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Kontinuität ist nur durch Wandel zu haben!

Agrarpolitik wird sich immer ändern und kann keine Garantien geben - DLG-Präsident Freiherr von dem Bussche auf den DLG-Unternehmertage 2004 in Mannheim

"Nur was sich ständig ändert und sich anpasst hat Chance auf Bewahrung, Kontinuität ist nur durch Wandel zu haben." Mit diesen Worten eröffnete der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft Philip Freiherr von dem Bussche die zehnten DLG-Unternehmertage in Mannheim. Genau diesem Gesetz unterliegt seiner Meinung nach auch die Agrarpolitik, die dafür aber nicht gescholten oder überfordert werden dürfe. "Sie wird sich immer ändern und kann keine Garantien geben", so der DLG-Präsident vor den 650 Teilnehmern aus ganz Deutschland. Schließlich gelte das in der übrigen Wirtschaft und Gesellschaft in mindestens dem gleichen Maße.

Kommissar Fischler habe in seiner Reform den Mitgliedsländern einen größeren Spielraum für die Umsetzung gelassen, als das früher üblich gewesen sei. "Ob es ihm dabei darum ging, auf kleinstem gemeinsamen Nenner überhaupt einen Konsens herzustellen, oder ob es vielleicht einen übergeordneten Trend gibt, in diesem rasant wachsenden Europa mehr regionale Spielräume zulassen zu müssen, um überhaupt die Bürgergesellschaft auf diesem politisch gewollten Einigungsprozess mitnehmen zu können, möchte ich einmal dahingestellt sein lassen", sagte Freiherr von dem Bussche. In der Konsequenz jedenfalls habe es in jedem Land mehr oder weniger Streit gegeben, wie die Reform umgesetzt werden soll. Die meisten Länder hätten sich für das Betriebsmodell entschieden und für teilweise längere Übergangszeiten bis zur vollständigen Entkopplung. "In Deutschland haben wir ein kombiniertes Flächenmodell bekommen, dessen starke Umverteilungswirkungen zeitlich nach hinten verlagert werden. Allerdings haben wir uns für eine kurzfristige Umsetzung der Entkoppelung entschieden", so der DLG-Präsident.

Entkopplung heißt konsequente Hinwendung zu den Kräften des Marktes


Im Zieljahr 2013 werde die einheitliche Flächenprämie eine klare Beziehung herstellen zwischen der Pflege der Kulturlandschaft und der dafür bestimmten Ausgleichszahlung. "Alle weiteren Einkommensbeiträge müssen sich die Landwirte selbst auf den unterschiedlichen Märkten organisieren", betonte Freiherr von dem Bussche. Für ihn liegen diese in der Nahrungsproduktion, in der Energieerzeugung, in der Landschaftspflege oder in neuen Dienstleistungen. "Über die Vor- und Nachteile könnten wir jetzt trefflich streiten, aber in meinen Augen ist die Wahl des Modells längst nicht so entscheidend wie die Grundausrichtung der Agrarreform." Kern des Modells sei nämlich die konsequente Entkoppelung der Ausgleichszahlungen. "Die Auswirkungen dieser Reform, die eher eine Revolution ist, werden wir erst in den nächsten Jahren wirklich ermessen können", so der DLG-Präsident. "Entkoppelung bedeutet eine konsequente Hinwendung zu den Kräften des Marktes, der als Weltmarkt, aber auch als lokaler Markt durch den Landwirt erschlossen werden muss."

Cross Compliance nicht unnötig aufbauschen


Die Ausgleichszahlung sei der Ausgleich für einen Nachhaltigkeits-Aufwand, der auch soziale und ökologische Verpflichtungen des europäischen Agrarmodells entlohne. Der DLG-Präsident sieht auch hierin eine Variante der Marktwirtschaft, denn einen Markt für intakte Kulturlandschaft und soziale Stabilität auf dem Land könne man nur durch staatliche Transfers sichern. Die Gewährung solcher Prämien werde legitimerweise an die Einhaltung von Umwelt- , Tierschutz- und Qualitätsstandards gebunden. Freiherr von dem Bussche warnte allerdings davor, diese Cross Compliance unnötig aufzubauschen und damit zu einem internen und externen Wettbewerbsnachteil unserer deutschen Landwirtschaft werden zu lassen. "Dies wäre volkswirtschaftlich unsinnig." Schließlich habe der technologische Fortschritt schon bisher die Umweltbilanz der Landwirtschaft verbessert, die Nahrungsausgaben der Verbraucher dramatisch gesenkt, die Qualität und Sicherheit unserer Lebensmittel deutlich erhöht und damit Wohlfahrtsgewinne der Gesellschaft gesichert.

Nahrungsmittelproduktion wird sich auf die besten Standorte konzentrieren


Wenn es in Europa nach den Fischler-Zielen zu mehr Markt kommen soll, so wird sich nach Auffassung von Freiherr von dem Bussche in Zukunft die Nahrungsproduktion auf die besten Standorte konzentrieren. Das sind in seinen Augen vermehrt die strukturell begünstigten Betriebe in Osteuropa für die Pflanzenproduktion und von der Tendenz her weiterhin die hafennahen Veredelungszentren für die Schweinefleischerzeugung. Die Zukunft für die Milchproduktion und die Rindermast sieht er künftig unter dem Druck des Wettbewerbes eher in den klimatisch begünstigten Grünlandgebieten.

Entkoppelte Agrarwelt: Flächendeckende Landwirtschaft nicht zu erhalten


Trotz all dieser Instrumente wird es seiner Meinung nach nicht gelingen, in der entkoppelten Agrarwelt die herkömmliche flächendeckende Landwirtschaft zu erhalten. "Ich finde das nicht unbedingt schlimm, denn diese flächendeckende Landwirtschaft war und ist gar nicht in erster Linie im Interesse der Landwirte, sondern der Gesellschaft, die sich damit bisher eine preiswerte Kulturlandschaftspflege erkauft hat", hob Freiherr von dem Bussche hervor. "Wenn durch die Entkoppelung der Landwirt in Zukunft gar nicht mehr gezwungen wird, unterhalb seiner Gestehungskosten zu produzieren, dann wird es eben zu einer stärkeren Differenzierung kommen." Der DLG-Präsident erwartet daher, dass neben den begünstigten "Agrarinseln" mit intensiver Produktion, Reservate und Extensivregionen treten, die eine klassische Bewirtschaftung nicht mehr lohnen. Auf Dauer werde es seiner Meinung nach zu teuer sein, jeden Hektar in Mittel- und Osteuropa mit hohem öffentlichen Aufwand in der Produktion zu halten. "Dadurch kommt es auch zur Transparenz der Kosten einer gesellschaftlich erwünschten Kulturlandschaftspflege, für die je nach Region ein mehr oder weniger hoher Aufwand betrieben werden muss."

Produktion wird sich stärker differenzieren

Die Produktion werde sich aber nicht nur wegen natürlicher Standortnachteile, sondern auch aufgrund höherer Kosten im internationalen Vergleich und zum Teil aufgrund überzogener bürokratischer Auflagen stärker differenzieren. In seinen Augen werden für die hiesige Landwirtschaft insbesondere die Märkte unter Druck geraten, bei denen die Produktionskosten teilweise doppelt so hoch sind wie bei den stärksten Konkurrenten. Das treffe, im Vergleich zu den niedrigen Stückkosten in Argentinien, Brasilien oder Neuseeland, zum Beispiel für Rindfleisch, Milch und Zucker zu. Allerdings sieht Freiherr von dem Bussche für die einheimische Milcherzeugung durchaus Vorteile, denn Milchprodukte seien zum großen Teil frische Produkte, die möglichst zeitnah und daher stärker regional erzeugt werden müssen. "Es ist kein Wunder, dass diese regulierten Märkte auch politisch am meisten unter Druck stehen, denn die Möglichkeiten von Außenschutz und Exportstützung nehmen aufgrund internationaler Verflechtungen laufend ab."

Milch: Strukturelles Überangebot


"Wie stark die Marktkräfte wirken können, ist den Erzeugern von Kartoffeln, Schweinefleisch und Eiern schon länger bekannt. Auch bei Getreide und Raps haben Preisschwankungen erheblich zugenommen. Auf diesen Märkten liegen unsere Produktionskosten in guten Strukturen nur um rund 20 Prozent über den stärksten globalen Konkurrenten. Unter Einbeziehung einer entkoppelten Prämie sind wir hier durchaus wettbewerbsfähig", erklärte der DLG-Präsident. Diese freieren Märkte würden großen Schwankungen unterliegen, die den Preisverlauf in beide Richtungen öffneten, je nach globaler und europäischer Versorgungslage nach oben oder nach unten. Auch auf dem Milchmarkt würden diese Kräfte wirken, aber bei einem strukturellen Überangebot von 20 Prozent sei klar, dass die Preise nur eine Tendenz kennen - nach unten. "So lange wir dieses Problem nicht lösen, können wir uns nicht an der Ladentheke von Aldi, Rewe und Lidl sanieren", so Freiherr von dem Bussche.

Zuckermarkt-Reform: Ausmaß und Zeitdruck nicht hinnehmbar


Eine ganz besondere Herausforderung stellten die jüngsten Vorschläge zur Reform der Zuckermarktordnung dar. Aufgrund der internationalen Handelsvereinbarungen wird es, da ist sich der DLG-Präsident sicher, zu Änderungen des Systems kommen. Für ihn sind allerdings Ausmaß und Zeitdruck in Bezug auf die vorliegenden Entwürfe keinesfalls hinnehmbar.

Neue Chance für regionale Spezialitäten

Neben diesen Rohstoffmärkten, die zunehmend durch Angebot und Nachfrage auf freien Märkten mit internationaler Konkurrenz geregelt werden, sieht der DLG-Präsident neue Chancen für regionale Spezialitäten. Das könnten der Ökomarkt sein, die regionale Energieerzeugung oder neue Dienstleistungen im ländlichen Raum. Mit den Instrumenten der zweiten Säule der Agrarpolitik werde darüber hinaus der Weg bereitet, um Strukturbrüche abzufedern, gesellschaftlich gewünschte Funktionen der Landwirtschaft sicherzustellen und die Entstehung neuer Märkte zu fördern.

Eine Regionalstrategie werde, so Freiherr von dem Bussche, auf spezielle Haltungs- und Anbauverfahren, auf spezielle Zuchtprogramme und auf besondere Vermarktungswege abzielen. Ein größerer Teil der Wertschöpfung bestehe darin, dass der Landwirt nah am Verbraucher arbeitet und dabei objektiven und vor allem subjektiven Kundennutzen generiert. Im Idealfall liege "Technologiebesitz" und "Kundenbesitz" in einer Hand. Der DLG-Präsident hält es durchaus für möglich, dass dieser Landwirt nicht nur Lebensmittel produziert, sondern auch Landschaftspflege betreibt, Energie erzeugt oder mit Tourismus sein Geld verdient. "Je mehr der Landwirt mit seinem Produkt und mit seiner Person zur unverwechselbaren regionalen Marke wird, desto größer sind seine Chancen zur Wertschöpfung", betonte Freiherr von dem Bussche. Es sei nämlich kennzeichnend für die Märkte, dass dem großen Megatrend - in diesem Fall der Globalisierung - ein deutlicher Gegentrend - in diesem Fall die Rückkehr der regionalen Identität - entspreche. "Oft kann man übrigens mit dem Gegentrend besser Geld verdienen."

Entkoppelte Agrarwelt auch eine Chance für unternehmerische Landwirte


Ein weiterer starker Trend wird sich nach Ansicht von Freiherr von dem Bussche in stärker schwankenden Märkten abzeichnen. "Dass die Märkte flüchtiger werden, haben wir in den letzten zwei Jahren deutlich gesehen. Durch die schlechten Getreideernten im letzten Jahr stiegen die Preise um 40 Prozent, durch die guten Ernten in diesem Jahr fielen die Preise wieder in ähnlichem Umfang." Aufgrund der Entkoppelung und einer jährlich neuen Anbauentscheidung, die nicht zum Verlust von Prämien führe, könne der Landwirt stärker als bisher am Markt agieren. Der DLG-Präsident sieht in Vorauskontrakten, Börsenabsicherungen und eigener Abschätzung der Trends Instrumente, mit denen sich in manchen Jahren neue Einkommenschancen - natürlich verbunden mit steigenden Risiken - ergeben. "Man kann also in Zukunft nicht nur temporär einen Schweine-Maststall leer stehen lassen, wenn man keine Kostendeckung erwartet, sondern auch Teile seiner Flächen für ein Jahr aus der Produktion nehmen oder für eine andere Verwertung nutzen." So gesehen sieht der DLG-Präsident die entkoppelte Agrarwelt auch als eine Chance für unternehmerische Landwirte.