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Gräben überwinden und Brücken bauen

Junge DLG Impulse 1/2021

„Social Distancing“ ist wohl einer der prägendsten Begriffe der vergangenen Krisenmonate. Dabei hatte sich die Landwirtschaft vor Ausbruch der Corona-Pandemie redlich bemüht, die Entfernung zwischen ihnen und der Bevölkerung zu verringern. Denn die Arbeit mit der Öffentlichkeit baut die für unsere Branche so wichtigen Brücken. Und kombiniert mit cleveren Formen der Direktvermarktung, kann sich PR doppelt lohnen ... 

Kilometerlange Schlepperkorsos, Mahnfeuer, Kundgebungen in Deutschlands Städten – Landwirt:innen wollen mitreden. Seit über einem Jahr schaffen sie mit den genannten Aktionen zumindest eines: Aufmerksamkeit. Auf dem ein oder anderen Schild liest man dabei: „Wir machen Euch satt!“ Kommunikativ nicht wirklich eine Meisterleistung. Aussagen wie: „Wir haben in den vergangenen Jahren einfach verschlafen euch zu zeigen, wie fortschrittlich wir Landwirte sind“, werden hingegen eher selten geäußert. Dabei sind es gerade diese Aussagen, die deutlich mehr Gesprächspotenzial bieten.

Was über lange Zeit vernachlässigt wurde, greifen wir in dieser Publikation auf. Wir präsentieren gelungene Praxisbeispiele, die zu einem erfolgreichen Dialog mit der Gesellschaft führen. Dass darüber hinaus regionale Vermarktungskonzepte entstehen können, sollte noch mehr zur „Agrar-PR“ motivieren.

Autoren:

  • Henriette Keuffel, Forum Moderne Landwirtschaft, Berlin;
    Mitglied im Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit
  • Stefan Luther, authentisch&GREEN – PR & Marketing, Baiersdorf (Bayern); stellv. Vorsitzender des Ausschusses Öffentlichkeitsarbeit
  • Lena Hennig, Landwirtschaftsamt Main-Kinzig-Kreis (Hessen); Vorsitzende des Ausschusses Öffentlichkeitsarbeit
  • Dr. Manuel Ermann, Syngenta Seeds, Bad Salzuflen (NRW);
    Mitglied im Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit

Das ist das Wesentliche

In wiederkehrenden Umfragen bestätigt die Bevölkerung den Landwirt:innen ein überwiegend positives Image. Knapp 60 % der befragten Menschen bestätigen, dass deutsche Landwirte sie mit hochwertigen (regionalen) Produkten versorgen, die Kulturlandschaft pflegen, erhalten und in der Gesellschaft hoch angesehen sind. 

Aber: Je übergeordneter von „der Landwirtschaft“ gesprochen wird, desto mehr nimmt diese positive Grundhaltung ab. Also dann, wenn die Landwirtschaft im wahrsten Sinne ihr Gesicht verliert, weil nicht mehr von Landwirt Sven, sondern von landwirtschaftlichen Praktiken die Rede ist. 

Die Bevölkerung wächst, während es immer weniger Landwirte gibt: Kein Wunder also, dass Otto Normalverbraucher absolut keinen Bezug mehr zu praktischer Landwirtschaft hat, um sich selbst ein Bild machen zu können und eben auch keinen Landwirt Sven mehr kennt, um sich über landwirtschaftliche Themen auszutauschen. Stattdessen bezieht Otto Normalverbraucher all sein Wissen zur Landwirtschaft aus Film und Fernsehen, dem Internet und der Zeitung.

Von Entfremdung und dem Wieder-Zueinanderfinden

Treffen nun Verbraucher Otto und Landwirt Sven aufeinander, prallen auch Welten verschiedenen Wissens aufeinander. Sven erzählt von Zellzahlen, Tausendkorngewichten und Remontierungsraten und Otto versteht noch weniger als Bahnhof. Dabei entstehen „Wissenslücken“, denn wer etwas nicht weiß, muss es eben glauben. Diese unterschiedlichen Wissensniveaus entzweien die Gesellschaft von der Landwirtschaft. Dazu kommt, dass wir alle täglich mit einer gigantischen Welle an Reizen und Informationen überflutet werden. Um den Überblick nicht zu verlieren, selektiert der menschliche Verstand stark, wobei wichtige Informationen und Zusammenhänge verloren gehen können, wenn sie in keinen Zusammenhang gesetzt werden. Otto kann die oben genannten Begriffe in keinen Bezug setzen, infolge dessen sind sie für ihn irrelevant und das Thema Landwirtschaft ist im wahrsten Sinne für ihn gegessen. 

Drei Geheimwaffen

Um diesen Informations-Übermaß-Teufelskreis zu durchbrechen, gibt es drei Geheimwaffen in der menschlichen Kommunikation. Die haben per se nichts mit der Landwirtschaft, sondern mit unserer menschlichen Art zu kommunizieren  zu tun – helfen also dementsprechend auch im Gespräch mit Schwiegereltern, Bankberatern und weiteren Menschen unseres Umfelds. Landläufig sind diese Geheimwaffen als die drei Säulen gelungener Kommunikation bekannt. 

(1) Einfühlungsvermögen (Empathie) steht dabei für ein mitfühlendes Verständnis und die Fähigkeit, sich in den Gesprächspartner und seine persönliche Lage hineinzuversetzen.
(2) Wertschätzung (Akzeptanz) ist die bedingungslose Aufmerksamkeit für den Gesprächspartner und seine Ansichten, auch wenn die eigenen davon abweichen.
(3) Echtheit (Kongruenz) bedeutet, authentisch – ohne sich zu verstellen – die Wahrheit zu erzählen.

In den Kommunikationskontext dieser Publikation gesetzt, heißt dass: Wir, alle miteinander, benötigen viel öfter ein offenes Ohr für einander und für unsere Bedürfnisse und Erwartungen. Sowohl seitens der Gesellschaft für landwirtschaftliche Belange, aber auch seitens der Landwirt:innen für die Belange der Gesellschaft.

Du bist, was du isst?!

Die Belange der Gesellschaft haben natürlich mit qualitativ hochwertigem Essen zu tun; das Essen hat für viele nur heutzutage nicht mehr primär mit Landwirtschaft, sondern mit Lifestyle zu tun. Je internationaler und schneller verfügbar, desto besser. Werbeslogans wie „Einmal hin, alles drin“ unterstreichen diesen Trend ungemein. Aus anderen Lifestylegründen gibt es aber auch Gegenentwicklungen in der Gesellschaft:

Direktvermarktungskonzepte wie Hofläden, Milchtankstellen sowie regionale oder gar Genuss-Manufakturen bekommen immer mehr Zulauf. Eine Riesenchance, um am Handel vorbei direkt in den Dialog mit dem Endkunden zu treten und über das jeweilige Produkt der Landwirtschaft wieder ein persönliches Gesicht zu geben.

Packen wir’s an!

Für uns, als in der Landwirtschaft Tätige, heißt es infolgedessen jetzt: Ran an den Speck! Das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ ist so überholt, wie das Pflügen mit dem Ochsen. Nur das kontinuierliche Suchen des Dialogs mit der Gesellschaft, unseren Endkunden, hilft uns aus der eigenen Blase auszubrechen und die Menschen wieder in unseren Alltag mitzunehmen. Wie das funktionieren kann? Unsere gute fachliche Praxis zeigt das anhand verschiedener Projekte aus der Öffentlichkeitsarbeit.

    Gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft – transparent und gesellschaftsorientiert

    AgrarScouts

    Bundesweit eines der größten ehrenamtlichen Öffentlichkeitarbeitsprojekte, initiiert vom Forum Moderne Landwirtschaft e.V. (FML). Weit über 800 Landwirt:innen sind bereits Teil dieses Netzwerks und erreichen mit AgrarScouts-Aktionen in deutschen Innenstädten mehrere Millionen Menschen im Jahr. Erfolgsrezept des Projektes sind die AgrarScouts-Schulungen, in denen Kommunikationstrainer den in der Landwirtschaft tätigen Personen praktisches Handwerkszeug für den Gesellschaftsdialog an die Hand geben. Mehr auf: moderne-landwirtschaft.de 

    Agrarblogger

    Alles begann mit einem offenen Brief: Landwirt Willi Kramer-Schillings machte sich 2015 auf seinem Blog (engl. Wortneuschöpfung aus Web Log = Online-Tagesbuch) „Bauer Willi“ Luft über die Bigotterie deutscher Verbraucher:innen. Damit traf er einen Nerv und entfachte eine (überwiegend online geführte) Diskussion über Wertschätzung von Lebensmitteln und ihre Erzeuger:innen. Seither bemühen sich immer mehr Mitwirkende in Agrarblogs für einen Dialog mit der Bevölkerung, sowohl in der digitalen als auch in der wirklichen Welt. Zu den wohl berühmtesten Blogger:innen der Agrarbranche gehören u.a. Bernhard Barkmann (@BlogAgrar), Nadine Henke (@BrokserSauen) sowie Phillip Krainbring und Annika Ahlers (@Erklaerbauer). Neben ihren Blog-Beiträgen geben sie und viele andere Menschen aus der Landwirtschaft über Facebook, Instagram oder Twitter transparente Einblicke in ihren Berufsalltag. Getreu dem Motto: Tue Gutes und blogge darüber.

    (Ein-)Sichten in die Tierhaltung

    Stellt man Verbraucher:innen die Frage nach dem Verantwortungsbewusstsein der Landwirt:innen im Umgang mit ihren Nutztieren, so liegen Wunschbild und die bereits gebildete Meinung häufig weit auseinander. Genau dieser Diskrepanz widmet sich die vom i.m.a e.V. ins Leben gerufene Transparenz-Initia­tive. Sie gibt Verbraucher:innen deutschlandweit einen Einblick in die Tierhaltung von Schwein, Rind und Geflügel dank der aktiven Teilnahme von Landwirt:innen. Stallfenster, Info-Tafeln, Flyer und weitere Materialien bieten Verbraucher:innen die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zur Nutztierhaltung zu bilden. Unterstützt wird das Projekt von der landwirtschaftlichen Rentenbank. Mehr auf ima-agrar.de/einsichten

    Gülle-Gruppe auf WhatsApp

    Jeder Mensch braucht Luft zum Atmen. Besonders begehrt: Frische Landluft. Doch die hängt manchmal voll von „Güllegestank“, was nicht jedermanns Geschmack ist. Um gegen den Einzug der Duftwolke ins Haus gewappnet zu sein, geht der Trend in einigen Regionen Deutschlands zur sog. „Gülle-Gruppe“. Fast jeder Bundesbürger hat heutzutage ein Smartphone und nutzt zum Kommunizieren WhatsApp. Klar ändert sich am Staub- und Geruch nichts, wenn der Landwirtschaftsbetrieb der Bevölkerung digital mitteilt, dass demnächst wieder geackert wird. Aber die Einstellung der Leute zu Gülle, Staub und Geruch kann sich ändern. Sie fühlen sich durch die Transparenz ernst- und mitgenommen, verstehen die Landwirtschaft besser und können entsprechende Vorkehrungen treffen. So bleibt die frische Wäsche im Garten auch „frisch“. Aus dem anonymen Nebeneinander wird dank WhatsApp ein respektvolles und partnerschaftliches Miteinander.

    Aktionen vom DLG-Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit

    Nicht immer ist es möglich, mit Nachbarn oder Feldrand-Anliegern eine WhatsApp-Gruppe zu gründen. Eine gelungene Alternative, um mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, bieten die Postkarten unseres Ausschusses. Neben kurz und knackig formulierten Infos haben Sie die Möglichkeit, eine persönliche Botschaft und Ihre Kontaktdaten auf der Postkarte zu hinterlassen und diese als Kommunikationsangebot in den Briefkasten von Nachbarn und Anliegern zu werfen. Die Postkarten können kostenlos unter www.jungedlg.org/impulse bezogen werden.

    MyKuhTube

    Knapp 20 Milchviehhalter:innen aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein lassen sich seit ein paar Jahren bei ihrer Arbeit von einer Kamera begleiten. Die Videos werden professionell bearbeitet und im Internet veröffentlicht. Wöchentlich wird das Online-Angebot von MyKuhTube um ein bis zwei Produktionen der „filmemachenden“ Milcherzeuger:innen reicher. Im Fokus der Videos steht die Arbeit im und rund um den Kuhstall. Für ihre Videos klettern die involvierten Personen schon mal in ihre Futtersilos oder dokumentieren mitten in der Nacht die Geburt eines Kalbes. 

    MyKuhTube möchte von überall aus dem Stall und von der Weide berichten, wo die Gesellschaft sonst keinen Einblick bekommen könnte. Die Initiative hat bis heute über 670 Videos veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. Amos Venema, Agnes Greggersen und andere haben viel Energie, Zeit und Herzblut in MyKuhTube investiert – die gesamte Branche kann dafür dankbar sein.

    Das Beste in Kürze

    Die Entfremdung zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zugenommen. Unser aller Informationsverhalten erfolgt nur noch sehr selektiv und gefiltert. 

    Grundsätzlich haben Landwirt:innen in den letzten Jahren erkannt, dass Öffentlichkeitsarbeit zu einem besseren Verständnis landwirtschaftlicher Themen beitragen kann. Jetzt und fortwährend liegt es an jedem einzelnen in seinem Umfeld für das Bild der Landwirtschaft mit seinem Tun einzustehen und dadurch der Gesellschaft die Gelegenheit zu geben, sich nicht mehr nur einseitig durch die Medien, sondern vor Ort über die Landwirtschaft zu informieren. Nicht jeder muss nun direkt einen Kanal in den Sozialen Medien eröffnen – von einer Radtour durch die Feldflur bis zu interessanten Beiträgen über das Radio: Öffentlichkeitsarbeit ist so facettenreich, wie die Landwirtschaft selbst. Los geht’s!

     

    Der Kommentar

    Öffentlichkeitsarbeit betreiben wir als Landwirte immer dann, wenn wir als solche zu erkennen sind oder uns als solche zu erkennen geben. Das kann einerseits ganz gezielt mit Wort- oder Schriftbeiträgen z.B. in Interviews, auf Tagungen sowie in Blogs, Online-Foren oder in Print­medien erfolgen. Andererseits geschieht es zwangsläufig, wenn unser Gegenüber zufällig erfährt, dass er einen Landwirt vor sich hat. Dann gilt häufig: Pars pro Toto – wir als Individuum repräsentieren schlagartig die gesamte Landwirtschaft. In beiden Fällen, ob wir gezielt oder zufällig Öffentlichkeitsarbeit betreiben, sollten wir die Chance nutzen! Neben der Verkörperung von Integrität, Aufrichtigkeit und Höflichkeit heißt das für mich zuerst zuhören: Fragen, Anregungen und auch Kritik aufnehmen! Unsere Antwort, ein etwaiger Smalltalk oder eine entstehende Diskussion sollte immer ruhig und vor allem sachbezogen ausfallen. So bietet sich für uns auch die Gelegenheit zu erfahren, welche Wünsche und Hoffnungen die Menschen hinsichtlich der Landwirtschaft haben. Daraus können wir lernen und neue Geschäftsmodelle entwickeln!

    Bei gelegentlichen Anfeindungen, überzogenen Vorwürfen oder gar Drohungen ist ein „Zurückschießen“ für mich keine Option. Damit geben wir dieser sehr kleinen, aggressiven Gruppe nur eine Plattform und schaden uns letztlich selbst. Allein erreichen werden wir damit nichts.

    Im Jahr 2021 startete der DLG-Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit unter dem Hashtag #hofmomente eine Kampagne über analoge und soziale Medien. Wir rufen Sie weiterhin dazu auf, sich individuell durch Ihre Teilnahme bzw. mit Beiträgen in den sozialen Medien und weiteren Aktionen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit für die Landwirtschaft zu beteiligen.

    Den Auftakt der Kampagne stellten zum Jahresbeginn mehrere Webinare dar. Weitere Aktivitäten werden folgen. Halten Sie sich über unsere Website unter www.jungedlg.org/ausschuss-oeffentlichkeitsarbeit stets über die Angebote informiert. 

    Bildquellen:
    Grafikmontage aus ©Bukavik, VizRad, Andrey Kokidko, ONYXprj, Macrovector, Muhammad Desta Laksana - shutterstock.com

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