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Labor 4.0: Wie sieht das Lebensmittellabor der Zukunft aus?

aus DLG-Lebensmittel Ausgabe 4/2016

Die wachsenden Ansprüche an Lebensmittellabore erfordern neue Strukturen. Dies betrifft unter anderem eine Ausstattung mit Möbeln und Geräten, die sich modular flexibel zusammenstellen lassen. Genauso gilt es, seine IT-Infrastruktur an enorme Datenmengen anzupassen. Vernetzung, Ressourceneffizienz und Mitarbeiterkompetenz sind weitere Stichworte. Vieles mag nach reiner Zukunftsmusik klingen, doch dürften manche Modellstrukturen zumindest bei größeren Unternehmen zum Teil Realität werden. Unternehmen sollten sich rechtzeitig damit befassen, um auf Veränderungen vorbereitet zu sein.

Zwei Abzüge nebeneinander, gegenüber die Arbeitsbank, in den Ecken Waage, Klima- oder Kühlschrank sowie PC-Arbeitsplatz … um Arbeitsabläufe in ähnlich gestalteten Laboren effizienter zu machen, liegt eine erforderliche Optimierung der Einrichtung nahe. In diesem Zusammenhang hat zum Beispiel der Laboreinrichter Köttermann den Arbeitskreis nexygen® – THE NEXT GENERATION LAB ins Leben gerufen. Mit den Partnerfirmen 2mag, Sartorius, Hirschmann und Memmert werden zukünftige Anforderungen und Trends analysiert und Verbesserungskonzepte entwickelt. Schon weit fortgeschritten ist etwa die Idee von Labortischen, in die für eine bessere Benutzerfreundlichkeit mehrere Geräte integriert sind. So waren in einen Prototyp, der auf der letzten Achema vorgestellt wurde, Magnetrührer, Heiz- und Kühlelement in eine spezielle, geschlossene Oberfläche eingebaut. Je nach Bedarf könnten genauso gut Waagen, Displays und anderes ergänzt werden. Zu den vielen praktischen Details des platzsparenden Prototyps gehört unter anderem die per App kabellose ergonometrische Einstellung der Tischhöhe. Als äußerst praktisch erweist sich auch die berührungslose Bedienung über bestimmte einfache Handbewegungen, wobei sich der dahinterstehende Mechanismus genauso zum Öffnen von Brutschränken oder Schubladen nutzen lässt.

Besonders für den Bereich F&E mit seinen wechselnden Aufgabenstellungen bietet sich auch ein interessanter Optimierungsansatz von Waldner Laboreinrichtungen an. Zentrales Element ist eine spezielle Mediendecke, die den gesamten Laborraum überspannt. Indem Labormedien, Gase, Strom, EDV-Anschlüsse und Klimatisierung direkt in diesem Deckensystem installiert sind, wird Platz im eigentlichen Laborraum geschaffen. Außerdem  erleichtert das Prinzip die variable Zusammenstellung von (rollbaren) Möbeln und Geräten.

Der Gerätepark der Zukunft denkt mit

In den meisten Laboratorien steigt der Automatisierungsgrad. Schon heute laufen Analysengeräte häufig rund um die Uhr, wobei sie automatisch überwacht beziehungsweise gesteuert werden.  Die Online- oder In-process-Analytik, gegebenenfalls mit Hilfe mobiler Analysengeräte, nimmt ebenfalls zu. Immer mehr Daten fallen in immer höherer Geschwindigkeit an. Die Visionen zum Labor 4.0, das heißt dem Labor der Zukunft, reichen jedoch weiter. Das beginnt damit, dass sich in Industrielaboren Maschinen oder Geräte eventuell nicht nur selbst konfigurieren und justieren. Vielmehr werden die neuen smarten, netzwerkfähigen Geräte dank modernster IT-Infrastruktur tatsächlich selbstständig miteinander und mit der Umgebung „kommunizieren“ können.

Ein Standardkonzept für alle gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss seine Strukturen individuell und bedarfsgemäß analysieren. Eine versierte Unterstützung von außen kann dabei durchaus hilfreich sein. Vergleichbar mit der Lebensmittelherstellung kann man auch im Labor von einer Wertschöpfungskette sprechen. Eine Ist-Analyse und Potenzial-Recherche reicht insofern von der Probenlogistik bis zur Dokumentation von Untersuchungsergebnissen und dem Erkennen von Trends. Wo lassen sich dabei manuelle Arbeitsabläufe sinnvoll automatisieren? Inwieweit vorhandene Geräte umrüsten oder ergänzen und mit neuen vernetzen? Wie bestehende Laborinformationssysteme (LIMS) integrieren? Für eine nachhaltige Umsetzung von Optimierungskonzepten sind solche Fragen essentiell. Denkt man weiter und berücksichtigt den potenziellen digitalen Datenaustausch zwischen verschiedenen Gerätestationen, geht es dann um das Handling der anfallenden Datenmengen. Das bietet sich nicht zuletzt dann an, wenn auch Daten von externen (mobilen) Messstellen oder (für Spezialanalysen) von Fremdlaboren einfließen.

Unter anderem gilt es zu überlegen, welche Rohdaten man in welcher Form archivieren möchte oder muss: Einerseits will man unnötigen Datenballast vermeiden, andererseits müssen Untersuchungsergebnisse nachvollziehbar bleiben.

In Analytiklaboratorien stehen ein hoher Datendurchsatz und Qualitätssicherung im Sinne von Zuverlässigkeit und Fehlervermeidung an oberster Stelle. Teilweise bietet es sich an, komplexe Datenpakete auszulagern. Selbstverständlich muss der Datenschutz trotzdem gewährleistet bleiben. Der Faktor Datensicherheit betrifft genauso die Übermittlung von  Analysendaten an Auftraggeber oder eine externe Firmenzentrale, wobei diese geschützt, fehlerfrei und eindeutig sein muss.

Allerdings wird heutzutage häufig schon die störungsfreie Zusammenführung der Daten aus verschiedenen Analysensystemen dadurch behindert, dass diese mit unterschiedlichen Dateiformaten und Softwaresystemen arbeiten. Abhilfe schaffen soll hier die sogenannte SiLA-Initiative (Standardization in Lab Automation, www.sila-standard.org), an der sich unter anderem das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA beteiligt. Die Stuttgarter Wissenschaftler sind konkret dabei, eine herstellerunabhängige Softwarestandardisierung mit einheitlichem Dateiformat zu entwickeln.

Im Hinblick auf die zunehmende maschinelle Datenauswertung geht die Entwicklung ansonsten in Richtung lernfähige und insofern intelligente Software. Das ambitionierte Ziel:  wenn Auffälligkeiten, Abhängigkeiten und Zusammenhänge automatisch erkennen. 

Es gibt viele Beispiele, wo eine entsprechende Datenvernetzung sinnvoll sein könnte. Etwa, wenn eine Molkerei bei der Analytik im Betrieb vermehrt eine erhöhte Keimbelastung feststellt und daraufhin im Milchsammelwagen automatisch die Zahl der Screening-Untersuchungen erhöht wird. Genauso ist denkbar, dass trotz Routine-Screenings bei der Probenanalyse ein unerwartetes Risiko entdeckt wird. Dann müssen nicht nur sofort – gegebenenfalls automatisch –  die betroffenen Prozesslinien gestoppt, sondern auch der Warenfluss entsprechend gelenkt werden. Idealerweise besteht sogar die Möglichkeit, die Maschinenkapazität IT-gesteuert durch eine bereitstehende neue Charge ohne Zeitverlust schnell wieder zu nutzen.

Der Mitarbeiter als letzte Kontrollinstanz

Last but not least spielt der Personalfaktor ebenfalls eine große Rolle. Zum einen könnte in vielen Laboren hinsichtlich der Mitarbeitergesundheit noch mehr auf die Ergonomie am Arbeitsplatz geachtet werden, ergänzt durch psychische Wohlfühlfaktoren wie Tageslicht und freundlich gestaltete Pausenräume. Zum anderen besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter durch die zunehmende Spezialisierung auf eine oder zwei Methoden den Gesamtüberblick verlieren. Das kann nicht nur zu Problemen im Vertretungsfall führen, sondern generell das Interesse an der Arbeit sowie am weiteren Lernen senken. Zugleich verführt die intuitive, mehr oder weniger vorgegebene Bedienung dazu, Geräten und Ergebnissen blind zu vertrauen. Diese bleiben aber „Assistenten“, was in Anwenderschulungen und Fortbildungen auch betont werden sollte. Der gesunde Menschenverstand wird weiterhin gefragt sein – denn schließlich stellen Lebensmittel natürliche,  im wahrsten Sinne des Wortes „lebendige“ Proben dar, die immer wieder für Überraschungen sorgen.

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