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„Milch produzieren im Preistief: Reserven mobilisieren, Potenziale heben“

Öffentliche Sitzung DLG-Ausschuss Milchproduktion, 1. September 2016

Die seit Monaten anhaltende Milchpreiskrise zerrt massiv an der Substanz vieler Betriebe. Den Gürtel noch enger schnallen, die Kosten weiter runter oder doch auf die Rettung von Seiten der Politik hoffen? Kontrovers wurden Lösungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume im Rahmen der öffentlichen Sitzung des DLG-Ausschusses Milchproduktion und Rinderhaltung auf dem DLG-Unternehmertag in Oldenburg diskutiert.

Der Schlüssel in der Krise: Das Know-how des Betriebsleiters!

„So etwas wie Sie, wollen wir hier nicht“ – mit diesem kürzlich geäußerten Statement eines Politikvertreters eröffnet Hans-Eggert Rohwer, Milcherzeuger aus Schleswig-Holstein mit 400 Kühen und 180 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, die Diskussionsrunde. Damit macht er deutlich, dass sich die Milcherzeuger nach wie vor nicht nur dem Preisdruck, sondern auch den hohen Erwartungen von Gesellschaft, Handel und Politik gegenüber sehen. „Nicht jeder kann und will diese Entwicklung mitmachen, was mittelfristig zu einer Angebotsknappheit auf dem Milchmarkt und einer Erholung der Milchpreise führen wird“, ist Rohwer überzeugt. Bis diese Entspannung eintritt, gilt es jedoch nicht auf Unterstützung von Seiten der Politik zu warten, sondern den Betrieb selbstkritisch zu prüfen, den Überblick zu behalten und eng mit der Bank zusammenzuarbeiten.

Chancen und Risiken bestimmen das Unternehmerleben

- daran wird sich auch zukünftig nichts ändern“ stellen die Teilnehmer der Diskussionsrunde ehrlich fest. Wichtig ist sich als Milcherzeuger darauf einzustellen, seine eigene Strategie klar zu definieren, den Betrieb stringent danach auszurichten und vorzusorgen. Dies hat Rohwer in den letzten Jahren getan, indem er auf Kostenführerschaft, eine hohe Effektivität und Produktivität (600.000 kg Milch/AK) gesetzt hat – im anhaltenden Milchpreistief sichern ihm vor allem seine günstigen Produktionskosten das Überleben. „Besser sein als der Durchschnitt“ ist ebenfalls das gelebte Motto von Mathias Tauber, Milchviehhalter aus Bayern mit 80 Milchkühen. Er hat sich im Jahr 2008 entgegen der Beratermeinung für einen Anbau an den alten Boxenlaufstall statt eines Neubaus auf der grünen Wiese entschieden. Dadurch konnte er die Investitionskosten senken und dennoch ein für seinen Betrieb passendes Entwicklungskonzept realisieren. Tauber legt in seinem Betrieb besonderes Augenmerk auf die Futterkosten und hier im Speziellen auf die optimale Bewirtschaftung des Grünlandes, dem laut seiner Aussage auf vielen Betrieben noch immer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. So erfasst er bei jeder Ernte die Erträge und Aufwendungen, analysiert kontinuierlich die Inhaltsstoffe des Futters, setzt auf eine regelmäßige Nachsaat und die Wahl ertrags- und zuckerstarker Grassorten. Zwar stellen sich die Erfolge der beschriebenen Maßnahmen erst langsam ein, umso größer ist dennoch deren Potential, Erträge zu steigern und Kosten langfristig zu senken.  

Neben der Kostenoptimierung ist es unabdingbar, zu jeder Zeit ein gutes und offenes Verhältnis zu seiner Bank zu pflegen, die Liquiditätspläne und Finanzierung im Blick zu halten und sich mit seinen Beratern fortlaufend auszutauschen. „Die Hausaufgaben müssen in der Hochpreisphase gemacht werden, in der Tiefpreisphase ist wenig Platz für Fehler“ so das Credo der Praktiker. Ihre Hausaufgaben für die Zukunft: stärker auf Konsolidierung achten, das Größenwachstum zum aktuellen Zeitpunkt zurück stellen, die Produktionstechnik weiter optimieren (Herdendurchschnitt von 10.000 kg Milch ist möglich und machbar) und Rücklagen bilden (wird ein eigen errechneter Cash-Preis überschritten, fließen 10 % des Milchgeldes in Rücklage).

Gibt es auf der Erlös-Seite noch etwas „zu holen“?

Der Hebel auf der Kostenseite ist in der Milcherzeugung bekanntlich größer als auf der Erlösseite. Dennoch weist Judith Siebers, Milcherzeugerin aus dem Landkreis Kleve in Nordrhein-Westfalen darauf hin, die Qualitätszuschläge der Molkereien zu realisieren und hier nicht unnötig Geld zu verlieren. Matthias Tauber ist vor einem Jahr auf die gentechnikfreie Fütterung umgestiegen, die ihm einen Zuschlag von einem Cent bringt. In Verbindung mit der Teilnahme an einem Agrarumweltprogramm zur mehrgliedrigen Furchtfolge großkörniger Leguminosen kann er damit einen Mehrerlös für seinen Betrieb erzielen. Milcherzeuger sollten die Möglichkeiten der Interaktion an freiwilligen Förderprogrammen in Betracht ziehen, diese jedoch zunächst betriebswirtschaftlich prüfen.

Steht es sich auf vier besser als auf zwei Beinen?

Angesichts der zunehmend schwankenden Erzeugerpreise wird der Weg der Diversifizierung wieder stärker diskutiert. Judith Siebers hat den eigenen Betrieb gemeinsam mit Vater und Ehemann auf ein breites Fundament gestellt: so werden an zwei Standorten 790 Milchkühe plus Nachzucht gehalten, Puten gemästet, eine 400 KW Biogasanlage sowie Ackerbau betrieben. „Die breite Aufstellung bietet Sicherheit, ist jedoch nur möglich durch entsprechendes fachliches Know-how. Die verschiedenen Standbeine müssen durch Spezialisten in ihrem Gebiet geleitet werden“ so Sievers. Bernd Lührmann weist darauf hin, dass die Diversifizierung als Form der Risikoverteilung nur in schlagfertigen Größen mit entsprechender Gewinnausschüttung Sinn macht. Des Weiteren solle nur ein rentabler Betrieb über neue Standbeine nachdenken. Denn zunächst müsse sich die Neuinvestition tragen, bevor sie andere Betriebszweige quer- oder mitfanzieren kann.

Was machen die Molkereien?

In der aktuellen Diskussion um die schlechten Milchpreise, wird den Molkereien nicht selten der schwarze Peter zugeschoben - vor allem den genossenschaftlichen Molkereien wird unzureichende Markenstärke und Innovationskraft vorgeworfen und sie geraten mit den vielfach als veraltet empfundenen Genossenschaftsprinzipien (v.a. Andienungspflicht) zunehmend in die Kritik. Einige der Probleme seien „hausgemacht“, da es die Milcherzeuger in der Vergangenheit versäumt hätten, aktiven Einfluss auf das operative Geschäft ihrer Molkerei zu nehmen. Angesichts der Größe und Strukturen der Genossenschaften sei die Einflussnahme jedoch begrenzt. Nichtsdestotrotz wird empfohlen, sich wieder stärker in entsprechenden Gremien zu engagieren und vor allem die Verhandlungsmacht in Hochpreisphasen mit Angebotsknappheit zu nutzen, auch durch Bündelung der Milchmengen. Gleichwohl werden die Molkereien in der dringenden Pflicht gesehen sich im Risikomanagement, beispielsweise durch die Nutzung der Warenterminbörse, zu engagieren, um Volatilitäten abzufedern. Sie besäßen die notwendigen Sicherheiten und die Liquidität. Aktuell ziehen die Preise an den Börsen zudem wieder an. Aber auch der Milcherzeuger müsse das Marktgeschehen zunehmend mitverfolgen und ein Verständnis für die Abläufe entwickeln.

Vor einem übereilten Molkereiwechsel, der aktuell vielerorts stattfindet, warnt Bernd Lührmann, Unternehmensberater bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Der Wechsel müsse an harten Unternehmensfakten ausgemacht werden, die auf Molkereiseite jedoch nur schwer verfügbar und wenig transparent sind. Als Bewertungskriterium könne beispielsweise der Eigenkapitalanteil der Molkerei herangezogen werden. Wenn Vertragsausstieg, dann nur bei Vorliegen eines Vorkontrakts mit der neuen Molkerei.

Offen kommunizieren

Bei allen Herausforderungen, die sich den Milcherzeugern gegenübersehen, darf das Wesentliche nicht auf der Strecke bleiben: die Zeit für Familie, Freunde und sich selbst. „Die Freiheit für Freizeit“ sei das Rezept, um neue Ideen zu sammeln, nicht auszubrennen und den Betrieb weiterzuentwickeln. Die Freude und Leidenschaft an der täglichen Arbeit solle durch den offenen Dialog mit dem Verbraucher in die Gesellschaft getragen werden. Einer der Diskussionsteilnehmer forderte seine Berufskollegen zudem auf, die Hoftore zu öffnen und besonders Politiker aller Parteien „in den Stall zu holen“.