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DLG-Unternehmertage 2005 „Märkte im Umbruch - Den Betrieb richtig ausrichten“

Begrüßungsrede DLG-Präsident Philip Freiherr von dem Bussche

Ich begrüße Sie sehr herzlich zu den DLG-Unternehmertagen in Magdeburg. Die Landwirtschaft ist einer der erfolgreichsten Wirtschaftssektoren in diesem schönen Bundesland, das mit der Börde und der Altmark zwei sehr verschiedene Naturräume aufweist. Nicht zu vergessen der Weinanbau in den Flusstälern von Elbe, Saale und Unstrut. Hier in Magdeburg schlägt ohne Zweifel das Herz der deutschen Geschichte. Immerhin hat hier Kaiser Otto der Große als Gründer des Heiligen Römischen Reiches oft und gerne residiert. Der ehrwürdige Dom, dessen Ursprünge auf diese Zeit zurückgehen, ist markantes Wahrzeichen dieser Stadt an der Elbe, die in diesem Jahr ihr 1200-jähriges Jubiläum feiert. Nicht zu vergessen der berühmte Sohn der Stadt, Otto von Guericke, der im 17. Jahrhundert als erster das Vakuum nachweisen konnte und auch experimentell hergestellt hat. Luftpumpe, Luftgewehr und die elektrische Leitung gehörten zu seinen herausragenden Erfindungen. Otto von Guericke hat etwas geschafft, wovon unsere Politiker nur träumen können. Er hat nicht nur das Vakuum entdeckt, sondern er hat daraus sogar nützliche Energie gewonnen. Das aktuelle politische Vakuum wartet noch darauf, dass man aus ihm neue Energie gewinnt. Otto von Guericke hat noch eine nützliche Entdeckung gemacht: Seine Erfindung des Barometers, das unter dem Namen „Magdeburger Wettermännchen“ berühmt wurde, hat eine unmittelbare Beziehung zu unserem Thema. Bei allen Veränderungen im Agrargeschäft, bleibt das Wetter immer einer der wichtigsten und gleichzeitig unbeständigsten Faktoren.

Der Übergang aus der Geschichte Magdeburgs zu den diesjährigen Unternehmertagen ist beim Thema Wetter also ein leichtes Spiel. Zwar hat sich seit Otto von Guericke die Wettervorhersage weiter verbessert, das Wetter ist dadurch jedoch nicht wirklich besser geworden. In diesem Jahr hat die Trockenheit im Juni in Verbindung mit der Nässe im August nicht gerade die besten Voraussetzungen für den hiesigen Ackerbau geschaffen. Die Erträge und Qualitäten lassen oft zu wünschen übrig. Allerdings hat die Witterung in den letzten zwei Wochen nichts zu wünschen übrig gelassen, so dass die restliche Ernte und die Rapsbestellung abgeschlossen werden konnten.

Meine Damen und Herren, ich stelle mit großer Freude fest, dass unser diesjähriges Thema „Märkte im Umbruch“ auf große Resonanz stößt. Mit diesem Thema will die DLG den Blick für wichtige Entwicklungen auf internationalen Märkten und in den einzelnen Erzeugerregionen schärfen. Bei Getreide, Ölsaaten, Schweinen und Geflügel orientieren sich unsere Preise bereits am Weltmarktniveau. Andere Märkte wie Rindfleisch, Milch und Zucker entwickeln sich schnell dorthin. Dabei stehen nicht nur einzelne Produkte, sondern ganze Wertschöpfungsketten im Wettbewerb. Dass eine Öffnung der Märkte auch sehr positive Auswirkungen haben kann, zeigt sich zum Beispiel daran, dass sich die deutschen Fleischexporte in die EU-Beitrittsländer seit dem 1. Mai 2004 verdoppelt haben.

Die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit stellt sich im Prinzip in jeder Generation neu. Seit dem späten 19. Jahrhundert hat die industrielle Revolution unser Leben von Grund auf verändert. Ebenfalls in dieser Zeit ergaben sich dank der Erkenntnisse der Agrarforschung extreme Produktivitätsfortschritte. Der große Segen für die wachsende Bevölkerung, immer mehr und immer bessere Lebensmittel zu real ständig sinkenden Preisen einkaufen zu können, wurde allerdings begleitet durch eine immer kritischere Verbraucher-Einstellung: Eines der vielen Paradoxa, mit denen wir in der modernen Medienwelt leben müssen.

Weitgehend gesättigte Märkte - zumindest in unseren Breiten - wird die Landwirte weiterhin zwingen, natürliche Standortvorteile bestmöglich zu nutzen und die Wertschöpfungsketten von der Züchtung, über die Landtechnik, die Verarbeitung der Rohstoffe bis zum konsumfähigen Endprodukt zu optimieren. Gerade in der bevorzugten Agrarregion rund um Magdeburg waren schon immer bedeutende Züchterfamilien, vorbildliche Landwirte und ein sich rasant entwickelndes Agribusiness mit modernen Zuckerfabriken und Getreidemühlen die wichtigsten Erfolgsfaktoren.

Die Unternehmertage in Magdeburg finden an einem der besten Agrarstandorte weltweit statt. Gemäßigtes Klima, hervorragende Böden und die zentrale Lage im europäischen Verbrauchermarkt gehören zu den Stärken dieser Region. Schließlich fand man auf dem Betrieb der Witwe Haberhauffe in Eickendorf die besten Bodenverhältnisse vor, die man sich überhaupt vorstellen konnte, und vergab hier die 100 Bodenpunkte, an denen sich bis heute die Bodenschätzung orientiert.

„Märkte im Umbruch“ ist das Leitthema auf unseren diesjährigen Unternehmertagen. In der Tat haben sich Schwankungen und Unsicherheiten auf den Märkten erheblich verstärkt. Aktuell befinden sich vor allem der Zucker- und der Energiemarkt im Umbruch. Der krisenhaft verengte Energiemarkt zeigt uns, wie schnell sich die Situation ändern kann. Mittlerweile ist es auch allgemeinwirtschaftliches Gedankengut, dass es ohne Energierohstoffe vom heimischen Acker keinen nachhaltigen Ausweg aus dieser Krise geben wird. Mit der Novellierung des Erneuerbaren Energiengesetzes im Sommer 2004 ist ein Investitions- und Innovationsschub durch die deutsche Landwirtschaft und die mit ihr verbundenen Wirtschaftszweige gegangen. Erneuerbare Energien sind dabei nicht nur eine Möglichkeit, neue Einkommenspotentiale für die Landwirtschaft zu erschließen, sondern auch ein Motor für Jobs und Technologiefortschritt sowie Exportpotenzial für unsere Volkswirtschaft. Der Beitrag regenerativer Energien zum Klimaschutz und zur Sicherung der Energieversorgung nähert sich bei rasant steigenden Erdölpreisen schnell der Rentabilitätsschwelle - auch ohne zusätzliche Fördermittel. Der Landwirt als Energiewirt rückt auch in der Öffentlichkeit in ein neues Licht. „Bauern sind bei technologischen Entwicklungen oft die Mutigeren, sie sind mehr Unternehmer als viele andere.“ So der Chef-Ökonom der Deutschen Bank Professor Norbert Walter.

Die Globalisierung - vorangetrieben durch die WTO - hat durch die gerade vollzogene Agrarreform, durch die Osterweiterung und jetzt durch die anstehende Zuckermarktreform an Fahrt gewonnen. Rasanten Steigerungen auf der Nachfrageseite - vor allem in China, aber auch anderen asiatischen Ländern wie Indien und Japan - entsprechen neue Giganten auf den Weltagrarmärkten. Neben Brasilien als Kostenführer auf fast allen Gebieten der Agrarerzeugung sind auch die traditionellen Kornkammern am Schwarzen Meer wieder neu auf der Landkarte erschienen. Damit stellt sich auch für uns in Deutschland die Frage neu, wie wir in der zunehmend liberalisierten Agrarwelt in Zukunft mit der heimischen Landwirtschaft umgehen wollen. Setzt sich die Erkenntnis durch, dass wir aufgrund knapper Rohstoffversorgung und politischer Abhängigkeiten unsere Unabhängigkeit durch einen gewissen Grad an Selbstversorgung bei Nahrungsmitteln und Energie sichern wollen? Oder soll im zukünftigen Szenario Europa zum Garten der Erde werden, während wir unsere Nahrungs- und Energieversorgung auf dem Weltmarkt zu unsicheren und in diesem Fall laufend steigenden Preisen sichern - übrigens unter Produktions- und Umweltbedingungen, die hier nie und nimmer toleriert würden?

Wir können jedenfalls nicht beides zugleich haben: Global wettbewerbsfähige Landwirte und gleichzeitig ein Höchstmaß an Bürokratie, Kostenbelastungen und Umweltauflagen. Wenn wir wettbewerbsfähiger werden wollen, dann müssen züchterische und organisatorische Fortschritte konsequent umgesetzt werden, weil sie an unserem Hochertragsstandort den größten Nutzen bringen. Fortschritte in Praxis und Forschung sind der entscheidende Schlüssel zur Wohlstandssicherung - besonders im ländlichen Raum.

In den letzten Jahren hat die europäische Agrarpolitik zur Weiterentwicklung eines produktiven Agrarsektors erhebliche Beiträge geleistet. Die Gemeinsame Agrarpolitik ist deutlich besser als ihr Ruf. Im internationalen Vergleich haben wir in Europa viele internationale Vorgaben besser erfüllt als die wichtigsten Konkurrenten in Übersee, insbesondere die US-Amerikaner. Man denke hier nur an die Auflagen der „Green Box“. Reduzierung der Marktstützung und der Exportbeihilfen, Entkoppelung der Ausgleichszahlungen und eine verstärkte Marktöffnung, gerade auch gegenüber den ärmsten Ländern, sind WTO-konforme und global verantwortliche Positionen. Das können wir wesentlich offensiver als bisher vertreten.

Um diese Herausforderungen meistern zu können, brauchen unsere Betriebe eine unternehmerfreundliche und forschungsfördernde Agrarpolitik und nicht das Gegenteil. Bürokratieabbau, Wettbewerbsgleichheit auf dem Binnenmarkt, Strukturwandel und Kostensenkung sind Bausteine eines offensiven Agrarsektors.

„Märkte im Umbruch“ - das Thema stellt die Frage, mit welchen europäischen Produkten  wir Europäer auf den globalen Märkten wettbewerbsfähig sind, oder es zumindest werden können. Während die EU häufig auf die internationale Anklagebank gesetzt wird, weil wir angeblich unsere Landwirtschaft über Gebühr subventionieren, wird leicht übersehen, dass auch die EU von allerlei Handelsbeschränkungen betroffen ist. Denken wir nur an den letzten Boykott des Importes pflanzlicher Produkte durch die Russische Republik, die Importzölle der Ukraine für Saatgut, veterinärrechtliche Beschränkungen für Fleisch etc.

Für den einzelnen Betrieb geht es um eine individuelle Strategie, die eigenen Kernkompetenzen einzusetzen und auszubauen. Im Pflanzenbau haben wir - gerade hier in den strukturell entwickelten und mit besten Böden gesegneten Börde-Betrieben - sehr gute Ausgangsbedingungen, um global mitzuhalten. Auf dem hier üblichen hohen Intensitätsniveau werden in vielen Regionen Europas weltweit die höchsten Getreideerträge realisiert. Wichtigste Benchmark im internationalen Wettbewerb sind die Stückkosten je erzeugter Einheit Getreide, Zucker, Fleisch oder Milch. Stückkosten errechnen sich aus der Höhe der Erträge und dem Niveau der Aufwendungen. Dabei kommt man zu der überraschenden Feststellung - wie es Professor Isermeyer nachgewiesen hat -, dass man drei Tonnen Weizen in Dakota zu gleichen Stückkosten erzeugen kann wie acht Tonnen Weizen in der Magdeburger Börde. Damit ist auch schnell erklärt, dass der in Chicago aktuell notierte Preis für Brotweizen mit etwas über 100 Euro je Tonne etwa auf dem gleichen Niveau wie zur Zeit unser europäischer Preis liegt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der immer noch starke Euro unsere Wettbewerbsfähigkeit verringert. Kaum vorstellbar, wie schnell wir unsere Läger räumen könnten, wenn der Euro zum Dollar 1:1 stünde, wie es eigentlich der Kaufkraft entsprechen würde. So können wir feststellen, dass beim Brotweizen schon heute ein konkurrenzfähiges Produkt in Europa hergestellt werden kann. Ähnlich gut ist unsere Stellung beim Raps. Im Übrigen wird für die weiterhin weltweit stark wachsende Nachfrage nach Agrargütern die Produktion der globalen Kostenführer in Brasilien oder Neuseeland keinesfalls ausreichen, um diese steigende Nachfrage nach Fleisch, Getreide, Ölfrüchten und Milchprodukten alleine zu befriedigen.

Darüber hinaus sind wir auf den ungeregelten Märkten wie Schweinefleisch und Geflügel auch in Europa auf einem hohen produktionstechnischen und kostengünstigen Niveau. Die Nähe zu Häfen sorgt für eine günstige Eiweißversorgung, eine eigene Futtergrundlage für die Stärke im Futter, gut ausgerüstete Verarbeiter und ein kaufkräftiger Verbrauchermarkt vor der Haustür sind Erfolgsfaktoren für unsere Veredelung, die im letzten Jahr einen deutlichen positiven Impuls erhalten hat.

Die Milchproduktion befindet sich derzeit in einem fast als statisch zu bezeichnenden Ungleichgewicht. Niedrigen Milchpreisen stehen hohe Quotenkosten gegenüber. Es muss gelingen, das strukturelle Überangebot bei Milch zu beseitigen, damit die Preise ihre Lenkungsfunktion ausüben können. Dann wird es auch für Unternehmer in der Milchproduktion neue Chancen geben.

Die Wanderung zum besseren Standort und zum besseren Unternehmer verbessert die Wettbewerbsfähigkeit bei den Stückkosten, die für den Landwirt langfristig wichtiger sind als irgendeine neue Förderung, für deren Erhalt der Landwirt ein Kosten treibendes „Wohlverhalten“ an den Tag legen muss. Diese neue Art der Abhängigkeit vom Staat wird mit dem Modewort „Cross Compliance“ freundlich umschrieben.

Dem nun vorliegenden Entwurf zur Zuckermarktordnung kann man immerhin attestieren, dass er an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt. Im Gegensatz zur Milchreform kann es auf dem Zuckermarkt zu einer sehr schnellen und wünschenswerten Konzentration des zukünftigen Anbaus in den besten Regionen kommen.

Auf allen Agrarmärkten herrscht allerdings ein großer Unsicherheitsfaktor, wie zukünftig das europäische Agrarbudget ausgerichtet werden soll. Die aktuelle Diskussion über die Finanzierung des Agrarsektors muss dringend auf die richtigen Füße gestellt werden. Die sehr wirkungsvolle Polemik, dass 45 Prozent für alte Agrarstrukturen reserviert sind, während die Forschung fast ganz leer ausgeht, grenzt an Volksverdummung, weil dadurch vernebelt wird, dass nur Agrarpolitik EU-weit bestimmt und finanziert wird, während Forschung weiterhin Ländersache ist. Bei Betrachtung aller relevanten Haushalte sind es eben nur ein Prozent für die Landwirtschaft und - zum Glück - mindestens doppelt soviel für die Forschung.

Dennoch werden wir um die Diskussion nicht herumkommen, was eine autonome Versorgung bei Nahrung und Energie in unsicheren Zeiten dem Verbraucher wert sind, wenn er dabei gleichzeitig seine weitgehend intakte Kulturlandschaft behält. In dieser Diskussion haben wir viel bessere Karten als wir sie der Gesellschaft zeigen. Somit ist die Umstellung auf neue, globale Märkte durch eine wettbewerbsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft ein Kraftakt, der die Mühe lohnt.

Schließen möchte ich mit den Worten Max Eyths, der während der Vorbereitung einer DLG Ausstellung in Magdeburg bereits vor über 115 Jahren folgendes feststellte:

„Magdeburg, eine reiche, wunderbar aufblühende Stadt, trotz der Festung, die sie umklammert, steht fest auf landwirtschaftlichem Boden, und die Landwirtschaft der Umgebung mit ihrer Rübenkultur und ihren Zuckerfabriken hat einen so großzügigen, gewerblichen Charakter, dass an Stelle des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, zwischen Landwirtschaft und Industrie ein Zusammenarbeiten getreten ist, das wahrhaft herzerquickend wirkt. Warum kann es nicht überall ähnlich sein?“