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Innovationen Getränketechnologie

Mehr Genuss ohne Alkohol

aus: DLG-Lebensmittel 3/2023

Trends spiegeln wider, welche Erwartungen an Getränke gestellt werden. Dabei zeigt sich: Die Nachfrage nach anspruchsvollen alkoholfreien Getränken nimmt weiter an Fahrt auf. Doch während alkoholfreie Biere längst zu einem wichtigen Umsatztreiber geworden sind, gilt es diesen für die Weinwirtschaft noch zu entwickeln. Die Expertise dazu haben IGF-Forschende, die derzeit die Optionen untersuchen. Und wie Produzenten die Themen Natürlichkeit und Haltbarkeit vereinen, weiß der Ingredientsspezialist Lanxess, der mit Negardo ein neuartiges Konservierungsmittel bietet.

Ein Glas zur Begrüßung bei feierlichen Anlässen oder als Begleiter beim Abendessen: Der Genuss von Weinen und Schaumweinen ist fest in unserer Alltagskultur verankert. Die Kehrseite der Medaille: Deutschland gehört zu den Hochkonsumländern von alkoholischen Getränken – und regelmäßiger Alkoholkonsum erhöht das Risiko für zahlreiche Erkrankungen. Dessen sind sich immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher bewusst, sodass sie auch ihren Konsum von alkoholischen Getränken reduzieren: „No and Low Alcohol“ liegt insbesondere in der Bierbranche seit einigen Jahren im Trend. Im Jahr 2021 lag der Marktanteil von Alkoholfreien im deutschen Biermarkt bereits bei acht Prozent – Tendenz steigend. Was mit den alkoholfreien Bieren vor über 40 Jahren begann, ist längst zu einem wichtigen Umsatztreiber der Bierbranche geworden, den es auch für die Weinwirtschaft zu entwickeln gilt. Vor dem Hintergrund eines gestiegenen Gesundheitsbewusstseins und eines veränderten Konsumverhaltens kommt der Entwicklung entalkoholisierter Weine und Schaumweine eine wachsende Bedeutung zu. Sowohl Start-ups als auch etablierte Weingüter leisten in diesem Segment derzeit Pionierarbeit – doch bislang mangelt es an einer breiten Verbraucherakzeptanz für die Produkte. Um diese zu erhöhen, sollen im Rahmen eines FEI-Projekts der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) die günstigen gesundheitlichen Wirkungen alkoholfreier Weine und Schaumweine erforscht werden. Daran arbeiten gemeinsam drei Forschungsteams vom DLR in Neustadt, der TU Braunschweig und der RPTU Kaiserslautern-Landau. 

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, Weine mit technologisch bedingt hohen Gehalten an bioaktiven Weininhaltsstoffen herzustellen, die nach dem Alkoholentzug genussvoll konsumiert werden können und einen gesundheitlichen Mehrwert bieten. Um die gewünschten Effekte zu erzielen, bedarf es einer für physiologische Wirkungen ausreichenden Menge und Zusammensetzung der bioaktiven Inhaltsstoffe in Wein, darunter Polyphenole und Mineralstoffe. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die phenolischen Verbindungen, von denen bekannt ist, dass sie im Körper zahlreiche günstige Effekte ausüben: Hierzu zählen antioxidative, antientzündliche oder antikanzerogene Wirkungen.

Bioaktive Inhaltsstoffe auf Weinbasis

Zunächst wollen die Forschenden aus alkoholfreien Weinen und Schaumweinen jene bioaktiven Polyphenole isolieren und identifizieren, die einen günstigen Einfluss auf den Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel zeigen. Nach gezielter technologischer Anreicherung dieser Komponenten soll im Rahmen einer humanen Interventionsstudie die Wirksamkeit eines – gemäß den Forschungsergebnissen optimierten – Testgetränks überprüft werden. Sind diese Proof-of-Concept-Daten überzeugend, ermöglicht es Weinbaubetrieben und Kellereien, ihre technologischen Prozesse entsprechend anzupassen, um die bioaktiven Schlüsselverbindungen im alkoholfreien Produkt gezielt anzureichern. Da nach der Gärung die zuvor enthaltenen Kohlenhydrate weitgehend abgebaut sind, können im Ergebnis alkoholfreie, kalorienreduzierte Getränke auf Weinbasis mit einem gesundheitlichen Mehrwert beworben werden. Die Ergebnisse kommen insbesondere den über 16.000 kleinen und mittleren weinerzeugenden Unternehmen in Deutschland zugute, da es keiner Investitionen in neue Technologien bedarf, sondern nur einer Anpassung technologischer Prozesse. Sollte eine vergleichbare Absatzsteigerung alkoholfreier Weinerzeugnisse gelingen, wie dies derzeit bei alkoholfreien Bieren der Fall ist, könnte sich ein attraktives neues Segment für die deutsche Wein- und Sektbranche entwickeln. Prognosen zufolge wird ein jährliches Wachstum von bis zu neun Prozent erwartet.

Haltbarkeit auf Basis von Glykoproteinen

Gesundheit ist ein Trend, der sich durch alle Segmente im Getränkebereich zieht. Seit Jahren steigt die Nachfrage nach natürlichen Inhaltsstoffen. Ein weiterer Aspekt, der Produzenten vor diesem Hintergrund beschäftigt, ist das Thema Haltbarkeit. Mittlerweile gibt es verschiedene Möglichkeiten, auf den Einsatz von Konservierungsmitteln zu verzichten. Häufig macht dies jedoch Änderungen in den Produktions- und Abfüllprozessen erforderlich, um ein sicheres, lagerfähiges Getränk zu erhalten. Der Ingredientsspezialist Lanxess hat daher mit Nagardo eine Alternative entwickelt, welche auf natürlichen Glykolipiden basiert. Es zeigt eine hohe Wirksamkeit gegen eine breite Palette von Mikroorganismen, die den Verderb von Getränken verursachen, wie Hefen, Schimmelpilze und Bakterien. Darüber hinaus kann Nagardo Organismen eliminieren, die an die üblicherweise verwendeten Konservierungsmittel angepasst oder gar hitzeresistent sind. „Hersteller von alkoholfreien Getränken, die sich dem Trend zu Better-for-you-Produkten ohne synthetische Konservierungsstoffe anschließen wollen, stecken viel Energie in Hot-Fill-Prozesse, Tunnelpasteure oder andere thermische Verfahren sowie Kühlkettenlogistik“, sagt Monika Ebener, Director Market Segment Natural Antimicrobials im Geschäftsbereich Material Protection Products (MPP) bei Lanxess. „Der natürliche Getränkeschutz von Nagardo bietet das fehlende Element, um natürliche Getränke mit der erforderlichen Haltbarkeit und dem gewünschten sensorischen Profil zu ermöglichen“, so Ebener.

Entdeckt durch neues Screening 

Der Schutz, den Nagardo bietet, basiert auf dem Pilz Dacryopinax spathularia. Er ist essbar, in tropischen sowie subtropischen Gebieten heimisch, leuchtend orange gefärbt und wächst in Form von kleinen, ohrförmigen Spateln, ähnlich der Osmanthus-Blüte. Um den Pilz zu finden, entwickelte das Dortmunder Team von IMD Natural Solutions, das seit 2017 zum Geschäftsbereich Material Protection Products (MPP) von Lanxess gehört, ein Screening-Verfahren, welches eine Bibliothek mit mehr als 100.000 natürlichen Molekülen aus Pflanzen, Bakterien, Algen und Pilzen nach geeigneten Wirkstoffen durchsuchte. Bei dem Screening erwiesen sich die Glykolipide, aus denen Nagardo besteht, als die wirksamsten in Bezug auf die antimikrobielle Leistung, die für den Schutz von Getränken erforderlich ist. 

Nagardo zeigt im Vergleich zu klassischen Konservierungsmitteln eine überlegene Wirksamkeit gegen typische getränkeschädigende Organismen. So ist meistens schon eine Dosage ausreichend, die um ein Vielfaches geringer ist als bei herkömmlichen Hilfsstoffen. Das breite Wirkspektrum, selbst bei niedrigen Anwendungskonzentrationen, zeigt auch eine hohe Wirkung gegen hitzeresistente Sporenbildner wie Alicyclobacillus-Spezies oder Vertreter der Gattungen Byssochlamys, Neosartorya sowie Talaromyces. Es ist ebenso wirksam gegen Organismen, die sich an herkömmliche Konservierungsmittel angepasst haben, wie zum Beispiel Zygosaccharomyces bailii.

Neben der Performance erfüllt Nagardo zudem die strengen Anforderungen der Industrie an die Sicherheit. Auch Farbe, Geruch und vor allem Geschmack bleiben, wie vom Produzenten vorgesehen, erhalten. Daher können die natürlichen Glykolipide in einer breiten Palette von Getränken eingesetzt werden, darunter Erfrischungsgetränke, trinkfertige Tees, Kombuchas oder alkoholfreies Bier. Vor allem karbonisierte Produkte sollen von Nagardo profitieren, da laut Hersteller in der Regel kein zweites Konservierungsmittel erforderlich ist. Das Prinzip: Das Pulver wird in Wasser vorgelöst der Getränkerezeptur bei der Produktausmischung zugegeben. Es verbleibt im Getränk und schützt es somit auch nach dem Öffnen auf natürliche Art und Weise. Die Zutat kann in den bestehenden Produktionsprozess integriert werden und ermöglicht marketingfreundliche Aussagen wie „frei von künstlichen Konservierungsstoffen“.

Weltweite Zulassung für Nagardo angestrebt

Nach der Markteinführung in den USA im Jahr 2019 hat Lanxess zwei Jahre danach die Zulassung von Nagardo auch in Australien und Neuseeland erhalten. Im weiteren Verlauf erfolgten die Zulassungen in der Europäischen Union und Kanada. Die jüngsten Freigaben in Ecuador, Kolumbien und Peru erweitern nun die Möglichkeiten für Getränkeinnovationen in Südamerika.