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Landkarte als Orientierung

Haferdrinkstudie

aus: DLG-Lebensmittel 3/2022

Der Markt für Haferdrinks ist umkämpft und unübersichtlich. Für einen besseren Überblick nahm das Sensorik-Unternehmen isi aus Göttingen 69 Produkte im Sensoriklabor unter die Lupe. Das isi-Team entdeckte dabei Trends, Ungewöhnliches und weiße Flecken auf der Landkarte der Haferdrink-Welt. Die Karte öffnet Unternehmen und Start-ups die Möglichkeit, die Situation besser zu erfassen und sich erfolgreicher am Markt zu positionieren. 

Etwa jeder zehnte Liter Milch stammt mittlerweile aus Ersatzprodukten. Der Wunsch dahinter: Sich so zu ernähren, dass es der Umwelt, dem Klima und dem Tierwohl so wenig wie möglich schadet. So entsteht bei der Herstellung von Hafermilch ein Drittel weniger Treibhausgas als bei der Produktion von Kuhmilch. Während der Pro-Kopf-Verbrauch von Kuhmilch zwischen 2014 und 2020 von 56 auf 50 Kilogramm sank, wächst der Markt für Ersatzprodukte. In Europa werden pro Jahr Milchalternativen im Wert von über zwei Milliarden Euro verkauft. 

Überwältigendes Produkt­angebot

„Wir bei isi wollten wissen, wie sich das sensorische Profil der Milchalternativen eigentlich unterscheidet“, berichtet Ruth Schädlich, die als Sensory Project Managerin bei isi arbeitet. Dazu entwarfen sie und ihre Kollegin Cordula Lampe eine isi-interne Studie, die ein besonders beliebtes Produktsegment fokussiert: Haferdrinks. Die Ergebnisse sollen dazu dienen, Kunden aus dem Bereich der Milchalternativen besser zu beraten. 

69 Haferdrinks von 24 Herstellern wurden dabei berücksichtigt. Darunter Marken wie Oatly, Berief, Natumi und Kölln. Ziel ist es, eine Art Landkarte aufzuspannen, die zeigt, wie sich welcher Drink in der Gruppe der Haferdrinks sensorisch einordnen lässt. 

Neun Freiwillige, die auch zu Hause Hafermilch trinken, testeten die Produkte unter standardisierten Bedingungen im Göttinger isi-Labor. Dazu nippten die Teilnehmenden nacheinander an allen Drinks und bewerteten beispielsweise auf einer Skala von 1 – 5 deren Süße in einer Blindverkostung. Zudem tauschten sich die Testpersonen in der Gruppe aus und entschieden per Konsens, welche Eigenschaften einen Drink auszeichnen und wie er sich im Vergleich zu anderen positionieren lässt. Schmeckt Drink A stärker nach Hafer als Drink B, aber weniger als Drink C? 

So spannen die Testenden mit der Zeit einen zweidimensionalen sensorischen Raum auf, in dem jede Probe ihren Platz findet. Der Vorteil dieser Methode, die in der Sensorikforschung „Napping“ genannt wird: Sie ist extrem effizient, da sie in kürzester Zeit aussagekräftige Ergebnisse liefert und es erlaubt, gleichzeitig viele Produkte zu testen. So liegen dann auch nach nur sieben Stunden intensiven Testens die Ergebnisse für alle Haferdrinks vor, die auch für weitere Auswertungen genutzt werden können.

Blindflug bei der Produkt­entwicklung verhindern

Auf den ersten Blick verteilen sich die Produkte über ein weites Feld (Abbildung 1). Auf den zweiten Blick lassen sich aber auch Produktgruppen und Trends ausmachen. 
Produkte, die auf der X-Achse weiter rechts liegen, zeichnen sich durch einen deutlicheren Hafergeschmack aus. Produkte, die auf der Y-Achse weiter oben liegen, werden vergleichsweise cremiger wahrgenommen. Heißt das, dass die Produkte, die im rechten oberen Quadranten liegen, besonders gut schmecken? „Nein. Das müssten wir mit weitergehenden Tests erst noch untersuchen“, erläutert Ruth Schädlich. Allerdings wäre ein Test mit allen 69 Produkten zeitaufwendig und teuer, da quasi jedes Produkt mit jedem anderen verglichen werden müsste. 

Für Hersteller, die einen neuen Haferdrink auf den Markt bringen wollen oder ihre eigene Position auf dem Markt untersuchen wollen, würde es aber bereits ausreichen, sich aus der Geschmackslandkarte fünf Vergleichs­produkte auszusuchen. Sie könnten Bereiche abdecken wie deutlicher Hafergeschmack, cremig und süß. So erkennt das Produktentwicklungsteam, wie sich das neue Produkt auf der Landkarte positioniert, und die Präferenzen der Konsumierenden können vollständig erfasst werden.

„Die Karte soll einen Blindflug bei der Produktentwicklung verhindern“, betont Cordula Lampe. Mithilfe von weiteren gezielten Tests lassen sich dann die gewünschten Koordinaten noch besser ansteuern. Dann spielen beispielsweise Fragen nach dem Aussehen des Drinks oder nach seiner Verwendung – Kaffee oder Müsli – eine Rolle. Natürlich kann man sich als Hersteller auch bewusst in bestimmte Bereiche bewegen, die abseits der Masse stehen; zum Beispiel mit fermentierten, Vanille- oder Karamell-Noten.  

Rätselhafte Süße

Mithilfe der durch die Studie gewonnenen Daten entdeckte das isi-Team weitere Zusammenhänge und Eigenheiten. So zeigt die Analyse etwa, dass der Zuckergehalt den Hafergeschmack verstärkt. Kamen jedoch Geschmacksnoten wie Vanille oder Schoko hinzu, dann wurden diese durch den Zucker verstärkt. Der Zuckergehalt erhöhte auch die Cremigkeit, allerdings nur, wenn der Hafergehalt im Drink gering war. Salz konnte die Süße im Drink teilweise maskieren. 

Nicht nur die Haferdrinks mit Schoko- und Vanillegeschmack wurden als deutlich süß eingestuft, sondern auch manche klassische und sogar einige ungesüßte Drinks. Außerdem schnitten manche Drinks, die speziell für den Kaffee gedacht sind (Barista-Produkte), als wenig süß ab. Generell wurde die Mehrzahl der getesteten Produkte jedoch als eher süß eingestuft. 

Manche Drinks hinterließen bei den Testenden auch unangenehme Sinneseindrücke. Pappig, ranzig, bitter, chemisch, sauer – lauteten etwa einige der Beschreibungen. Mit einer gezielten Rezepturänderung könnten Hersteller solchen unerwünschten Aromen entgegenwirken. Wobei zu berücksichtigen ist, ob diese Nebengeschmäcker in Verwendung beispielsweise in Kaffee nicht auch einen positiven Effekt auf das Geschmackserlebnis haben könnten.

Wer macht das Rennen?

Milch-Alternativen scheinen vor allem die Gruppe der Menschen anzusprechen, die Bio-Produkte kaufen. Dort machen Haferdrinks und Co. 30 bis 40 Prozent der Biomilchmenge aus. In der gesamten Bevölkerung liegt der Anteil auf dem gesamten Trinkmilchmarkt jedoch bislang nur bei 4 Prozent. Es ist also noch viel Luft nach oben. Auf 7,2 Prozent schätzt eine Analyse von Reports and Data die jährliche globale Wachstumsrate von Hafermilch. Kein Wunder, wenn sich bei den Unternehmen Goldgräberstimmung breitmacht. Wer in dem weiten Feld das Rennen macht, ist offen, aber laut isi-Landkarte könnten es vor allem die Drinks sein, die leicht nord-östlich auf der Karte um die Gunst der Kundinnen und Kunden ringen und die richtige Balance von Hafer, Süße und Cremigkeit treffen. Doch auch an der Peripherie könnten sich mit gezielten Rezepturen spezielle Kundensegmente erfolgreich ansprechen lassen. 

Kontakt: Ruth Schädlich und Cordula Lampe isi GmbH, Rosdorf / Göttingen
ruth-katrin.schaedlich@isi-goettingen.de