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Land- und Ernährungswirtschaft - Mit Selbsthilfe für Qualität und Sicherheit sorgen

Eröffnungsrede von Präsident Philip Freiherr von dem Bussche


"Die Land- und Ernährungswirtschaft wird ihre Lehren aus dem Geschehenen um BSE und MKS ziehen und die gesellschaftlichen Forderungen nach Qualität, Sicherheit, Transparenz, Tier- und Umweltgerechtheit stärker als bisher in die betrieblichen Produktionsprozesse integrieren. Der Staat muss allerdings die notwendigen Rahmenbedingungen hierfür setzen. Innerhalb dieses Rahmens muss die Land- und Ernährungswirtschaft Selbsthilfe üben, um den Herausforderungen der Verbraucher in punkto Qualität und Sicherheit der Nahrungsmittel entsprechen zu können.
Der Landwirt sollte sich hierbei tunlichst auf das reale Marktgeschehen und nicht auf das idealisierte Bild eines spendierfreudigen Verbrauchers einstellen, der jederzeit einen fairen Preis für ökologisch erzeugte Lebensmittel zahlen wird. Es entspricht schließlich einem völlig normalen Käuferverhalten, eine möglichst hochwertige Ware zum niedrigsten Preis erwerben zu wollen." Mit diesen Worten eröffnete der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) Philip Freiherr von dem Bussche die DLG-Unternehmertage 2001.

Nach Auffassung des DLG-Präsidenten muss die Wirtschaft selbst entscheiden, wie im einzelnen die Forderungen nach Qualität, Sicherheit und Transparenz realisiert werden. "Beispiele zeigen sehr deutlich, dass diese Aufgabe von der Land- und Ernährungswirtschaft erfolgreicher, marktorientierter und effizienter bewältigt werden kann als vom Staat," betonte Freiherr von dem Bussche.

Für einen falschen Lösungsansatz hält es der DLG-Präsident, den ökologischen Landbau als neues Leitbild der Landwirtschaft auszurufen. "Ein gut bekanntes Nischensystem ohne genaue wissenschaftliche Analyse einfach zum zukünftigen Standardsystem entwickeln zu wollen und als Leitbild auszurufen, ist unseriös und wirtschaftlich gefährlich". Die Landwirtschaft sei ein Wirtschaftszweig mit Hunderttausenden von Unternehmen und einer intensiven Verzahnung mit der vor- und nachgelagerten Wirtschaft im ländlichen Raum. Den könne man nicht drehen und wenden wie ein Zirkuspferd, weil es dem Dompteur gerade einmal so gefällt.


Keine alten Gräben aufreißen


Die Gefahr eines einseitigen politischen Leitbildes liegt darin, dass zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ein technik- und innovationsfeindlicher Affekt gegen die moderne Landwirtschaft entsteht. Ohne jede Begründung wurden BSE und MKS den sogenannten Agrarfabriken in die Schuhe geschoben und diesem Zerrbild die neue Idylle des Ökobauern entgegengestellt, der stellvertretend für die technisierte und entwurzelte Gesellschaft nach alter Väter Sitte das Land bearbeitet, die Tiere schützt und somit die Moral auf dem Land wieder herstellt. Besonders fatal an diesem neuen Leitbild ist die Tendenz, alte Gräben aufzureißen, die wir in der DLG seit vielen Jahren zugeschüttet haben. Zwischen der innovationsoffenen integrierten Landwirtschaft und den Sonderformen des ökologischen Landbaus gibt es viele fachliche Berührungspunkte, die sich weit über das Niveau der neu angezettelten politischen Kontroverse bewegt haben.

 

Ökologischer Landbau ist etwas für Unternehmer


Es ist ausgesprochen begrüßenswert, dass der ökologische Landbau ausgebaut wird und Marktanteile gewinnt. Denn die Erhöhung der Wertschöpfung eines einzelnen Landwirtes erhöht die Wertschöpfung unseres gesamten Sektors. Zudem ist der ökologische Landbau bisher stark am Markt orientiert, entspricht dem Zeitgeist und ist damit eine ausgezeichnete Perspektive für unternehmerische Landwirte. Gerade in Kreisen der fortschrittlichen ökologisch wirtschaftenden Unternehmer ist das Misstrauen gegenüber massiven staatlichen Eingriffen in einen funktionierenden Markt, verbunden mit wettbewerbsverzerrenden Subventionen, besonders ausgeprägt. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Wirkungen staatlicher Eingriffe in die Märkte bietet zur Zeit der Rindfleischmarkt: Der "Erfolg der Agrarwende" besteht in erhöhten Verbraucherpreisen bei gleichzeitig stark gesunkenen Erlösen für die Erzeuger. Der Glaube an eine Lenkungsfunktion des Staates zugunsten eines fairen Interessenausgleiches zwischen Landwirten und Verbrauchern ist gefährlich: Wer einer solchen Illusion folgt, wird Marktanteile verlieren und damit Arbeitsplätze im ländlichen Raum gefährden.


Einseitige Förderung des Ökolandbaus führt am Markt vorbei


Es fehlt ja auch jede wissenschaftliche Begründung für die Meinung, dass gesunde, sichere, qualitativ hochwertige Lebensmittel nur von ökologisch wirtschaftenden Betrieben erzeugt werden können. Der moderne, integriert nach den Grundsätzen guter fachlicher Praxis arbeitende Betrieb hat weder ein Qualitäts- noch ein Sicherheitsproblem. Der Verbraucher spricht sich in Befragungen zwar für Ökoprodukte aus, aber er ist in der Mehrzahl nicht bereit, hierfür einen höheren Preis zu bezahlen. Der Anteil der Nahrungsmittel am Haushaltsbudget ist bisher laufend gesunken, das heißt, dass die Landwirtschaft einen Großteil ihrer Rationalisierungsvorteile an den Verbraucher weitergegeben hat, wie übrigens auch die übrige Wirtschaft. Woher nimmt man eigentlich den Mut oder gar die Überzeugung, diesen Trend als politisch umkehrbar zu kommunizieren? Neben der Maximierung von Wählerstimmen besteht schließlich auch noch eine Fürsorgepflicht für die Wirtschaft. Daher halte ich die einseitige Förderung des Ökolandbaus für bedenklich. Sie führt am Markt vorbei. Der zunehmende Preisdruck bringt die bisher erfolgreichen, wirklich marktorientierten Biolandwirte in eine Abhängigkeit des Staates.


Mehr Verbraucherorientierung und weniger Subventionen nur mit technischen und wissenschaftlichen Fortschritten


Die gegenwärtige Chance, ihre Marktanteile auszubauen, steht für die Ökobetriebe gut. Diese sollten sie nutzen indem sie ihre Betriebsabläufe, das Marketing und ihren Vertrieb optimieren! Integriert wirtschaftende und ökologische Betriebe müssen sich beide an die Marktgegebenheiten anpassen und nebeneinander gedeihen. Der Markt muss auch für beide gleichermaßen da sein. In der Öffentlichkeit stößt man immer wieder auf das Argument, dass die landwirtschaftlichen Betriebe unserer Großväter gesünder, tier- und umweltgerechter produziert haben. Dies ist eine Illusion. Und es ist gefährlich, Illusionen zu folgen. Denn meistens bedeutet dies, Marktanteile an Konkurrenten zu verlieren. Um die Primärziele der neuen Agrarpolitik - nämlich mehr Verbraucherorientierung und weniger Subventionen - im heutigen Wettbewerbsumfeld erreichen zu können, werden wir konsequent technische und wissenschaftliche Fortschritte in der Praxis nutzen müssen. Das kostet viel Kapital, das wir unter anderem auch zum Wohle des Tier- und Umweltschutzes bereitstellen müssen.

 

Fachwissen anstelle Populismus


Gerade die modernen Betriebsmittel von heute unterliegen wie nie zuvor strengen Umwelt- und Gesundheitsauflagen sowie einer sehr aufwendigen Zulassungsprüfung. Damit wird gewährleistet, dass die modernen Produktionsweisen umwelt- und tiergerechter sind als die alten Verfahren. Hierzu haben auch die staatliche Forschung und die entsprechenden Kontrollbehörden maßgeblich beigetragen. Moderne Ställe und artgerechtere Tierhaltungssysteme wie Laufstall, Gruppenhaltung von Sauen oder Kleingruppenhaltung von Hühnern führen zu einer besseren Umwelt für die Tiere, einer besseren Tiergesundheit, zu mehr Hygiene und somit zu mehr Qualität und Sicherheit der Nahrungsmittel. Ich denke zum Beispiel an die Milchviehherde im offenen Laufstall mit selbstbestimmter Melkzeit am Roboter und hoher Milchqualität anstelle des früher üblichen Anbindestalls. Wer heute einen Vollspaltenboden für Mastschweine gegen einen Teilspaltenboden tauschen will, wie er früher üblich war, kann eigentlich noch nie in einem solchen Stall gearbeitet haben. Die Umweltbedingungen für Mensch und Tier sind dort eindeutig schlechter. Das wäre doch eine traurige Lehre aus BSE und MKS, wenn man das Urteil der Fachleute gegen den Populismus selbsternannter Experten tauschen würde.


Einsatz moderner Technik erforderlich


Auch im Pflanzenbau haben in den letzten Jahren neue Technologien, wie Präzisionsackerbau, EDV-gestützter Betriebsmitteleinsatz, resistente und tolerante Sorten, neu entwickelte Pflanzenschutzmittel und bodenschonende Landmaschinen, dazu geführt, die Produktion umweltschonender zu gestalten. Die innovativ arbeitende Landwirtschaft ist mit dem Einsatz moderner Technik in der Lage, genauso umweltschonend zu produzieren wie ökologisch und extensiv wirtschaftende Betriebe, mitunter sogar umweltfreundlicher. So lässt sich beispielweise beim ökologischen Landbau der organische Dünger wesentlich schwerer zielgerichtet und am tatsächlichen Nährstoffbedarf der Pflanze orientiert ausbringen als der Mineraldünger im Präzisionsackerbau des integriert wirtschaftenden Betriebes. Oder die Kontrolle der gefährlichen Fusarien, die mit Hilfe der Chemie wenigstens teilweise gelingt. In diesem Sinne ist angewandter Pflanzenschutz auch gezielter Verbraucherschutz.


Sicherheits-Standards wie in der Industrie


Die Forderungen der Gesellschaft nach Produktsicherheit, Transparenz, nach tier- und umweltgerechter Produktion hat also wenig mit einem bestimmten Bewirtschaftungssystem zu tun. Vielmehr brauchen wir für deren Umsetzung professionelle und verantwortungsvolle Unternehmer in Landwirtschaft, Industrie und Handwerk, die sich gemeinsam in Qualitätsgemeinschaften organisieren und konsequent technische und wissenschaftliche Innovationen einsetzen. Dazu bedarf es eines erheblichen Kapitaleinsatzes und einer ausreichenden kritischen Masse. Damit bekommen wir als sichtbarste Konsequenzen der sogenannten Agrarwende die Einführung industrieller Sicherheitsstandards in die Lebensmittelerzeugung und einen dramatischen Strukturwandel. Das ist an sich weder neu noch überraschend, denn in den letzten Jahren wurde gerade auch den mittelständisch geprägten Familienbetrieben immer wieder gepredigt, sich mit neuen Technologien, dem wirtschaftlichen Einsatz von Produktionsmitteln und mit ausreichendem Wachstum für den zunehmend globalen Wettbewerb zu rüsten und wettbewerbsfähig zu machen. Neu ist eher, dass Anspruch und Wirklichkeit des politischen Leitbildes so weit auseinander klaffen.


Investitionsstau aufgrund fehlender Planungssicherheit


Vor dem Hintergrund, dass der Großteil der agrarpolitischen Entscheidungen bereits heute in Brüssel getroffen wird, werden uns die Begriffe "Wettbewerbsfähigkeit" und "Strukturwandel" auch weiterhin treue Begleiter der deutschen Landwirtschaft sein! Insbesondere werden unsere Marktchancen davon abhängen, dass wir auf dem gemeinsamen Binnenmarkt auch zu gemeinsamen europäischen Standards in Richtung Umweltschutz und Tierschutz kommen. Nationale Alleingänge, wie wir sie zur Zeit in Deutschland erleben, haben in einem offenen Binnenmarkt sehr negative Konsequenzen. Das Vorpreschen einiger Bundesländer mit zum Teil drastischen Erlassen zum Tierschutz haben dazu geführt, dass es trotz guter wirtschaftlicher Lage der Betriebe zu einem Investitionsstau gekommen ist. Vielerorts herrscht schon heute in der Baubranche ein absolutes "stand still"! Aufgrund fehlender Planungssicherheit scheuen viele wachstumsfähige Betriebe den nächsten Investitionsschritt. Viele verunsicherte Hofnachfolger wenden der Veredelungswirtschaft ganz den Rücken zu. So darf das nicht weitergehen. Wir müssen doch eines zur Kenntnis nehmen: Tierhaltung ist mobil. Überzogene Tierschutzauflagen auf Bundes- oder Länderebene entziehen in einem offenen europäischen Binnenmarkt der deutschen Landwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit und somit vielen Betrieben die Existenzfähigkeit. Die zu befürchtende Verlagerung der Tierhaltung in das europäische Ausland oder in Drittländer mit deutlich geringeren Tierschutzstandards ist für die Tiergerechtheit wenig förderlich. Zudem liegt die Produktion dann außerhalb unserer Kontrollen.


Europäische Standards nützen allen


Ein gemeinsamer europäischer Standard auf wissenschaftlicher Grundlage nützt dem Verbraucher, dem Landwirt, den Arbeitnehmern sowie den Tieren und der Umwelt. Diese Mindeststandards können dann individuell und durch eine überzeugende Markenführung für ein bestimmtes Marktsegment übertroffen werden. Ganz im Sinne unserer Tagung wäre damit der Qualität und Sicherheit der Nahrung ebenso gedient wie der Prosperität im ländlichen Raum.


Qualitätsoffensive und bessere Kommunikation


In der DLG ist es immer unser Ziel, dem einzelnen Betrieb Orientierung zu geben, wie er die vorhandenen Rahmenbedingungen für seine betriebliche Entwicklung nutzen kann. Ohne Zweifel liegen in einer Qualitätsoffensive und einer besseren Kommunikation zum Verbraucher auch Chancen in der veränderten Großwetterlage. Auf die Rahmenbedingungen, unter denen wir zukünftig in Deutschland und Europa wirtschaften müssen, haben wir wenig Einfluss. Aber wir haben auf einzelbetrieblicher Ebene die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, welche Maßnahmen wir ergreifen, um die Forderungen der Verbraucher stärker in den Produktionsprozess zu integrieren. Für uns Landwirte kommt es in Zukunft darauf an, mit der Qualität unserer Produkte und der Transparenz unserer Prozesse die Akzeptanz der Verbraucher zu finden. Landwirtschaft heute muss wieder stärker in die Mitte der Gesellschaft rücken, die für uns direkt am Markt für Lebensmittel erfahrbar wird. Wir brauchen dazu starke Partner im Verbund der Agrar- und Ernährungswirtschaft und eine unternehmerfreundliche Politik.