USA-Farmer durch ein System von Marktausgleich und entkoppelten Zahlungen bei ca. 14 Dollar je dt gestützt wird. Da können wir doch locker mithalten; vor allem wenn man berücksichtigt, dass der Dollar aus strategischen Gründen auf ein extrem niedriges Niveau gedrückt wird.

Bei  Mais liegt die Wettbewerbskraft in den USA höher und der Förderanteil entsprechend niedriger. Ein knallharter Außenschutz bei Zucker und Ethanol sichert diese Märkte für die einheimische Industrie. Die gezielte Marktsicherung mit Hilfe nicht immer ganz WTO-konformer Maßnahmen findet in den USA statt. Es gibt eben in den USA eine Wirtschaftspolitik für Landwirtschaft. Es gibt klare Rahmenbedingungen. Daher brauchen wir uns in Europa nicht zu verstecken: Mit der entkoppelten Prämie erfüllen wir die Bedingungen der WTO und sichern den Aufwand für Nachhaltigkeit im Rahmen des europäischen Agrarmodells. Darüber hinaus sollte niemand von uns verlangen können, dass wir beispielsweise unsere heimische Zuckerwirtschaft an die Wand fahren. Reicht es nicht aus, die subventionierten Exporte abzuschaffen?

Im Bereich der Energieerzeugung sieht es übrigens ähnlich aus: Der Einsatz von Biomasse für Energie und Verkehr bedarf selbstverständlich eines Außenschutzes, damit wir nicht unsere CO2-Reduktion übererfüllen und andere dafür die Rohstoffe zu Dumpingpreisen einführen.

Meine Damen und Herren,
einem solchen "Wertewandel", der die Landwirtschaft zu einem ganz normalen Wirtschaftszweig mit spezifischen Bedingungen macht, sollten wir uns allerdings auch selbst mit Optimismus und Tatkraft stellen: Mit etwa 12 % aller selbständigen Existenzen ist die Land- und Forstwirtschaft wichtiger Kern des Mittelstandes. Unser Verbund mit der Ernährungswirtschaft verkörpert 4,5 Mio. Arbeitsplätze, 15 % des BIP und 84 % aller Flächen.

Zur Zeit sieht es auf unseren Märkten nicht mehr ganz so düster aus wie vor Jahresfrist. Eine hervorragende Ernte hat zwar die Getreidepreise gedrückt, aber dafür auch die Futterkosten entlastet. Bei den Schweinen sind die Fleischpreise deutlich höher und die Futterkosten deutlich niedriger als vor Jahresfrist. Selbst bei Milch und Rindfleisch hat sich die Lage etwas entspannt.

In dieser Lage sollten wir uns auf unsere Stärken besinnen. Der oft totgesagte Familienbetrieb hat für die Zukunft gute Aussichten, wenn er sich als Unternehmer versteht. Das gilt auch in der übrigen Wirtschaft. Familiengeführte Unternehmen haben bis heute in der Regel eine bessere Wertschöpfung, weil family value ein besseres Unternehmenskonzept darstellt als shareholder value. Das ist im Prinzip im Landwirtschaftsbetrieb nicht anders als bei Dr. Oetker.

Es kommt dabei gar nicht auf die Zahl der Mitarbeiter oder die absolute Größe an, wenn die Kosten für Kapital und Arbeit wettbewerbsfähig sind. Allerdings werden unsere Betriebe dafür andere Strukturen brauchen als heute. Auf diesem Weg sollten uns auch Gesellschaft und Politik fördernd begleiten und nicht ausbremsen. Wir brauchen also ein neues Leitbild für den wettbewerbsfähigen Landwirtschaftsbetrieb von morgen. Ich möchte ihn einmal "erweiterten Familienbetrieb" nennen.

Nun stellt sich die Frage: Wie setzt sich so ein Betrieb zusammen, und was ist er im Stande zu leisten? Dieser Betrieb mit 2 bis 3 Arbeitskräften aus der Familie und/oder motivierten Mitarbeitern ist die Antwort des Mittelstandes auf die Großindustrie. Bessere biologische Leistungen, höhere Produktqualität, flexible Arbeitskräfte, mehr Eigenkapital und eine gute heimische Infrastruktur gehören zu den Stärken dieses weltweit erfolgreichen Agrarmodells. Bei ausreichender Größe eines solchen Betriebes, der 400 Sauen, 5000 Mastplätze oder 180 Kühe in dieser Verfassung managen kann, wird auch in Zukunft neben Agrar-Giganten genug Platz am Markt bleiben.

Dieser "erweiterte Familienbetrieb" braucht alle Freiheiten, die einem modernen, mittelständischen Unternehmer auch sonst geboten werden. Investitionsförderung statt Bremsen, Zugang zu weltweit innovativen Technologien, Befreiung von alten Lasten in den Sozialsystemen - kurz gesagt: "Freedom to farm" im Rahmen der gewünschten und gesellschaftlich finanzierten "Cross Compliance". Damit wird eine moderne Wirtschaftspolitik beschrieben, die WTO-fähig ist und gleichzeitig die Erhaltung des europäischen Agrarmodells mit der dazugehörigen Kulturlandschaft ermöglicht.

Meine Damen und Herren,
neben der ausreichend schnellen Entwicklung unserer Landwirtschaftsbetriebe muss es auch zu einer wesentlich beschleunigten Flurbereinigung im Vermarktungs- und Verarbeitungssektor kommen. Ich habe die große Sorge, dass unsere heimischen Verarbeitungsbetriebe, auch unsere großen Genossenschaften, die sich bietenden Marktchancen nicht ausreichend nutzen.

Dabei beeindrucken auch mich Nachrichten, wie sie im Dezember durch die Medien gingen. Da schließen sich innerhalb weniger Wochen und weitgehend geräuschlos zwei europäische Genossenschaften zum größten Milchkonzern Europas zusammen - übrigens keine deutschen! Beim Fleisch wurde die jahrelange Agonie im Nordwesten durch die Übernahme seitens der holländischen  Bestmeat-Gruppe  beendet.

Wo bleiben unsere Matadoren? Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie sich in einem Dornröschenschlaf befinden und auf den Prinzen warten. Aber statt das Dornröschen aus dem Schlaf zu küssen, hat sich der Prinz schon im Nachbarschloß mit einer anderen Braut häuslich eingerichtet.

Damit haben wir die Seite der Produktion und der Verarbeitung beschrieben, die auch in den ersten Vorträgen des heutigen Tages eine Rolle spielen werden. Es reicht aber nicht, nur die eine Seite des Tisches zu betrachten. Auf den sich öffnenden Wettbewerbsmärkten wird sich die Wertschöpfungskette behaupten, die sich strategisch auf die Wünsche der Konsumenten einstellt.

Welches Bild soll sich der Kunde in Zukunft vom erweiterten Familienbetrieb und seinen Produkten machen? Haben wir nicht auch die Möglichkeit, Produkte mit regionaler Identität zu verkaufen? Bieten wir dem Verbraucher nicht auch Werte an, die er in seinem alltäglichen Leben vermisst?

Ganz von fern ahnt man, dass sich unsere Gesellschaft einer neuen Wertedebatte öffnen wird. Ein moderner, weltoffener, aber tief verwurzelter Heimatbegriff gehört ebenso zu diesem Wertewandel wie die Veränderung in den Unternehmenskulturen. Vertrauen, Offenheit und Menschlichkeit sind Werte, die gerade in diesen Tagen der Flutkatastrophe ihre Strahlkraft beweisen. Diese Tugenden gehören seit Jahrhunderten zum Wertekanon der Landwirte und des ländlichen Raumes. Es wird zum Phänomen der Globalisierung gehören, dass im globalen Dorf zwar alle Informationen und Vernetzungen funktionieren, dass aber daraus die Sehnsucht nach regionaler Identität eine neue Dimension erhalten wird.

Auch der Verbraucher wird auf Dauer den Spagat zwischen Gesinnungsethik und Geizkauf überwinden. Die Sehnsucht nach dem authentischen und regionalen Produkt wird zumindest aus der Nische ein Segment wachsen lassen.  Deshalb bin ich besonders gespannt, wenn uns am Ende des Vormittages  die Zukunftschancen für unsere Erzeugnisse vorgestellt werden.

Meine Damen und Herren,
die DLG versteht sich seit den Zeiten unseres Gründers Max Eyth als die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis, aber auch als Scharnier in der Wertschöpfung vom Landwirt und seinen Vorlieferanten bis zum Konsumenten. Wir sind ein europaweites Zentrum für den Know-how-Transfer; das am weitesten entwickelte Fachzentrum für die Agrar- und  Ernährungswirtschaft. From Stable to table: Vom holländischen Ökonomie-Professor über den deutschen Schweinezüchter, den hollanddeutschen Agrobusiness-Manager bis zum Pudding- und Pizzakönig aus Bielefeld. Eine derart auf höchstem Niveau geschlossene Wertschöpfungskette finden Sie nur bei der DLG.

Es wird sich also für Sie alle lohnen, heute nach Münster gekommen zu sein.