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Unternehmerstrategien auf turbulenten Märkten

Rede von Staatsminister Frank Kupfer

Sehr geehrte Damen und Herren,

schön, dass Sie Leipzig zum zweiten Mal als Tagungsort gewählt haben. Die Stadt ist turbulent, bunt, interessant und vielschichtig. Hier befindet sich die älteste Messe der Welt. In Leipzig wird seit 740 Jahren gehandelt und zwar angeblich das, was in Chemnitz erarbeitet und anschließend in Dresden verprasst wurde.

Leipzig, die Stadt, in der die erste Tageszeitung der Welt erschien, Luther gepredigt hat, Bach als Thomaskantor wirkte, in der Goethe studierte, Richard Wagner geboren wurde, in der die Völkerschlacht Napoleons Herrschaft über Europa beendete, die Stadt, die mit dem VfB Leipzig den ersten deutschen Fußballmeister stellte und in der 1989 viele Demonstranten friedlich die Wiedervereinigung Deutschlands einleiteten.
Und es gibt sogar noch einen fachlichen Bezug. So findet aller 2 Jahre die agra, die Mitteldeutsche Landwirtschaftsmesse, auch mit Unterstützung der DLG in Leipzig statt.

Die Stadt ist so turbulent und vielschichtig, so wie das Thema Ihrer diesjährigen Unternehmertage, so turbulent und vielschichtig wie die landwirtschaftlichen Märkte.

Zurzeit geht es uns gut. Die vielseitige Verwendung der Ackerfrüchte treibt die Preise in die Höhe. Die Chinesen kaufen die Lebensmittelmärkte leer. Und die Zahl der Esser steigt in jedem Jahr um weitere 80 Millionen. Außerdem fließen Agrarprodukte als Treibstoffe in den Autotanks oder zur Energiegewinnung in Biogasanlagen. Diese steigende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten macht – bei allen Schwierigkeiten für Mensch und Natur in den ärmeren Ländern - die Landwirte zu gefragten Wirtschaftspartnern.

Bislang haben die Interventionspreise die Entwicklung an den europäischen Märkten bestimmt. Jetzt sind wir auf dem Weg zur unverzerrten Preisbildung auf den internationalen Märkten, mit all ihren Vorzügen und Problemen.

Börsenanalysten sehen für die kommenden Jahre große Nachfragesteigerung nach hochwertigen Lebensmitteln. Damit stehen die Chancen, dass der Agrarsektor in den Industriestaaten die weltweite Nachfragesteigerung zu einem dauerhaften Aufschwung nutzen kann, relativ gut.

  • Aber Preise kennen eben nicht nur eine Richtung. Das zeigt zurzeit der Schweinemarkt, aber auch das Auf und Ab der Milchpreise. Und wo Licht ist, ist auch Schatten:
  • Die Weltbank prognostiziert, dass sich das Angebot im Jahr 2015 bereits wieder mit der Nachfrage eingepegelt hat.
  • Die hohen Preise der landwirtschaftlichen Kulturen wecken auch Begehrlichkeiten bei Spekulanten, die die Preisbildung mit beeinflussen.
  • Hinzu kommt, dass die gestiegenen Preise für Düngemittel und Pflanzenschutzmittel das Betriebsergebnis schmälern.
  • Und die gestiegenen Preise für Futtermittel treiben vielen Schweine- und Geflügelhaltungsproduzenten den Schweiß auf die Stirn.
  • Pächter sehen sich mit höheren Pachtpreisforderungen bei Neuverpachtungen bzw. Vertragsänderungen konfrontiert.
  • Steigende Bodenpreise, aber auch höhere Energiekosten lassen die Mehrerlöse der letzten Monate wieder schrumpfen.
  • Nicht zu vernachlässigen sind die Naturrisiken, die keine Sicherheit für eine konstant gute Ernte garantieren.
    Schauen wir einmal auf Sachsen: Bei einer insgesamt guten Ernte schwanken beispielweise unsere Getreideerträge aufgrund starker regionaler Unterschiede der Böden und des Klimas zwischen 15 und 110 dt/ha.

Meine Damen und Herren, diese Beispiele zeigen, dass die gestiegene Nachfrage kein Ruhekissen sein kann. Auch wenn das von vielen in der Vergangenheit herbei geredete Auslaufmodell Landwirtschaft mittlerweile der Renner ist – das darf uns freuen, zufrieden geben dürfen wir uns damit nicht.

Märkte sind nicht konstant. Es gilt, sich an die Turbulenzen anzupassen: mit vielen Standbeinen, einer besseren Produktivität und einer steigenden Rentabilität.

So haben sich in Sachsen Berufsstand, Verwaltung und Politik gemeinsam die Frage gestellt, warum wir beispielsweise bei der Milchleistung und –qualität Spitze sind, aber bei der Rentabilität nur im Mittelfeld liegen?
Warum sind die Arbeitserledigungskosten im Ackerbau noch so hoch? Warum setzten wir zu wenig Ferkel pro Sau ab? Über solche Fragen diskutieren wir bereits seit 1 ½ Jahren ganz intensiv. Wir haben dazu eine eigene Plattform geschaffen – unser Zukunftsforum Landwirtschaft, ein Prozess, der übrigens auch in Leipzig seinen Ausgangspunkt hatte. In neun Fachforen entwickeln dort Praktiker Strategien für die einzelnen Bereiche der Landwirtschaft.

Denn wir wollen besser werden. Schließlich ist eine ausreichende Produktivität Voraussetzung für ein ausreichendes Einkommenspotenzial der Betriebe und dies ist wiederum die Quelle für Innovation und Investitionen in die Zukunft. Nur wer gleichzeitig ein guter Manager und Produktionstechniker ist, der Risiken bewerten und absichern kann und seine Finanzen im Griff hat, wird in der Lage sein, flexibel und strategisch richtig auf turbulente Märkte zu reagieren.

Meine Damen und Herren, auch wenn sich die Politik zum Glück mehr und mehr aus dem Marktgeschehen verabschiedet, versuchen wir die Rahmenbedingungen so gut wie möglich für die Landwirtschaft zu gestalten.

  • An erster Stelle stehen für uns Agrarforschung, Investitionsförderung und die Bildung:
  • Unser erst kürzlich aus mehreren Einrichtungen fusioniertes Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und Geologie bietet umfangreiche Forschung und praxisnahes Fachwissen für alle grünen Bereiche.
  • Mit gezielter Förderung insbesondere in Tier haltende Betriebe, in Bildung und Forschung sowie die Diversifizierung der Landwirtschaft unterstützt der Freistaat seine Landwirte. Moderne Technik ist überlebenswichtig. Denn GPS, Bits und Bytes auf dem Acker und im Stall verbessern Qualität und Leistung.
  • Leistungsfähige Unternehmer werden auch im Wettbewerb um gute Fachkräfte bessere Chancen haben. Der Markt ist ja augenblicklich so gut wie leer gefegt und künftig stehen immer weniger junge Leute für eine Ausbildung auch in der Landwirtschaft bereit. Unsere Betriebe sind bei den Ausbildungsplätzen deutschlandweit bereits spitze. Jedoch dürfen wir nicht nachlassen, denn der Kampf um die besten Lehrlinge wird bei sinkenden Schülerzahlen nicht einfacher. Daher trägt der Freistaat die duale Ausbildung mit und öffnet seine Einrichtungen auch für die überbetriebliche Lehrausbildung.

Mit einigen Sorgenfalten betrachte ich allerdings den Rahmen aus Brüssel. Prinzipiell unterstützen wir alles, was mehr Marktorientierung und eine bessere Wettbewerbsfähigkeit für unsere Landwirtschaft bringt.

Aber wir sagen „Nein“ zu allen Eingriffen, die vom europaweit abgestimmten Kurs der Planungssicherheit abkommen. Dazu gehört die beim „Health check“ vorgeschlagene Anhebung der obligatorischen Modulation und Einführung einer größenabhängig progressiven Modulation.

Ich lehne beide ab. Denn die Landwirte brauchen eine verlässliche Politik – so wie sie 2003 von den europäischen Regierungschefs zugesichert wurde.
Die Landwirte haben auf dieser Politik ihre Betriebskonzepte aufgebaut. Direktzahlungen sind nach wie vor ein unverzichtbarer Beitrag zu Liquiditätssicherung und Einkommensstabilisierung. Das zeigt die aktuelle Diskussion der Milchpreise, aber auch die Situation der Schweinehalter.

Das Ende der Milchquotenregelung 2014/15 ist richtig. Aber wir benötigen ein tragfähiges und schlüssiges Gesamtkonzept für eine „sanfte Landung“. Dahinter stehen alle deutschen Agrarminister. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das nicht einseitig die Milchquoten anhebt, sondern auch andere Optionen - beispielsweise die Senkung der Überschussabgabe - mit einbezieht. Wer wachsen und sich weiter spezialisieren will, muss bereits jetzt günstige und verlässliche Rahmenbedingungen dafür vorfinden. Wer bisher die Quote nicht regelmäßig ermolken hat, braucht andererseits auch keine weitere Zuteilung.

Ich denke aber auch an die Milcherzeuger in den weniger wettbewerbsfähigen Regionen. Auch sie brauchen eine Perspektive. Denn stirbt dort die Milchproduktion, wandern die Menschen ab und die Pflege der Natur wird in Frage gestellt.

Die von der Kommission vorgelegten Vorschläge zur Milch sind enttäuschend. Sie schlägt stattdessen eine fakultative Kürzung der Direktzahlungen über den so genannten Artikel 68 in den Mitgliedstaaten und eine damit verbundene, erneute Umverteilung vor. Und die Krönung dessen ist, dass damit wieder neue Teilkopplungen an die Produktion vorgenommen werden können. Das darf nicht kommen. Hier halten wir deutschen Agrarminister zusammen.

Meine Damen und Herren, die kommenden Wochen werden spannend. Im November sollen die Weichen zum Health Check in Brüssel gestellt werden. Bundesminister Seehofer steht in der Verantwortung, im Sinne der Bundesländer unsere gemeinsam formulierten Ziele durchzusetzen.

Doch es geht nicht nur um eine Verpflichtung der Politik. Auch Unternehmer und Berufsstand müssen mitziehen. So ist beispielsweise das Durchsetzen angemessener Milchpreise gemeinsame Aufgabe aller Marktteilnehmer: der Unternehmer, der Molkereien und des Handels.

Hier ist vor allem auf Erzeugerebene der Berufsstand gefragt. Sie und die Unternehmer sind am Zuge, sich strategisch neu aufzustellen und zu handeln und nicht bei z. B. zunehmenden Ertragsunsicherheiten regelmäßig wieder nach „mehr Staat“ zu rufen oder Instrumente der Planwirtschaft aus der Mottenkiste zu holen. Wenn die Landwirtschaft wieder Teil der Wirtschaft ist, muss sie sich auch an diesen Maßstäben orientieren und messen lassen.

Vollkommen richtig ist es allerdings, alle kartellrechtlich zulässigen Möglichkeiten der Stärkung der Marktmacht zu nutzen. Wir brauchen eine Diskussion über Grundsätze und Grundlagen der staatsfreien Marktsteuerung und nicht eine um eher nachrangige Details wie die Umrechnung von Liter auf Kilogramm. Hier müssen alte Zöpfe abgeschnitten werden und neue Wege gegangen werden.

Meine Damen und Herren, ganz klar muss auch gesagt werden, dass der Strukturwandel in der Landwirtschaft noch längst nicht abgeschlossen ist. Und niemand in der Agrarwirtschaft wird an einer zunehmenden horizontalen und vertikalen Kooperation vorbeikommen.

Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit zwischen landwirtschaftlicher Erzeugung, Verarbeitung und Handel, um mehr als bisher Rohstoffe aus der Region zu veredeln.
Wir sollten uns auch fragen, ob die derzeitigen Bündelungs- und Kommunikationsstrukturen, die in Deutschland doch noch sehr stark länderbezogen ausgerichtet sind, nicht den Handlungserfordernissen der Teilsektoren angepasst werden müssen. Hier sind wir, sowohl was die staatliche als auch verbands- und fachpolitische Organisationsstruktur angeht, noch zu sehr auf Ländergrenzen focusiert. Das ist vor allem eine Aufgabe der berufsständischen Vertretungen.
Wir haben sehr gute Interessensvertretungen. Die DLG ist eine sehr wichtige davon. Ich freue mich, dass ich Sie kennenlernen konnte. Wir werden die guten Kontakte auf jeden Fall weiter pflegen.

Liebe Landwirte, arbeiten Sie mit Ihren Interessensvertretern – auch verbandsübergreifend - zusammen. Kommen Sie miteinander ins Gespräch. Nutzen Sie dieses interessante Forum zum Erfahrungsaustausch!

Und vielleicht haben Sie ja am Abend auch noch die Möglichkeit sich nicht nur über turbulente Märkte zu unterhalten, sondern sich auch noch ins turbulente Leipzig zu begeben. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Tagung und einen schönen Aufenthalt in Sachsen!