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DLG-Unternehmertage 2006: Zukunftskonzepte bei knappen Renditen

Rede von DLG-Präsident Carl-Albrecht Bartmer

Ich begrüße Sie sehr herzlich zu den DLG-Unternehmertagen in Hannover. Hannover liegt, aus landwirtschaftlicher Sicht, exakt auf dem so genannten „Steckrübenäquator“, der ungefähr auf der Höhe des Mittellandkanals verläuft und die schweren Böden im Süden von den leichteren im Norden trennt. Die Gnade der Geburt auf der nördlichen oder südlichen Seite dieses Äquators hat erstaunlicherweise wenig mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Betriebe zu tun. Das bestätigt, dass erfolgreiche Unternehmer in der Lage sind, aus den jeweiligen Standorteigenschaften optimale unternehmerische Konzepte abzuleiten. Erfolgreiche Unternehmer entstehen nicht, indem sie in das richtige Nest gelegt werden. Für erfolgreiche Unternehmen sind Köpfe verantwortlich. Sehr verehrter Herr Minister Ehlen, diese Köpfe hat das Land Niedersachsen, das Agrarland Nr. 1 in Deutschland, das Land, das nach der Automobilindustrie die Land- und Ernährungswirtschaft zu ihrem bedeutendsten Wirtschaftszweig zählt. Deshalb freuen wir uns ganz besonders, mit Hannover einen hervorragenden Ort für die DLG-Unternehmertage gefunden zu haben, denn hier wird die Tradition landwirtschaftlichen Unternehmertums in seiner interessanten Vielfalt der natürlichen Bedingungen groß geschrieben.

Hannover und die DLG verbindet eine Freundschaft mit Herz. Bereits im Jahr 1903 fand eine DLG-Wanderausstellung in Hannover statt, seit Ende der 70er Jahre waren wir mit der Ausstellung Huhn & Schwein ständiger Gast auf dem Messegelände der niedersächsischen Landeshauptstadt und seit 1995 veranstalten wir in jedem Jahr alternierend eine unserer Weltleitausstellungen, die Agritechnica und die EuroTier. So öffnet in diesem Herbst vom 14. bis 17. November wieder die EuroTier Besuchern aus aller Welt ihre Tore. Hannover ist deshalb für die DLG wie ein zweites Zuhause, Hannover mit seiner traditionellen Internationalität, dessen Königreich bis 1837 in Personalunion mit dem englischen Königshaus regiert wurde. Die Verbindung zum fortschrittlichen England, dem Land des frühen Parlamentarismus, dem Pionier der Industrialisierung, das mit seinen Handelsschiffen auf allen Meeren der Welt zu Hause war, ist an Hannover nicht spurlos vorübergegangen. Übrigens auch nicht an der DLG, die 1885 von Max Eyth gegründet wurde.

Max Eyth, angezogen von der vorwärts drängenden Kraft dieser großen Nation England, war lange Jahre als Ingenieur bei dem innovativen Dampfpflughersteller Fowler in Leeds tätig. Bei der Gründung der DLG wurde Eyth von der englischen Landwirtschaftsgesellschaft, der Royal Agricultural Society of England, inspiriert. In diesem Jahr erinnern wir an Max Eyth, dessen Todestag sich zum 100. Mal jährt. Er hat das Gesicht der DLG bis heute geprägt. Dieser außerordentliche Mann, begeisterte Ingenieur und Organisator, zugleich anerkannter Schriftsteller und Maler, konzipierte damals visionär das einmalige und, wie wir heute feststellen, zeitlose Arbeitsprinzip der DLG: Den Dreiklang aus Facharbeit, Ausstellungen und Prüfungen, der sich mit engagiertem Ehrenamt und motivierten hauptamtlichen Mitarbeitern bis heute höchster Vitalität und Dynamik erfreut.

Anlässlich des 100. Todestages von Max Eyth ist die Idee für einen Kunstwettbewerb entstanden, den die DLG an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach für Studenten ausgeschrieben hat. Die Intention der DLG war, in einem Wettbewerb die Gedanken und Taten Max Eyths aufzugreifen und aus Sicht der Studenten zukunftsweisend umsetzen und gestalten zu lassen. Mit dem Wettbewerb möchten wir eine Brücke bauen, die die 100 Jahre, die seit dem Tod Max Eyths vergangen sind, überspannt und die bis in die Zukunft reicht. Es sind beeindruckende Werke eingegangen, und ich möchte Sie herzlich einladen, sich die Siegerarbeiten im Foyer hier auf den Unternehmertagen anzusehen.

Liebe Berufskollegen, „Zukunftskonzepte bei knappen Renditen“, das Thema unserer diesjährigen Unternehmertage, folgt einem Jahr, in dem wir mit Knappheiten scheinbar ausreichend zu tun haben:

  • Der Ackerbau hat nach einem etwas späten, aber günstigen Frühjahr im Vorsommer bei knappem Wasser in ungekannter Hitze seine Potenziale dahin schmelzen sehen. Seit Wochen kippt nun das Wetter. Monsunartige Regenfälle habe die anfangs trockene Ernte verzögert. Viele Berufskollegen ringen um den letzten Weizen mit fallender Qualität und die schon nicht mehr zeitgerechte Aussaat von Raps. Der Wetterbericht der nächsten Tage kündigt Sonne an, ich wünsche allen einen schnellen und erfolgreichen Abschluss ihrer Ernte.
  • Die Knappheiten durch die kleinere Ernte verändern aktuell veröffentlichte Versorgungsbilanzen, der weitere Abbau von Vorräten wird zunehmend eingepreist, Preissteigerungen von über 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr stimmen hoffnungsvoll.
  • Schweinefleisch ist mit Klinsmanns Nationalmannschaftserfolg zum knappen Gut geworden. Jedes Tor wurde in Tonnen von Grillfleisch aufgewogen. Da kann man sich schon über einen guten deutschen Angriff freuen. Die Nachfrage und der Preisauftrieb scheinen ungebrochen.
  • Auch die Milch und das Rindfleisch erleben Konsolidierungen, zumindest folgen die Marktpreise nicht den EU-Interventionspreissenkungen, und auch die Intervention von Magermilchpulver und Butter ist deutlich rückläufig.

Zusammenfassend kann man sagen, die Märkte sehen Knappheiten, die sich in positiven Preisentwicklungen widerspiegeln.

Ökonomisch betrachtet ist Knappheit die Voraussetzung, einem Gut überhaupt einen Wert zuzuweisen. Somit stützt Knappheit Preise, stützt die „unsichtbare Hand“ nach Adam Smith, dem bedeutenden englischen Nationalökonom, die Hand, die Angebot und Nachfrage zum Ausgleich bringt. Sind knappe, also kleine Unternehmerrenditen, unser heutiges Thema, im Umkehrschluss ein Zeichen dafür, dass der Unternehmerleistung vom Markt kein hoher Wert zugeschrieben wird? Ist dies eventuell auch ein Indiz dafür, dass die Kennzahl „Unternehmer/ha“ eine zu große Relation ausweist, also nicht knapp ist? Ist dies ein Indiz dafür, dass eine synchronisierende, Unterschiede egalisierende Agrarpolitik nicht den findigen Unternehmer belohnt, sondern mithilft, in weitgehend standardisierten Produktionsverfahren große
Wertschöpfungsanteile auf den knappen Faktor Boden zu überwälzen?

Tatsache ist, dass knappe Renditen die Akteure disziplinieren. Sie führen nach expansiven Phasen zu Konsolidierungen, zu der Notwendigkeit, seine Strukturen in Ordnung zu bringen, sich den vielen kleinen Schrauben zuzuwenden, insbesondere diejenigen, die die Kosten beeinflussenden (Stichwort Kosten der Arbeitserledigung). Gute Unternehmer beherrschen die Prozesse im Stall oder auf dem Feld. Sie umschiffen mit kaufmännischem Geschick, mit präziser Investitions- und Liquiditätsplanung die Untiefen verengter Märkte. Aber sie identifizieren auch Nischen, in denen sie sich Pioniergewinne oder größere Wertschöpfungspotentiale erschließen. Diesen Unternehmern gelingt es, zusätzliche Margen zu erwirtschaften und sich damit auch in Phasen knapper Renditen zu behaupten.

Interessante Erfahrungen haben gerade unsere englischen Nachbarn sammeln können, die unter dem starken Pfund leiden, aber auch mit einer sie wenig priviligierenden nationalen Agrarpolitik zu tun haben. Deshalb bin ich froh unter uns englische Landwirte begrüßen zu können, die nachher in einem eigenen Arbeitskreis ihre Konzepte vorstellen werden.

Liebe Berufskollegen, die Agrar- und Ernährungswirtschaft steht vor einem Paradigmenwechsel. Wir erleben zur Zeit einen dramatischen Anstieg der Preise für Agrarprodukte. Verengte globale Märkte mit meist auf historisch niedrigem Niveau abgebauten Vorräten, um 20 Prozent niedrigere EU-Interventionsbestände als vor zwölf Monaten, bei Weizen in Deutschland sogar um 40 Prozent kleinere aktuelle Bestände. Das sind andere Nachrichten als die, die uns seit Jahren begleiten. Nach einer weltweit kleineren Ernte reagieren die Märkte. Märkte, die wir nicht mehr als entspannt bezeichnen können. Märkte, auf die jede Nachricht aus dem Energiebereich zusätzlich preisstimulierend wirkt. Der Rohölpreis, der sich vom Eckpreis für Energieprodukte zunehmend auch zu einem Eckpreis für Agrarprodukte entwickelt, scheint sich auf einem Niveau von über 70 $/Barrel Rohöl zu etablieren. Wirtschaftspresse und Politik diskutieren den regenerativen Energiemarkt neben Fragen des Klimaschutzes und der Schadstoffemission neuerdings unter dem Blickwinkel Versorgungssicherheit und Industriepolitik.

Große Energieversorger sowie die Automobil- und Kraftstoffindustrie sind über die Diskussion von Konzepten schon hinaus und tätigen bereits heute umfangreiche Investitionen im Bereich der Bioenergie. Die Europäische Union plant noch in diesem Jahr eine Richtlinie, die für Heizen und Kühlen (hierfür werden 60 Prozent aller Energie aufgewendet) einen Mindestanteil von 20 Prozent aus regenerativen Quellen bis 2020 vorsieht. Schätzungen für die Flächenansprüche an landwirtschaftlicher Nutzfläche, von der bereits heute mehr als zehn Prozent für die Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen verwendet wird, legen einen 3- bis 4-fachen Flächenbedarf in den nächsten 15 bis 20 Jahren nahe.

Es ergeben sich extrem spannende Fragen für den innovativen Unternehmer. Er wird Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen haben, solche mit großen Chancen, aber auch neuen Risiken:

  • Wie fällt die Entscheidung zwischen Nahrungsmittel- und Energieproduktion? Wird der Energiewert eines Nahrungsmittels zum Mindestpreis für Nahrungsmittel?
  • Welche Standorte mit welcher Vorzüglichkeit, welches Verfahren, welche optimale spezielle Intensität?
  • Welche Energieeffizienz kann ich erreichen? Sind Biogasanlagen ohne schlüssige Wärmekonzepte gegen Direkteinspeisung wettbewerbsfähig? Sicher ist, und erste Erfahrungen beim Biogas beweisen es,
  • Erfolgreich kann nur der Anlagen betreiben, der höchste Expertise besitzt.
  • Welche Produktionstiefe ist sinnvoll bei der Erstellung von regenerativer Energie? Wann beginnen Vorteile der Arbeitsteilung, welche Größendegression ist möglich?
  • Wie wird finanziert (allein für den Ersatz von 20 Prozent der Wärmeenergie durch regenerative Verfahren müssten zweistellige Milliardenbeträge aufgebracht werden)?
  • Welche Partner werden benötigt?
  • Welche Auswirkungen entstehen für knappe Faktoren, wie zum Beispiel den Boden- und Pachtmärkten? Welche Auswirkungen hat dies auf die Vorleistungs- und Investitionsgüterindustrie?

Meine Damen und Herren, diese Fragen ließen sich noch lange fortführen. Allein die Antworten stehen nirgendwo aufgeschrieben. Diese Antworten müssen landwirtschaftliche Unternehmer erarbeiten. Die Plattform dafür stellt die DLG zur Verfügung. Sicher ist, dass wir eine Renaissance von Unternehmertum erleben werden, die sich in Chancen und interessanten Renditen widerspiegelt.

Politik kann hier nur einen Rahmen schaffen, aber auch Initialförderungen für neue Verfahren geben. Ein langfristig öffentlich gesteuertes Sonderwirtschaftsgebiet ist allerdings so ungeeignet wie manche Ausgestaltung der Agrarpolitik heute. Die EU-Agrarpolitik sollte sich vielleicht weniger mit einer Groß-Klein-Diskussion beschäftigen als mit der Frage, ob bürokratische Monstren wie Cross-Compliance, die Unternehmer mit dem Zählen von Ohrmarken oder Bäumen in Randstrukturen absorbieren, noch angemessen sind. Die obligatorische Stilllegung und auch die Verwaltungsverfahren für NaWaRo- und Energiepflanzen passen nicht mehr in die Zeit. Genauso wenig wie Ausgleichsmaßnahmen für die Versiegelung von Flächen, die landwirtschaftliche Nutzfläche unwiederbringlich verzehren.

Dagegen wären Rahmenbedingungen für erleichterte Investitionen im ländlichen Raum ein Handlungsfeld, das politische Aufmerksamkeit verdient, genauso wie die Förderung neuer Technologien, die weltweit immer mehr zum Standard wird. Diese Technologien werden angesichts neuer Knappheiten auch in der öffentlichen Diskussion mehr Chancen für eine sachliche Auseinandersetzung und letztlich für die Akzeptanz haben.

Meine Damen und Herren, liebe Berufskollegen, vor uns liegt ein vibrierendes Feld neuer Chancen. Wir sollten sie unternehmerisch nutzen. Wir wissen sehr wohl, dass Preisentwicklungen keine Einbahnstraßen sind, schon recht nicht auf Energiemärkten. Deshalb bleiben unternehmerische Tugenden Kernaufgaben des landwirtschaftlichen Unternehmers:

  • Das detaillierte Beherrschen der landwirtschaftlichen Prozesse in Stall und Feld.
  • Das akribische Controlling.
  • Die Kommunikationsfähigkeit zur Bildung von horizontalen und vertikalen persönlichen Netzwerken und Kooperationen.
  • Die sinnvolle strategische Ausrichtung des Betriebes.

Das Programm der Unternehmertage 2006 „Zukunftskonzepte bei knappen Renditen“ setzt genau hier an. Erfahrene Praktiker und Experten werden heute und morgen gemeinsam mit Ihnen Erfahrungen und Ideen diskutieren. Ich wünsche Ihnen interessante Anstöße und eine erfolgreiche Umsetzung auf dem Prüfstand „betriebliche Wirklichkeit“.