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Christian Meyer anlässlich der DLG-Unternehmertage am 1. September 2016 in Oldenburg

Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Niedersachsen

1. Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bedanke mich für die Einladung zum diesjährigen Unternehmertag der DLG und möchte betonen – ich bin gern gekommen!
Ich freue mich, dass Sie alle den Weg nach Oldenburg gefunden haben und möchte Sie ganz herzlich hier im schönen Niedersachsen begrüßen.
Die DLG steht wie keine andere landwirtschaftliche Organisation in Deutschland für eine wissensorientierte und unternehmerisch ausgerichtete Landwirtschaft.
Viele Mitglieder sehen sich in erster Linie als Unternehmer, und manchmal habe ich den Eindruck, dass nur wenige sich selbst „Bauer“ oder „Bäuerin“ nennen würden.
Leistungsfähig, modern organisiert und nach den betrieblichen Voraussetzungen optimiert – so sieht ein typischer DLG-Betrieb aus, oder zumindest die Zielvorstellung davon. 
Doch auch gut aufgestellte Betriebe geraten angesichts der derzeitigen Marktpreise ins Wanken.
Kaum ein Betrieb, der nicht auf die eine oder andere Weise betroffen ist von den erheblich verschlechterten terms of trade in der Landwirtschaft.
Die wirtschaftliche Situation ist angespannt, die Preise für wichtige landwirtschaftliche Produkte sind viel zu gering.
Kleine positive Signale an den Märkten sind noch längst nicht genug, um die erheblichen Verluste der vergangenen Monate zu kompensieren.
Das Thema des diesjährigen Unternehmertages ist daher gut gewählt.
Handlungsfähig in der Krise. – Das ist für viele Betriebe und für viele Familien jetzt entscheidend, um weitermachen zu können.
Denn es besteht kein Zweifel – die Krise ist da.

2. Milchmarkt

Insbesondere die Situation unserer Milchbauern ist verzweifelt.
Die niedrigen Milchpreise führen zu dramatischen Verlusten.
Die Erzeugerpreise liegen in Niedersachsen bei ca. 22 Cent/kg und damit auf einem sehr niedrigen Niveau.
Es ist zu viel Milch auf dem Markt, und der Angebotsdruck ist hoch.
Ein bisschen Entlastung ist zwar derzeit erkennbar: Der saisonal bedingte Rückgang der Milchanlieferung in Deutschland hat sich fortgesetzt. Dabei sind die Milchmengen im Vergleich zum Vorjahr stärker gesunken, sodass das Niveau von 2015 wie auch von 2014 unterschritten wurde.
Die globale Nachfrage nach Molkereiprodukten bleibt aber trotz einiger positiver Signale vorerst verhalten, sodass von dort keine unmittelbare Erleichterung zu erwarten ist.
Von Entwarnung oder Entspannung kann daher noch keine Rede sein. Bislang haben die meisten Molkereien trotz einiger positiver Preistendenzen die Erzeugerpreise noch nicht spürbar angehoben.
Für die Milch erzeugenden Betriebe ist dies schwer erträglich. Sie geraten zunehmend in existenzbedrohende Schieflagen, so dass Strukturbrüche in großem Umfang zu befürchten sind.
Allein in Niedersachsen bekommen unsere Milchviehhalter in diesem Jahr 1,2 Milliarden Euro weniger Milchgeld als benötigt.

Die Probleme am Milchmarkt sind zum Teil hausgemacht.
Zum Ende der Quotenregelung gab es nicht wie versprochen ein soft landing, sondern lediglich eine schrittweise Erhöhung der Quoten, ohne die Auswirkungen zu beachten.
Darüber hinaus wurde der Anstieg der Milchmengen mit einer wachstumsgläubigen Stallbauförderung künstlich angeheizt.
Die damals Verantwortlichen haben falsche Versprechen von rosigen Zeiten nach dem Quotenende und einer erfolgreichen Eroberung der Weltmärkte abgegeben.
Im Zeitraum 2010 bis 2015 ist die in Niedersachsen erzeugte Milchmenge von 5,8 Millionen Tonnen auf 6,9 Millionen Tonnen gestiegen. Das entspricht einem Zuwachs von 18 Prozent.
Die Zahl der Milchviehhalter in Niedersachsen ist hingegen von 2010 bis 2016 um rund 22 Prozent gesunken.
Nach zuvor etwa 13.400 Betrieben gibt es nun noch ungefähr 10.400 Milchviehhalter in Niedersachsen - ein Rückgang um rund 3.000 Betriebe.
Das ist das Ergebnis einer fehlgeleiteten Strukturpolitik der EU, die das Credo Wachsen oder Weichen zum Inhalt hat.
Jetzt schreiben alle Milchviehhalter rote Zahlen - egal ob groß oder klein.
Gemeinsam mit der Landwirtschaft halte ich daher an der Forderung nach wirksamen Unterstützungsmaßnahmen fest.
Die Bundesregierung hat zunächst vor allem an Gewinnglättungen und Steuererleichterungen gedacht und dabei übersehen, dass diese Maßnahmen keine unmittelbare Wirkung erzielen.
Das eigentliche Problem, das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage, wurde viel zu lange außer Acht gelassen.
Wir Grünen haben Lösungsansätze vorgeschlagen, die auf eine Marktbeeinflussung durch flexible Mengenreduktion hinauslaufen. Die Milchmenge muss EU-weit runter, damit unsere Landwirte am Markt bessere Preise und Einkommen erzielen können!
Wir dürfen nicht zulassen, dass wir in der Milchwirtschaft einen radikalen Strukturbruch bekommen, dass wir Masseninsolvenzen von gut aufgestellten bäuerlichen Milchviehbetrieben erleben.

Aufgrund der jüngsten Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes können nunmehr Erzeugerorganisationen, Branchenverbände, Genossenschaften und andere auf freiwilliger Ebene miteinander Vereinbarungen über die Mengenplanung der Milcherzeugung treffen.
Das ist ein erster Schritt.
Dies allein beseitigt jedoch nicht die Milchkrise, da derartige Vereinbarungen nicht an der Hauptursache, an den vorhandenen zu großen Milchmengen, ansetzen.
Das geeignete Instrument dazu wäre der befristete europaweite obligatorische Produktionsverzicht gewesen. Leider hat Kommissar Hogan diese Chance vertan.
Stattdessen wurde im Juli erneut ein halbherziges Hilfsprogramm im Umfang von europaweit 500 Mio. Euro aufgelegt. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein und nicht mehr als Symbolpolitik.
Immerhin hat man in Brüssel diese Mittel zumindest teilweise an mengenreduzierende Maßnahmen geknüpft.
So werden 150 Mio. Euro des ersten Teils des Hilfspaketes dazu eingesetzt, spezifische Anreize für die Milcherzeuger zu geben, weniger Milch zu produzieren.
Die weniger abgelieferte Menge wird mit 14 Cent pro Kilogramm aus dem EU-Agrarhaushalt abgegolten. Die Maßnahme erfolgt auf freiwilliger Basis. Auf diese Weise können rund 1 Mio. Tonnen Milch aus dem Markt genommen werden.
Wir arbeiten momentan fieberhaft an der Schaffung der Voraussetzungen für die Durchführung, für die bereits am 23. September die erste Antragsfrist endet.
Die rund 58 Mio. Euro des 2. Teils des Hilfspaketes ergeben bei bundesweit etwa 71.000 Betrieben nur etwa 800 € pro Milchviehbetrieb.
Das ist viel zu wenig für eine effektive Hilfe. Hieran ändern auch die von Bundesminister Schmidt zur zusätzlich Verfügung gestellten 58 Mio. € nichts.
1.600 € einmalige Hilfe ist der Durchschnittsverlust eines Milchviehbetriebs in Niedersachsen in zwei Wochen.
Über die weitere Ausgestaltung dieser von der BLE betreuten Maßnahme wird derzeit noch zwischen Bund und Ländern beraten.

Neben der derzeitigen Überproduktion ist das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Erzeugern, Verarbeitern und dem Handel ausschlaggebend für die derzeitige Milchkrise.
In Deutschland ist die Marktmacht - vorsichtig ausgedrückt - ungleich verteilt.
Für den Handel ist vor allem der Preis entscheidend – die Qualität der Lebensmittel wird vorausgesetzt.
Dies führt zu einem unerbittlichen Wettbewerb und einer Preisspirale nach unten.
Nach Auffassung des Bundeskartellamtes laufen die derzeitigen Verträge zwischen Erzeugern, Molkereien und dem LEH darauf hinaus, dass das gesamte wirtschaftliche Risiko einseitig den Milcherzeugern aufgebürdet wird.
Das Milchgeld ergibt sich als Rest, nachdem der Handel seine Preisvorstellungen durchgesetzt hat und die Molkereien ihre Kosten abgezogen haben.
Deshalb müssen wir die Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien und auch zwischen Molkereien und Lebensmitteleinzelhandel genauer betrachten.
Die hundertprozentige Andienungspflicht bei Genossenschaften mit sehr langen Vertragslaufzeiten verschließt dem einzelnen Erzeuger jede Ausweichmöglichkeit, er ist ein „Gefangener“ seiner Molkerei.
Diese Marktverhältnisse bedürfen dringend einer Anpassung, an der alle Betroffenen konstruktiv mitwirken müssen!

3. Weitere Märkte

Die sehr kritische Situation bei der Milch darf nicht den Blick dafür verstellen, dass auch auf anderen wichtigen Märkten derzeit ein sehr unbefriedigendes Preisniveau vorliegt.
So ist der Erzeugerpreis für Weizen   als wichtiger Eckpreis des Getreidemarktes   seit 2015 kontinuierlich auf rd. 140 Euro/t gesunken und stagnierte in 2016 bisher auf diesem Niveau – von leichten Erholungstendenzen in den letzten Tagen einmal abgesehen.
Wohin die Reise geht, bleibt abzuwarten.
Ein Blick auf den Weltmarkt zeigt, dass die Hoffnungen auf eine nachhaltige Erholung des Weizenpreises insgesamt etwas verfrüht sein könnten.
Nach USDA-Schätzung wird für das Getreidewirtschaftsjahr 2016/17 mit rund 739 Mio. t die bislang größte globale Produktion erwartet.
Obwohl auch für den Verbrauch mit 729 Mio. t einen Spitzenwert erwartet wird, soll es den Prognosen nach im 4. Jahr in Folge zu einem Anstieg der weltweiten Lagerendbestände für Weizen kommen (254 Mio. t).
Dies lässt eine kurzfristige Preiserholung auf dem Weizenmarkt kaum erwarten!
Und auch bei Zucker ist die absehbare Marktsituation nicht erfreulich.
Nach den Höhenflügen des EU-Zuckerpreises vor einigen Jahren (Ende 2011 – Anfang 2013) ist der Preis bis Ende 2014 auf ein Niveau in Höhe von rd. 430 Euro/t gefallen.
Seitdem stagniert der EU-Preis auf diesem niedrigen Niveau, das nur knapp über der EU-Referenzpreis (404 Euro/t) liegt.
Auch bei Zucker kam es im vierten Jahr in Folge zu einem Aufbau der weltweiten Lagerbestände.
Allerdings gehen die Prognosen für das laufende WJ (2015/16) von einem Defizit in einer Größenordnung von 7 – 11 Mio. t. aus.
Und die seit Herbst 2015 zu beobachtende Tendenz zur Preiserholung auf dem Weltmarkt hält derzeit an.
Ob sich diese Entwicklung auch auf dem EU-Markt niederschlagen wird, bleibt abzuwarten.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass 2017 die Zuckerquote auslaufen wird. Es wird darauf ankommen, wie die Marktbeteiligten mit der Aufhebung der Mengenbegrenzung umgehen werden.
Ich hoffe, dass die zukünftigen Vertragsabschlüsse zwischen den Verarbeitern und den Anbauern auf der Basis realistischer Absatzerwartungen getroffen werden.
Die Preisentwicklung bei Milch ist ein warnendes Beispiel dafür, welche Folgen eine Quotenaufhebung haben kann.
Die verbleibenden Marktregelungen im Zuckersektor sehen ja ausdrücklich vor, dass die Anbauer und Verarbeiter ihre Lieferbeziehungen im Rahmen von Branchenvereinbarungen regeln.
Dies sollte als Chance für eine marktgerechte Mengendisziplin genutzt werden, die im Zusammenwirken mit dem weiterhin bestehenden Außenschutz (419 Euro/t Weißzucker) ein akzeptables Preisniveau ermöglichen sollte.

Auch die Märkte für Schweinefleisch waren über weite Teile des Jahres von Überangebot gekennzeichnet.
Gerade hier im Nordwesten Niedersachsens wird deutlich, dass das ständige Wachsen der Betriebe und die Konzentration der Tierhaltung ökonomisch und ökologisch ein Weg in die Sackgasse war.
Obwohl allen Beteiligten klar war, dass es in dieser Region große Probleme mit der stark konzentrierten Tierhaltung gibt, wurden weitere Ställe gebaut und die Tierhaltung weiter aufgestockt.
Pachtpreise für landwirtschaftlich genutzte Flächen sind explodiert und die Kosten für den Transport von Gülle steigen deutlich, weil die Transportwege immer weiter werden.
Der Selbstversorgungsgrad von Schweinefleisch liegt in der EU bei rund 110 % und die Abhängigkeit vom Export ist sehr groß.
Wenn Exportmengen kurzfristig aufgrund politischer Entscheidungen (Russland) oder wirtschaftlicher Entwicklungen (China) einbrechen, hat dies erhebliche Auswirkungen auf den Erzeugerpreis und somit auf die Wirtschaftlichkeit vieler landwirtschaftlicher Familienbetriebe.
Die bisherige Politik führte auch in der Schweinehaltung dazu, dass viele Familienbetriebe die Schweineproduktion aufgeben. Gerade in der Ferkelerzeugung ist diese Entwicklung zu beobachten.
Auch hier stellt sich die Frage, ob Marktbeziehungen neu überdacht werden müssen.
Daneben geht es aber auch um die Verträglichkeit der intensiven Tierhaltung.

4. Agrarwende

Ich will noch einmal auf das Motto der DLG- Unternehmertage zurückkommen - „Unternehmen stabilisieren, Zukunft sichern“ heißt es da im Untertitel.
Kurzfristig ist staatliche Krisenintervention meines Erachtens im Milchmarkt jetzt unumgänglich, um die Unternehmen zu stabilisieren und die Zukunft zu sichern.
Langfristig und grundsätzlich sind Krisenmaßnahmen aber keine Lösung.
Mir ist es wichtig, dass die Landwirtschaft eine langfristige Perspektive hat.
Und um es auf den Punkt zu bringen:
Ich halte die von mir geforderte Agrarwende für den richtigen Weg, um die landwirtschaftlichen Betriebe zu stabilisieren und die Zukunft zu sichern.
Agrarwende heißt nicht, den Bauern immer mehr Lasten aufbürden und sie am Gängelband zu halten, wie mir gern von der politischen Gegenseite vorgehalten wird.
Agrarwende heißt, drängende Probleme in der Landwirtschaft gemeinsam mit den Bauern zu lösen, und auf eine zukunftsfeste Landwirtschaft zu setzen.
Hierzu lade ich Sie ein.
Klimawandel, Biodiversität, Vitalität der ländlichen Räume, Qualität und Vielfalt landwirtschaftlicher Produkte, Wertschöpfung und Wertschätzung sind Stichworte, die mir in diesem Zusammenhang einfallen.
Masse und billig kann nicht die Lösung sein!
Erst recht nicht in einer globalisierten Wirtschaft, in der Sie mit Anbietern aus aller Welt konkurrieren müssen.
Wirklich zukunftsfähig ist unsere Landwirtschaft nur, wenn sie wirtschaftlich, sozial und ökologisch stabil ist.
Oder, um es in anderen Worten auszudrücken – wenn sie nachhaltig betrieben wird.
Dies erfordert in meinen Augen auch eine veränderte Sicht auf die Marktpolitik.
Ich bin der Auffassung, dass Globalisierung kein Selbstzweck ist und begleite alle Versuche zu immer weiteren Marktöffnungen sehr kritisch.
Die Politik muss den Bedürfnissen und Interessen der Menschen dienen.
Entsprechend müssen an manchen Stellen auch Schranken und Grenzen formuliert werden, um die Ansprüche unserer Bürger zu erfüllen.
So stimmen mich das geplante TTIP-Abkommen mit den USA und das vor kurzem auf Deutsch veröffentlichte CETA-Abkommen mit Kanada nicht nur aus Gründen des Verbraucherschutzes skeptisch.
Nein, ich befürchte auch einen weiter steigenden Wettbewerbsdruck für unsere Landwirtschaft.
Wir können kein Interesse an einem Wettlauf nach unten haben.
Mit laxen Rahmenbedingungen und einseitiger Exportausrichtung ist auf Dauer Niemandem gedient, am allerwenigsten den Landwirten in Deutschland.
Stattdessen muss sich eine gute und nachhaltige Erzeugung lohnen.

5. Kennzeichnung

Bei der Legehennenhaltung hat es entgegen aller Unkenrufe funktioniert.
Die Käfige wurden abgeschafft und dennoch ist die Hennenhaltung nicht ins Ausland abgewandert.
Ohne die Eierkennzeichnung wäre es vielleicht schief gegangen – mit der klaren Botschaft auf jedem Ei im Supermarkt war es hingegen ein Erfolg.
Dies zeigt, wohin politischer Wille in Kombination mit geeigneten Instrumenten führen kann.
Jetzt wollen wir den nächsten Schritt gehen und auch bei Fleisch Fortschritte erzielen.
Unser Vorschlag ist einfach und orientiert sich an der erfolgreich am Markt etablierten Haltungskennzeichnung auf Konsumeiern.
Nur mit einem einfachen, aber verbindlichen System für mehr Transparenz können Verbraucherinnen und Verbraucher auch beim Frischfleisch eine bewusste Kaufentscheidung treffen.
Nur so können die Käufer am Kühlregal tiergerechte Haltungsformen stärken.
Dabei wollen wir mehr Differenzierung als die bereits heute mögliche Wahl zwischen „bio“ und „konventionell“, aber auch kein überfrachtetes und schwer verständliches System.
Sie wissen es - auch in der konventionellen Nutztierhaltung gibt es eine enorme Bandbreite an unterschiedlich tierfreundlichen Haltungsformen.
Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren hiervon in der Regel nichts, Tierhalterinnen und Tierhalter bekommen tiergerechte Ställe, mehr Platz, Einstreu, Auslauf oder Weidegang nicht vergütet.
Ich möchte, dass es Verbesserungen für die Tiere gibt, aber auch Landwirtschaft, Handel und Konsumenten sollen von diesem System profitieren.
Ich könnte mir daher vorstellen, dass die Fleischkennzeichnung zukünftig so aussieht:
0 - für Öko
1 - für Zugang ins Freie (Weide, Auslauf)
2 - für 30 Prozent mehr Platz und Gliederung der Stalleinrichtung
3 - für die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards.
Vor allem bei Schweine- und Geflügelfleisch halte ich eine solche Kennzeichnung für gut vorstellbar.
Die Kategorien und Kriterien sollen mit den bestehenden Tierschutzlabeln kompatibel sein, um Akzeptanz und Transparenz zu gewährleisten.
Wenn wir ein solches System umsetzen können, wären die Verbraucher und der Handel in der Pflicht, ihren Worten Taten folgen zu lassen.
Und für die Landwirtschaft ergeben sich wichtige Möglichkeiten der Preisdifferenzierung und der verbesserten Wertschöpfung.

6. Tierwohl-Maßnahmen

Wir in Niedersachsen empfinden uns als Vorreiter in Sachen Tierschutz – möglicherweise ist Ihnen der Niedersächsische Tierschutzplan ein Begriff, der in vielen Bundesländern inzwischen Nachahmer gefunden hat. 
Heute möchte ich auch auf die andere Seite eingehen, auf die Möglichkeiten des Staates, gesellschaftlich geforderte Tierwohlleistungen mit öffentlicher Förderung zu honorieren.
Im vergangenen Jahr haben wir in Niedersachsen ELER-Tierwohlmaßnahmen eingeführt.
Niedersachsen fördert die Haltung von Legehennen mit unkupierten Schnäbeln und die Haltung von Mastschweinen mit unkupierten Ringelschwänzen.
Dafür stehen insgesamt stehen 28 Mio. Euro für die laufende Förderperiode bereit.
Als wir unsere Pläne für eine „Ringelschwanzprämie“ vorstellten, kam es zu sehr kontroversen Diskussionen.
Es wurde uns vorgeworfen, wir würden mit der Auslobung dieser Prämie Tierleid statt Tierwohl fördern, weil das Schwänzebeißen zu einem großen Problem in den geförderten Beständen würde.
Doch der Erfolg gibt uns heute Recht.
Derzeit nehmen etwa 100 Betriebe teil, und im laufenden Antragsverfahren werden weitere Betriebe neu dazu kommen.
Die Ringelschwanzprämie ist eine erfolgsorientierte Maßnahme.
Der intakte Ringelschwanz ist ein allgemein anerkannter Indikator für Tierwohl in der Schweinehaltung. Geht es den Tieren gut, tritt das gefürchtete Schwänzebeißen kaum auf und es braucht kein Ringelschwanz gekürzt zu werden. 
Die Ferkelaufzucht, das Haltungssystem, Beschäftigungsmöglichkeiten, Fütterungs- und Stallklima-Management und insbesondere die intensive Beobachtung der Tiere sind wichtige Faktoren.
Schweinehaltung, die all diese Aspekte berücksichtigt, kostet zunächst einmal mehr Geld als die heute verbreitet betriebene konventionelle Schweinehaltung. Sie bedeutet auch einen vermehrten Arbeitsaufwand für die Landwirte.
Dieser Mehraufwand soll mit der Zahlung von 16,50 € pro Mastschwein ausgeglichen werden, wenn jederzeit mindestens 70 % der förderfähigen Tiere den intakten Ringelschwanz aufweisen.
Unsere Prüfer berichten, dass die Landwirte mit sehr viel Engagement und hohem Einsatz dabei sind.
Die allermeisten Betriebe halten die Erfolgsquote sicher ein und haben keine Probleme.
Unsere guten Erfahrungen haben uns darin bestätigt, 2 weitere Bausteine in der Tierwohl-Förderung für Schweine zu entwickeln. 
Ziel ist es, die Schweinehaltung vom Ferkel bis zur Schlachtung zu verbessern.

Wir sind stolz darauf, als erstes Bundesland ELER-Tierwohl-Maßnahmen entwickelt zu haben.
Niedersachsen wurde dafür nicht nur vom wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ ausdrücklich gelobt, auch die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern planen inzwischen ähnliche Maßnahmen.
Es freut mich sehr, dass wir unter der Federführung von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) - ein landesweites Expertennetzwerk „Tierschutz und Tiergesundheit“ aufgebaut haben, das den teilnehmenden Betrieben beratend zur Seite steht.
Gemeinsam werden wir deutliche Schritte in Richtung Tierwohl ermöglichen, und unserer besonderen Verpflichtung „Vorreiter in Sachen Tierschutz“ weiterhin nachkommen.
Gemeinsam können wir so auch eine verbesserte Wirtschaftlichkeit der landwirtschaftlichen Betriebe erreichen.
Ich bin überzeugt davon: Maßnahmen wie diese tragen dazu bei, Unternehmen zu stabilisieren und Zukunft zu sichern.

7. Schluss

Von einem Auftaktredner wird erwartet, dass er Impulse für die weitere Diskussion liefert.
Als Mitglieder und Gäste der DLG haben Sie vielleicht bemerkt, dass sich meine Vorstellung von moderner Landwirtschaft nicht vollständig mit derjenigen der DLG deckt.
Sie kennen meine Vorbehalte gegenüber der Grünen Gentechnik, der Massentierhaltung oder TTIP.
Ich halte nichts von einer immer weiter voranschreitenden Ökonomisierung, Globalisierung und Technisierung, wenn sie mit einem fortschreitenden Höfesterben und einer Verarmung des ländlichen Raums einhergeht.
Ich halte nichts von einer Landwirtschaft, die mit Überproduktion Ressourcen übernutzt und die Umwelt belastet.
Und ich halte nichts von steigenden Abhängigkeiten in der Landwirtschaft: Nicht von Banken, nicht von Saatgutunternehmen und nicht von den Abnehmern für landwirtschaftliche Produkte.
Handlungsfähigkeit zu wahren bedeutet nämlich auch, Entscheidungsfreiheit zu wahren.
Mein Credo lautet deshalb: Zukunftsfähige Landwirtschaft ist nachhaltige und bäuerliche Landwirtschaft.