Zum Hauptinhalt springen

Wie viel Sensorik ist gefordert?

Food Safety Standards

aus DLG-Lebensmittel Ausgabe 1/2018

Fast jedes Unternehmen, das Lebensmittel herstellt oder abpackt, unterwirft sich einem Lebensmittelsicherheitsstandard oder ist sogar zertifiziert. Jedes Unternehmen führt in irgendeiner Form auch eine Sensorik durch. Welche Forderungen nach Sensorik stecken in den Standards? Mit welchen sensorischen Methoden können diese Vorgaben umgesetzt werden?

Die zunehmende Liberalisierung des globalen Handels hat die Lebensmittel produzierenden Unternehmen vor große Herausforderungen gestellt. Zur Gewährleistung eines Höchstmaßes an Lebensmittelsicherheit und zur Risikobewertung der Lebensmittelverarbeitung wurden, auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kulturen, Food Safety Standards erarbeitet. Um am Markt agieren und Produkte vertreiben zu können, unterwerfen sich Unternehmen der Lebensmittelbranche mindestens einem Lebensmittelsicherheitsstandard und sind größtenteils auch zertifiziert. Die wichtigsten Standards zur Zertifizierung in Europa sind der IFS Food, der BRC Global Standard for Food Safety und der FSSC 22000. Inhaltlich beschreiben diese prozessbezogen die Anforderungen an ein risikobasiertes Managementsystem, welches auf die Garantie einer definierten Produktqualität und Lebensmittelsicherheit sowie auf die Gewährleistung der Verkehrstauglichkeit fokussiert ist. Die analytische Sensorik ist, vergleichbar anderen chemisch-analytischen Untersuchungsmethoden, ein Verifizierungsverfahren im Kontext mit den erforderlichen Produkt- und Prozesskontrollen im fortlaufenden Qualitäts- und Lebensmittelsicherheitsmonitoring in den Unternehmen.

Gibt es gesetzliche Vorgaben zur Sensorik?

Eindeutig definierte Vorgaben aus Gesetzen oder Verordnungen hinsichtlich der Umsetzung sensorischer Methoden in Food Safety Standards gibt es zurzeit nicht. Es können diesbezüglich nur indirekte Notwendigkeiten für den Einsatz der Sensorik abgeleitet werden. Wenn zum Beispiel die Europäische Basis-Verordnung VO (EG) 178/2002 davon spricht, dass ein „hohes Schutzniveau für die Gesundheit des Menschen und die Verbraucherinteressen“ gewahrt werden sollen, kann dies unter anderem auch dadurch sichergestellt werden, dass im herstellenden Betrieb über den Geschmack, das Aussehen oder den Geruch, also durch organoleptische Analysen, festgestellt wird, ob das Lebensmittel, der Rohstoff oder die Zutat Abweichungen vom definierten Standard oder sonstige Anomalitäten aufweist. Hierbei kommt es nicht nur auf Anzeichen von Verderb an, vielmehr spielen hierbei auch abweichende Eigenschaften vom unternehmensintern definierten sensorischen Produktstandard, wie z. B. hinsichtlich Farbe, Form, Konsistenz, Mischungsverhältnis, eine Rolle (vgl. Abbildung 1: Beispiel Bergkäse).

Die Hygieneverordnung der EU VO (EG) 852/2004 fordert die Sicherstellung der Verkehrstauglichkeit von Lebensmitteln. Dafür ist es unter anderem wichtig, dass die Einhaltung der sensorischen Eigenschaften gewährleistet wird. Diese werden in Spezifikationen häufig mit „arteigen, ohne Fremdgeruch und -geschmack“ beschrieben. Über definierte sensorisch-analytische Untersuchungen muss dieses regelmäßige Qualitätsmonitoring der Produkte und Chargen auch nachweislich belegt werden.

SSC 22000 und Sensorik

Der FSSC 22000 [1] ist ein weltweit durch die GFSI (Global Food Safety Initiative) anerkannter zertifizierfähiger Standard. Aktuell ist in 2017 die Version 4.1 veröffentlicht worden, die in 2018 umgesetzt werden soll. Die Anforderungen des Standards setzen sich zusammen aus der Internationalen Norm DIN EN ISO 22000, der technischen Spezifikation ISO/TS 22002-1, in der die sogenannten Präventivmaßnahmen spezifiziert sind, und den Zusatzanforderungen des FSSC 22000 Version 4.1, Juli 2017. Letztere geben keine speziell die Sensorik ansprechenden Anforderungen vor, da sie übergreifende Aspekte regeln und sich bezüglich der Detailvorgaben auf die beiden anderen ISO-Unterlagen beziehen.

Um konkret formulierte Anforderungen an die Sensorik im Kontext des FSSC 22000 herausfinden zu können, muss man sich folglich mit der ISO 22000 auseinandersetzen. Diese unterliegt zurzeit auch einem Änderungsmodus und wird im Juni 2018 in neuer Version erscheinen. Im vorliegenden Entwurf, der ISO/DIS 22000:2017, sind Anforderungen genannt, die zunächst nicht ausschließlich für die Sensorik gelten, aber auch dafür angewendet werden sollen. So wird im Kapitel 8.1 Betriebliche Planung und Steuerung gefordert, dass für die betrieblichen Prozesse feste Kriterien festgelegt und damit die Prozesse gesteuert werden sollen. Das heißt auf die Sensorik bezogen, es müssen in den Rezepturen sensorische Qualitätsparameter definiert und  Zielgrößen, z.B. in Form von Intensitäten von Geruch oder Geschmack, Härtegraden bei der Textur oder Farbtöne beim Aussehen sowie Toleranzbereiche bei den Messwerten, festgelegt werden. Diese sensorischen Qualitätsparameter sind gemeinsam mit weiteren Analysen und Kennzahlen in einen Prüfplan zum Qualitätsmonitoring einzubinden, sodass Qualitätsabweichungen vom sensorischen Standard erfasst und über definierte Korrekturmaßnahmen gelenkt werden können. Welche Kriterien, Prüfungen und Maßnahmen im Einzelfall notwendig sind, muss das Unternehmen jeweils durch eine unternehmens- und produktspezifische (dokumentierte) Gefahrenanalyse erarbeiten und in einem individuellen HACCP-Konzept festlegen.

Im Kapitel 8.5.1 dieser ISO/DIS 2200:2017 wird im Hinblick auf die HACCP-Gefahrenanalyse gefordert, dass sowohl für Rohstoffe und Zutaten als auch für Fertigprodukte die Eigenschaften der Lebensmittel festgelegt werden sollen. Es wird zwar „nur“ ausdrücklich von biologischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften gesprochen, doch beeinflussen diese auch die Sensorik. Damit ist es geboten, auch hier sensorische Eigenschaften festzulegen. In der weiteren Abfolge der Implementierung eines HACCP-Systems könnte es dann sein, dass sensorische Prüfungen zu CPs (Control Points) bzw. zu Bestandteilen von oPRPs (operativen Präventivprogrammen) werden, also zu Prüfpunkten zur Gewährleistung der Sicherheit von Produkten oder Prozessen. Es müssen dann für oPRPs Überwachungsmethoden und die Häufigkeiten der Überwachungen festgelegt und nachweislich umgesetzt werden. Zudem ist vom Unternehmen in regelmäßigen Abständen zu verifizieren, dass die eingesetzten (sensorischen) Methoden, z. B. Unterschiedsprüfungen in Form von Dreieckstests, In-/Out-Test oder Paarvergleichen sowie beschreibende Prüfungen, z. B. „Einfach beschreibende Prüfung“ oder „Konventionelles Profil“, zum Monitoring der Produktqualität geeignet sind (8.7 Lenkung von Überwachung und Messung). Erreichen lässt sich dies u.a. mittels der Durchführung und Auswertung von Wiederholungsprüfungen oder durch den Vergleich der eigenen Daten mit Untersuchungsergebnissen der jeweiligen Produkte von externen Dienstleistern.

Im Abschnitt 9.1.2 Analyse und Bewertung wird gefordert, dass alle Daten, die sich aus Überwachungen und Messungen ergeben, analysiert und bewertet werden müssen. Im Falle von Abweichungen müssen Korrekturmaßnahmen an Produkten oder Prozessen ergriffen werden.

Was fordert der BRC?

Der britische Standard BRC – Global Standard for Food Safety [2] liegt aktuell in der Version 7 aus dem Januar 2015 vor. Hierin gibt es ganz konkrete Vorgaben in Bezug auf den Einsatz von sensorischen Untersuchungen. Im Abschnitt 3.5.2 Annahme von Rohmaterialien … wird ein dokumentiertes Verfahren zur Annahme von Rohmaterialien gefordert. Bei den Wareneingangsprüfungen sollen auch optische Inspektionen zum Einsatz kommen.

Im Rahmen der Produktentwicklung (5.1 Produktdesign/-entwicklung) sind bei Entwicklungsprojekten Haltbarkeitstests auf der Grundlage von mikrobiologischen, chemischen und organoleptischen Kriterien durchzuführen und zu dokumentieren. Darüber hinaus soll im Rahmen von Prüfungen des Fertigproduktes (5.6.1 Produktprüfungen und -Tests) ein System umgesetzt werden, um eine fortwährende Haltbarkeitsbeurteilung der Produkte durchzuführen. Auch bei diesem sollen mikrobiologische, chemische und organoleptische Kriterien angewendet werden.

Für die Praxis sind gerade dann, wenn viele Produkte in kurzer Zeit beurteilt werden müssen (z. B. Wareneingangs- und LKW-Kontrolle) sensorische Schnellmethoden von großem Vorteil. So bietet u.a. die CATA-Methode (Check-All-That-Apply) die Möglichkeit, je nach Fragestellung die wichtigsten Qualitätskriterien in einfacher und schneller Art zu prüfen und zu beschreiben. CATA kann sowohl für den Nachweis von Produktfehlern (Off-Flavour) als auch für die Bewertung von positiven Produkteigenschaften genutzt werden.

Ganz aktuell: neue Version 6.1 des IFS Food

Der in Deutschland immer noch wichtigste Standard zur Zertifizierung von Managementsystemen bei Lebensmittelunternehmen ist der IFS Food, der seit November 2017 in der aktuellen Version 6.1 [3] veröffentlicht ist und ab Juni 2018 zertifiziert wird (danach sind keine Audits nach alter Version 6 mehr möglich). Im IFS werden ganz deutlich Vorgaben im Hinblick auf die Lebensmittelsensorik gegeben.

Zunächst wird hier definiert, dass im Rahmen des HACCP-Systems (2.2.3.1 Produktbeschreibung (CA-Stufe 2)) Produktbeschreibungen für alle Produkte bzw. Produktgruppen erstellt werden, die neben anderen Kriterien auch die physikalischen, sensorischen, chemischen und mikrobiologischen Parameter beschreiben. Auch in der Produktentwicklung spielt die Sensorik eine Rolle (4.3 Produktentwicklung / Produktänderung / Änderung der Produktionsprozesse), denn es werden hier, vergleichbar dem BRC, Tests zur Feststellung der Haltbarkeit gefordert. Bei der Forderung nach Validierung von Haltbarkeitsfristen werden ausdrücklich auch sensorische Prüfungen angesprochen. Genauso wie im Rahmen der gesamten Produktentwicklung, die sowohl die Entwicklung neuer Produkte als auch Produktänderungen umfasst, sollen sensorische Prüfungen durchgeführt und dokumentiert werden. Wenn zum Beispiel der Wareneinsatz für die Produkte günstiger gemacht oder wenn neue Lieferanten/Rohstoffe ausprobiert werden sollen, ist eine vergleichende Prüfung notwendig, um sicherzustellen, dass das in der Rezeptur veränderte Produkt die gleichen (sensorischen) Eigenschaften hat wie das ursprüngliche Produkt. Gerade bei der Festlegung des Mindesthaltbarkeitsdatums wird der Stellenwert der Sensorik vielfach unterschätzt. Hierbei beeinflussen meist die Lagerdauer und die Qualität des Verpackungsmaterials gemeinsam die sensorische Ausprägung. Häufig sind analytische Abweichungen bei einzelnen Parametern zunächst nicht signifikant erkennbar; die Sensorik konnte allerdings bereits frühzeitig mittels der klassischen Unterschiedsmethode  „2 aus 5“ deutliche Abweichungen feststellen.

Ein zusätzlicher Aspekt kommt der Bewertung der Tauglichkeit des Verpackungsmaterials zu. Entsprechend einer Gefahrenanalyse sollen hierbei sensorische Methoden eingesetzt werden, um nachzuweisen, dass das eingesetzte Verpackungsmaterial geeignet ist. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Vermeidung von Migrationen aber auch um eine mögliche Übertragung von Geruch und Geschmack im Laufe der Haltbarkeitsfrist auf das Lebensmittel. Bei Verpackungsbeeinträchtigungen sucht man oft nach Veränderungen bzw. Qualitätsmängeln bei den Aromametaboliten. Auch hier kann die Sensorik mittels deskriptiver Prüfmethoden einen Beitrag zur frühzeitigen Erkennung von Qualitätsdefiziten leisten. Im Abschnitt 5.6 Produktanalysen werden dann auch folgerichtig regelmäßige sensorische Prüfungen zur Verifizierung der Endprodukte gefordert. Hierbei soll mit Hilfe der Sensorik bestätigt werden, dass das hergestellte Produkt der vorgegebenen und dem Kunden bekannten Spezifikation entspricht.

Food Fraud und Sensorik

Ein relativ neues Thema ist Food Fraud, also Lebensmittelbetrug. Diesen Aspekt haben alle aktuellen Standard-Versionen aufgegriffen, da es auch eine Forderung der GFSI war, das Thema zu integrieren. Der IFS beschreibt das Thema mit dem positiv ausgedrückten Wort „Authentizität“. Im Rahmen von Food Fraud geht es darum, zunächst eine Schwachstellenanalyse durchzuführen und dann entsprechend der Schwachstellen Kontrollmaßnahmen festzulegen, um Anhaltspunkte für Lebensmittelbetrug zu identifizieren. Anschließend müssen je nach Ergebnis korrigierende Maßnahmen eingeleitet werden. Auch „das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) befasst sich mit der Entwicklung, Validierung und Bewertung analytischer Strategien und Verfahren zur Authentizitätsprüfung“ [4]. Die von den Standards geforderten Kontrollmaßnahmen können chemische sowie molekularbiologische Analysen sein. Diesen labortechnischen Untersuchungen könnten im ersten Schritt auch sensorische Analysen  vorgeschaltet werden, um nachzuweisen, dass ein Produkt die deklarierten Inhaltsstoffe enthält bzw. sensorisch vom definierten Standard abweicht. Hierbei können je nach der zu erwartenden „Fälschung“ unterschiedliche Methoden zum Screening und Vortest für anschließende laboranalytische Untersuchungen zum Einsatz kommen (z. B. skalierter In-/Out-Test bei Verdacht auf Aromatisierung im Fruchtsaft, Profilprüfung bei Konzentrierung im Prädikatswein).

Fazit und Ausblick

In den wichtigsten Lebensmittelsicherheitsstandards sind im Hinblick auf Sensorik grundsätzlich folgende Maßnahmen definiert, die den Einsatz sensorisch-analytischer Methoden und den fachgerechten Umgang mit den Untersuchungsergebnissen erfordern:
 

  • Produktbeschreibung und Gefahrenanalyse im HACCP-System
  • Wareneingangs- undFertigproduktuntersuchungen
  • Haltbarkeitstests sowie eine Haltbarkeitsvalidierung in derProduktentwicklung
  • Eignungstests für Verpackungsmaterialien
  • Authentizitätstests bezüglich

Food Fraud

Methoden der deskriptiven Sensorik, wie u. a. die „Einfach beschreibende Prüfung“ oder die „Konventionelle Profilierung“, spielen im Kontext der Lebensmittelsicherheitsstandards u.a. dann eine Rolle, wenn es um die Erstellung sensorischer Produktspezifikationen und um die Festlegung von Referenzprodukten und -werten quasi als „Vergleichsmaßstab“ geht. Die deskriptive Schnellmethode „CATA“ kann u. a. bei der Wareneingangskontrolle zum Nachweis von Produktfehlern (Off-Flavour) bzw. zur Bewertung von positiven Produkteigenschaften genutzt werden. Unterschiedsprüfungen, wie Dreieckstests, Duo-Trio-Tests, Paarvergleiche oder In-/Out-Tests (In-/Out-Spezifikationstests), werden v. a. im Rahmen des HACCP-Systems bei der Wareneingangs- und Produktendkontrolle, aber auch innerhalb der laufenden Produktion eingesetzt, um die definierte Produktqualität zu überwachen. Quasi eine Kombination aus skalierten In-/Out-Tests mit Festlegung mehrerer Qualitätskategorien, deskriptiver Sensorik zur Fokussierung der Schlüsselattribute und Zeit-Intensitäts-Messungen, d. h. gleiche Prüfungen in definierten regelmäßigen Zeitabständen, sind eine wertvolle Hilfe bei der Überwachung der Lagerstabilität sowie bei der Beantwortung von Fragestellungen rund um die Haltbarkeit (MHD-Festlegung und -Überprüfung) der Produkte. Erkennungsprüfungen im Bereich Geruch und Geschmack helfen bei der Überprüfung von Verpackungsmaterialien und der Identifizierung von Fehlaromen im Lebensmittel.

Die zuvor angesprochenen Anforderungen, die gerade auch die Sensorik betreffen, sind durch die Auditoren in der Vergangenheit eher zu wenig beachtet worden. Allerdings gewinnen sie auch nicht zuletzt durch aktuellere Anforderungen immer mehr an Bedeutung. Damit ist es notwendig, sich intensiv mit den Möglichkeiten der sensorischen Methoden auseinanderzusetzen und diese entsprechend bei der Lebensmittelherstellung in der Praxis anzuwenden.

info

Die Gewährleistung der Verkehrstauglichkeit wird übrigens als Teil der Lebensmittelhygiene definiert. Damit ist die Sensorik hier ein Verifizierungsverfahren zur Identifizierung sensorischer Produktfehler und Qualitätsmängel im Rahmen der Hygiene- oder Präventivmaßnahmen des Unternehmens.

Sie wollen unser Fachmagazin DLG-Lebensmittel abonnieren?

Werden Sie DLG-Mitglied und profitieren Sie von weiteren Vorteilen.