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Der Landwirt ist jetzt als Unternehmer und Persönlichkeit gefragt

Der gute Stratege frisst den Plan- und Ziellosen - Nicht vom Alltagsfrust unterkriegen lassen

Dr. Harald Isermeyer, Eickhorst, Vorsitzender des Fachbereichs Landwirtschaft (in Vertretung für Philip Freiherr von dem Bussche, Präsident der DLG)

"Ob Wetter, Märkte oder Agrarreform, es gibt genug Anlässe, um darüber nachzudenken, wie das eigene Unternehmen für die nächsten 10 bis 15 Jahre auszurichten ist. In jedem Fall ist der Landwirt als Unternehmer und Persönlichkeit in seiner Leistungs- und Kommunikationsfähigkeit gefordert, wenn es darum geht, das Unternehmen zukunftsfähig zu gestalten, den Risiken zu begegnen und es den jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen." Dies erklärte Dr. Harald Isermeyer, Vorsitzender des Fachbereiches Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), anlässlich seiner Begrüßungsansprache zu den DLG-Unternehmertagen am 2. September 2003 in Kassel. Wir wissen gerade auch aus jüngsten Erfahrungen, dass dabei nicht der Grosse den Kleinen, sondern der Schnelle den Langsamen, der Informierte den Nicht-Informierten und der gute Stratege den Plan- und Ziellosen frisst", betonte der niedersächsische Landwirt.

In den Augen von Dr. Isermeyer kommt es in der gegenwärtigen schwierigen Situation darauf an, den Blick nach vorne zu richten und sich nicht von dem Frust des Alltages unterkriegen zu lassen. Dieser Wüstensommer habe den Landwirten einmal mehr gezeigt, welch großes unternehmerisches Risiko sie zu tragen haben. "Das Politikrisiko kennen wir ja schon seit langem, und das Marktrisiko lernen wir immer besser kennen. Das Produktionsrisiko jedoch, die Abhängigkeit von der Natur, die in der Landwirtschaft eigentlich seit Jahrtausenden bekannt ist, haben wir durch den Glauben an die vermeintliche technische Machbarkeit immer mehr ausgeblendet," hob der DLG-Vorsitzende hervor. Extremjahre wie dieses und auch das vergangene sind nach Ansicht von Dr. Isermeyer besonders für die jüngeren Landwirte kaum vorstellbar gewesen und stellten in einigen Regionen zweifellos einen bösen Alptraum dar. "Wir können nur hoffen, dass die Probleme, die in einigen Regionen durch die verheerend schlechte Grundfutter- und Getreideernte sowie durch die angespannte Liquiditätslage entstanden sind, durch kluge unternehmerische Entscheidungen und im einen oder anderen Fall durch gezielte Hilfen gelindert werden können", sagte Dr. Isermeyer.

Dr. Isermeyer führte weiterhin unter anderem Folgendes aus:

Wir selbständigen Landwirte werden für das Gros des Schadens selber aufkommen müssen. Im Übrigen hat die Dürre große Teile der Welt betroffen und dafür gesorgt, dass eine fast schon vergessen geglaubte Preisbefestigung auf den Getreidemärkten eingesetzt hat. Die gehandelten Preise liegen deutlich über dem Vorjahr und tragen letzten Endes in vielen Regionen und Betrieben zur Schadensbegrenzung bei. Trotzdem bleibt die Lage nicht zuletzt auch wegen der geringen Fleisch- und Milchpreise derzeit eher angespannt und hat dazu geführt, dass die Stimmungslage in der Landwirtschaft im Moment eher schlecht ist.



Agrarpolitik: Tiefdruckgebiet hat Europa fest im Griff


Was erschwerend und genauso schlecht planbar wie die Witterung hinzukommt, ist die politische Wetterlage. Hier hat ein Tiefdruckgebiet Europa fest im Griff. Dabei sind die Probleme gar nicht neu: Die Öffnung der Märkte und der Abbau der finanziellen Zuwendungen stehen ja seit langem auf der Tagesordnung, und wir wären schlechte Unternehmer, wenn wir nicht schon lange begonnen hätten, uns darauf einzustellen und dafür Vorsorge zu treffen. Die politischen Diskussionen und Beschlüsse jedoch, mit denen das Unabwendbare umgesetzt werden soll, geben uns allerdings mehr Rätsel auf, als dass sie zur längerfristigen Orientierung beitragen. Hier ist die Agrarpolitik in bester Gesellschaft mit den Debatten um die Renten- und Gesundheitspolitik: Viele reden mit, kaum einer ist sachkundig, und dringend benötigte Entscheidungen werden vertagt. Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, die den Vorsatz "gemeinsam" jetzt eigentlich wieder ablegen müsste, ist denkwürdig ausgefallen. Sie stellt wie sooft lediglich einen Minimalkonsens dar, lässt weitschweifende Interpretationen zu, ist in ihren Auswirkungen nur schwer zu verstehen, und der Gedanke an die Umsetzung erfüllt einen heute schon mit Grauen. Die Gefahr ist sehr groß, dass es nationale, ja sogar regionale Alleingänge geben wird, durch die es dann zu deutlichen Wettbewerbsverzerrungen kommen wird. Zudem wird der Verwaltungsaufwand je nach Ausgestaltung der Reform wohl eher zu- statt abnehmen.



Mit Alleingängen und hohem Verwaltungsaufwand ist keinem Landwirt gedient


Planungssicherheit hinsichtlich der einzelbetrieblichen Konsequenzen durch die Reform wird es für uns Landwirte erst geben, wenn sich die Bundes- und Länderparlamente dazu durchgerungen haben, die Beschlüsse der EU in nationales Recht umzusetzen und dies dann wiederum der kritischen Kontrolle durch die EU Bürokratie standhält. Bei den wenig konkreten Vorgaben sind handwerkliche Fehler vorprogrammiert, und es wird dauern bis der einzelne Landwirt wirklich weiß, woran er ist. Lassen sie uns von hier aus die unmissverständliche Botschaft nach Berlin und in die Hauptstädte der Bundesländer schicken: Mit nationalen und regionalen Alleingängen und einem Anstieg an Verwaltungsaufwand ist keinem Landwirt gedient. Die daraus entstehenden Nachteile hätten längerfristig weitaus schlimmere Folgen, als das diesjährige Wetter.



Einfache Regelungen benötigt


Ich hoffe, dass die politischen Entscheidungsträger, getrieben von deutscher Gründlichkeit, übertriebenem Fürsorgestreben und politischer Profilierungssucht, nicht zuviel Eifer in die Ausgestaltung der neuen Politik stecken, so dass am Ende ein praxisfernes Konstrukt entsteht, das wegen seiner Detail-, Ausnahme- und Regelungskonfusion keiner mehr versteht. Mit der GAP Reform müssen einfache Regelungen her, die Bürokratie abbauen, mehr Markt erlauben und den Produzenten stärken. Und was auch wichtig ist: Man sollte unbedingt alles daran setzen, innerhalb Deutschlands sowieso, aber besser noch innerhalb Europas, für jeden Produktionszweig tendenziell einheitliche Lösungen zu schaffen. Das ist wichtig für den Erhalt und die Stärkung der Wettbewerbskraft, darum geht es, und dem sollten sich alle Bestrebungen unterordnen.



Die Märkte gleichen vieles aus

Natürlich geht es insgesamt gesehen, aber auch für jeden einzelnen, um viel Geld. Wir haben aber aus der 92er Reform und der Agenda 2000 gelernt: Schon mittelfristig ist es nicht mehr von so wesentlicher Bedeutung, in welcher Höhe genau und wohin die EU-Mittel fließen. Die Märkte gleichen vieles aus! Den Bullenmästern beispielsweise ist es durch die immer höheren Tierprämien nicht besser gegangen als vorher. Stiegen die Prämien und somit die Renditeerwartungen, so haben die Jungviehmärkte diesen Vorteil in kürzester Zeit absorbiert. Und auch die vermeintliche Überkompensation der Ackerbauern hat sukzessive zu Reaktionen auf den Pachtmärkten geführt. Auch die Einkommenssteuer sorgt dafür, dass einmal verteilte Steuermittel zu einem nicht unerheblichen Teil immer wieder beim Absender ankommen.

Es ist jetzt dringend erforderlich, den Blick auf die nächsten 10 bis 15 Jahre zu richten. Besonders gilt dies, wenn man folgende zukünftige Entwicklungen beobachtet, die weitreichende Entscheidungen in den Betrieben nach sich ziehen werden:



Offene Märkte führen zu mehr Wettbewerb

Die Öffnung der Märkte für Agrarprodukte schreitet unaufhaltsam voran. Was mit der Reform vor 11 Jahren bei den "grandes cultures" begonnen wurde, sich mit der Agenda 2000 und der Erweiterung der EU fortsetzte, soll mit der jüngst beschlossenen Reform und der anstehenden WTO-Runde konsequent weitergeführt werden. Der Abbau des Interventionssystems und der Abbau der Zollschranken werden damit weiter fortgesetzt. Die Milch und am Ende vermutlich auch der Zuckermarkt werden wohl die Hauptbetroffenen der Veränderungen in der Zukunft sein. Es wird wohl so kommen, dass über kurz oder lang alle wesentlichen Agrarprodukte weitgehend grenzen- und schrankenlos gehandelt werden. Das bedeutet, dass wir Landwirte in Deutschland auch im Wettbewerb mit den Produzenten in der ganzen Welt stehen. Zwangsläufig müssen wir uns nicht mehr nur am Nachbarn ausrichten, sondern die kostengünstigsten Produzenten in der Welt werden die Messlatte auflegen, an der wir unsere Tüchtigkeit und unsere Betriebsstrategie in Zukunft messen sollten. Zu dieser entwaffnend nüchternen Sichtweise wird auch die Entkopplung der Prämien beitragen.



Kostenführerschaft, Regionalstrategie oder Ausscheiden aus der aktiven Bewirtschaftung


Geldzahlungen unabhängig von der Produktion werden verstärkt dazu beitragen, dass das in vielen Betrieben verbreitete "weiter so" von einer nüchternen Bilanz und einer realistischen Einschätzung über die Risiken und Chancen für die Zukunft abgelöst wird. Dabei werden wohl die meisten Betriebe zwischen den Strategiealternativen "Ausscheiden aus der aktiven Bewirtschaftung" oder "Hin zur Kostenführerschaft" zu wählen haben. Beide Wege können sinnvoll und der jeweiligen Situation angemessen sein. Beide werden in jedem Fall dazu führen, dass der Betrieb sich erheblich verändern wird. Das viel strapazierte Bild vom freien Bauern auf freier Scholle wird dabei dann wohl endgültig auf der Strecke bleiben. Kooperationen in vielfältigster Form, strategische Allianzen in Produktion und auf den Märkten werden wesentliche Merkmale der Kostenführer sein. Die dritte, die Regionalstrategie, beinhaltet das Erschließen lokaler Märkte. Sie ist wohl nur für wenige Betriebe eine ernsthafte Alternative. Sie stellt eine besondere Herausforderung an das Engagement der gesamten Unternehmerfamilie dar und bietet, wenn das Umfeld passt, in dem einen oder anderen Fall immer wieder beeindruckende Möglichkeiten der Betriebsentwicklung.



Moderne Technologien sind Kernbestandteil einer Strategie für die Zukunft


Der Technische Fortschritt wird ein weiterer wesentlicher Einflussfaktor für unsere Zukunftsstrategie bleiben. Innovationen werden täglich weltweit geboren, und sie werden jetzt und in Zukunft unaufhaltsam auf der Tagesordnung stehen. Man hat den Eindruck, dass sie sich eher beschleunigen als verlangsamen. Egal wie wir in Deutschland dazu stehen, ob wir von Zukunftspessimisten regiert werden oder selber welche sind, moderne Technologien werden Kernbestandteil einer Strategie für die Zukunft sein. Oder anders gesagt: Wer moderne Technik ausschließt, versündigt sich an der Nachhaltigkeit der Landwirtschaft hierzulande. Max Eyth hat es einmal vortrefflich beschrieben. Er sagte: "Es ist gefährlich, eine Erscheinung der Technik zu verurteilen, weil sie uns zu teuer oder zu kompliziert erscheint. Nur wenige Jahre bringen die unglaublichsten Verschiebungen des Urteils und der Tatsachen hervor, die kein Mensch voraussehen kann". Eyth hat es schon damals erkannt: Visionen sind Strategien des Handelns. Das unterscheidet sie von Utopien. Wir als Unternehmer müssen wissen, wohin die Reise des Sektors und unseres Betriebes geht. Moderne Technologien werden uns helfen, dem Ziel der kostengünstigen Produktion näher zu kommen und stellen somit auch eine unabdingbare Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit dar.



Wir müssen zeigen, dass wir etwas anzubieten haben


Egal welche Strategie wir wählen, der landwirtschaftliche Betrieb der Zukunft wird sich immer weiter von der kulturhistorischen Manufaktur von vor 100 Jahren entfernen. Wir müssen dies immer wieder auch unseren Kunden, unseren Nachbarn und auch den Politikern klar machen. Denn nur wenn wir benennen, was wir tun, sind wir glaubwürdig. Mit Bildern aus der Vergangenheit machen wir uns und anderen etwas vor, und wir versäumen dabei auch, uns als modern, zeitgemäß, verantwortungsvoll und auf gleicher Augenhöhe zu präsentieren. Technische Fortschritte werden uns auch helfen, den Anforderungen der Gesellschaft besser als je zuvor begegnen zu können. Sei es das Bestreben die Tierhaltung noch tiergerechter zu gestalten oder der Wunsch, weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Moderne Technologien schaffen auch hier die Voraussetzungen. Neue Haltungsverfahren und Hygienekonzepte beispielsweise in der Schweinehaltung oder der Anbau neuer auch gentechnisch veränderter Sorten auf dem Acker werden uns hier dem Ziel näher bringen. Wir müssen nur offen darüber reden und zeigen, dass wir etwas anzubieten haben.



Die Kunden bestimmen über unseren Umsatz


Den wesentlichsten Einfluss auf unsere zukünftigen Strategien wird allerdings der Kunde haben, der unsere Produkte kauft. Die Kunden entscheiden letztlich über das, was wir produzieren und darüber, wie viel Umsatz wir machen. Die Interventionsstelle hat jedenfalls als liebster Kunde früher oder später ausgedient. Deshalb ist die Frage, wie und wie schnell wir Kundenwünsche und ihre Änderungen aufnehmen und ihnen begegnen werden, von herausragender Bedeutung für den Erfolg jedweder Unternehmensstrategie. Die Kundenwünsche werden sich auch in den nächsten 20 Jahren weiter verändern. Dabei werden die Bedürfnisse der Menschen nach gesundheitsrelevanten Merkmalen in der Ernährung weiter zunehmen. Moderne biotechnische Verfahren werden neue Wirkzusammenhänge erkennen. Dadurch kann die Ernährung in einer neuen Optimalkombination zwischen pflanzlichen und tierischen Komponenten einen völlig neuen Stellenwert erhalten. Neben Sättigung und Genuss kommt sozusagen eine medizinische Komponente hinzu. Wir wissen, dass wir dem Verbraucher meist nur mittelbar begegnen, und dass wir stattdessen immer mehr eingebunden sein werden in Wertschöpfungsketten, die das Ziel haben, qualitativ hochwertige, sichere Produkte, jederzeit und möglichst an jedem Ort verfügbar anbieten zu können und das, so wollen es die Kunden, so billig wie möglich. Auch deshalb sind die Effektivität und die Schnelligkeit der Kette zentrale strategische Momente für den Erfolg am Markt. Nur gemeinsam sind wir stark, d.h. es ist höchst wichtig, mit wem wir uns zusammentun und wie wir gegenseitig aufeinander Einfluss nehmen, um auf dem Weg zur Ladentheke gut und effizient zu sein. Hierbei machen uns derzeit andere noch etwas vor. Ich denke da besonders auch an den dänischen Fleisch- und Milchsektor, der aus einer Mischung von Innovation, Integration und internationaler Kundenorientierung offenbar eine Strategie entwickelt hat, mit der er höchst erfolgreich und zum Nutzen aller Beteiligter derzeit anderen den Rang abläuft.



Größe ist nicht alles

Wir tun also gut daran, nicht nur bei uns selbst, sondern auch bei unseren vor- und nachgelagerten Partnern - vorzugsweise dann, wenn sie uns auch noch selbst gehören - darauf zu achten, dass notwendige Strukturveränderungen und Rationalisierungen zügig voranschreiten. Dabei ist Größe nicht alles, wichtiger erscheint mir hier, ähnlich wie in unseren landwirtschaftlichen Betrieben auch, das Umdenken und das Umsteuern hin zu mehr Flexibilität und Kundenorientierung. Hier muss das Rad dann auch nicht neu erfunden werden. Der Blick über den Tellerrand und hin und wieder eine Frischzellenkur aus Quellen der übrigen Wirtschaft können oft schon Wunder wirken.