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Digitalisierungsprojekte richtig anpacken

aus: DLG-Lebensmittel 2/2021

Steigender Wettbewerbsdruck, rechtliche Vorgaben und hohe Qualitätsansprüche der Kunden bei einem gleichzeitig enormen Preisdruck erfordern reibungslose und sichere Abläufe in der Produktion von Lebensmitteln und Getränken. Digitalisierung verspricht hier viel, sollte aber richtig angepackt werden. Reda Mostafa, Business Development Director bei PTC, hat mit uns über Chancen der Digitalisierung gesprochen und stellt die neuesten Technologien vor.

Herr Mostafa, PTC ist eigentlich vor allem der Fertigungsindustrie bekannt. Welche Strategie verfolgen Sie im Bereich Lebensmittel- und Getränkeindustrie?

In der Tat ist die Fertigungsindustrie unser Ursprung, allerdings unterstützen wir schon seit langem viele weitere Branchen bei der Datengewinnung, -verarbeitung und -visualisierung. Aus der Landwirtschaft kamen beispielsweise die ersten echten Anwenderbeispiele für das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). In den vergangenen Jahren haben wir von PTC uns intensiv mit der digitalen Transformation in der Prozessindustrie (Chemie) befasst und uns bereits bei einigen Unternehmen (wie z. B. Evonik) als Digitalisierungspartner etabliert. Der Schritt in die verarbeitende Lebensmittel- und Getränkeindustrie war für uns daher naheliegend, da auch hier kontinuierliche Prozesse zur Erstellung des Produkts vorherrschen und wir mit unserem KnowHow ähnliche Herausforderungen meistern können. 

Wo stehen die Produzenten in Bezug auf die Digitalisierung?

Viele Hersteller haben aufgrund der hohen Qualitätsansprüche Systeme entwickelt, um alle Schritte der Lieferkette absichern zu können. Diese Maßnahmen sind allerdings sehr oft individuell gelöst, aufwendig und teuer. Sich wandelnde Kundenanforderungen oder Prozessänderungen stoßen dabei oftmals auf komplex gewachsene Strukturen, die aufgrund mangelnder Flexibilität zu aufwendigen Anpassungen mit hohen Kosten und/oder Umsatzeinbußen führen.

Geht es somit hauptsächlich um die Optimierung oder Erneuerung der Technologieinfrastruktur?

Die Technologie kommt immer erst an zweiter Stelle. Digitale Transformation hin zur Industrie 4.0 zielt vor allem auf die Betrachtung der Betriebsprozesse und deren Transparenz, die Mitarbeitereffizienz und die optimale Auslastung der Betriebsstätten ab. Viele Unternehmen wollen ihren Marktanteil ausbauen und gleichzeitig nachhaltig agieren. Die Digitalisierung kann hier ein Vehikel sein, das hilft, Informationen und Daten aus allen Bereichen in den richtigen Kontext zu bringen, um transparenter und flexibler zu werden. Die größten Digitalisierungsprojekte können aber scheitern, wenn der Nutzen für die Mitarbeiter nicht erkennbar ist und ihre Arbeitsabläufe durch neue Lösungen komplizierter anstatt effizienter werden. Es geht hier um kein einmaliges Projekt, sondern eine kulturelle und technologische Schritt-für-Schritt-Transformation.

In welchen Anwendungen sehen Sie den größten Nutzen für die F&B-Branche, auch vor dem Gesichtspunkt der aktuellen Herausforderungen in Zeiten der Pandemie?

„Keep the light on“ ist ein Terminus, der gerade in der heutigen Zeit aus den Konsequenzen der Pandemie eine hohe Relevanz erreicht hat. Was ist zu tun, wenn Mitarbeiter mit Expertenwissen ins Homeoffice oder gar in Quarantäne gehen müssen? Verbleibende Mitarbeiter müssen kurzfristig Aufgaben übernehmen, die sie vorher nie oder nur sporadisch gemacht haben. Wie kann man also die Produktionsabläufe sichern, wenn im Ernstfall der Experte nicht da ist? 

„Die Digitalisierung kann ein Vehikel sein, das hilft, Informationen und Daten aus allen Bereichen in den richtigen Kontext zu bringen, um transparenter und flexibler zu werden.“

Hier sehen wir zwei relevante Lösungen: Die Erste ist Vorbeugung bei der Erstellung der Arbeitsanweisungen. Hier gilt es digitale Möglichkeiten von Augmented Reality (AR) und editierbaren digitalen Vorgangsbeschreibungen zu nutzen, welche wiederum flexibel an den gerade laufenden Prozess adaptiert werden können. Zweitens können Experten mit unserer Remote Anwendung Vuforia Chalk, den vor Ort arbeitenden Kollegen, visuell per Smartphone oder über Virtual Glasses anleiten, um zum Beispiel Fehler schnell zu identifizieren und/oder zu beseitigen sowie Qualitätskontrollen rasch abzuklären. Hinzu kommt die Notwendigkeit, relevante Informationen zur Produktion rollenbasiert auch außerhalb der Produktion bereitzustellen – in Echtzeit und ohne aufwändige Datenaufarbeitung.  

Genau das ist eine Stärke der weltweit führenden Industrial Internet of Things (IIoT)- Plattform1 ThingWorx. Sowohl die einfachste, innovative Handhabung bei der Konsolidierung von Daten unterschiedlichster Quellen entlang der Automatisierungspyramide (Konnektivität), als auch die Erstellung von individuellen Dashboards oder Augmented Reality (AR) Anwendungen wird jedem im Unternehmen zugänglich gemacht. Dabei fördert ThingWorx neue Konzepte wie „Citizen Development“, indem es eigene Konfigurationsmethoden und offene Low Coding-Strukturen bietet. Beispielsweise können die Applikationen einfach mit dem Drag-and-Drop-Prinzip erstellt werden. Das kann helfen, die jeweiligen IIoT-Projekte schneller und kostengünstiger zum Ergebnis zu bringen. 

Es gibt eine Vielzahl an vordefinierten, sogenannten Out-Of-The-Box (OOTB) Lösungen z. B. für Realtime Monitoring, Condition Based Monitoring, Predictive Analytics for Quality and Maintenance und Energy Management. Hier erlaubt der Einsatz einer Plattform ein hohes Maß an Transparenz bei kurzer Implementierungszeit.

Haben Sie Beispiele, die den Mehrwert verdeutlichen?

Bei Carlsberg z. B. konnten wir neben einer verbesserten operativen Leistung mit Hilfe von ThingWorx die Gesamtbetriebseffizienz (OEE) steigern und so im Endausbau mehr als 250 Werke besser beurteilen. Komplexere Aufgaben wie am Beispiel Carlsberg können gleichwohl mit interner aber auch mit externer Unterstützung durch unsere Partner realisiert werden. Bei der Firma Pactiv wurden mit Hilfe der IoT-Technologie Mitarbeiter und Prozesse an aussagekräftigen Echtzeit-Leistungsdaten ausgerichtet. Henkel hat es geschafft, durch den Einsatz von Vuforia Chalk in über 30 Werken weltweit auch während der Corona-Pandemie den Betrieb sicher und effizient aufrechtzuerhalten.  (Das Interview führte Guido Oppenhäuser.)